ÖsterreichÖVP verzögert vor Landtagswahl Maßnahmen gegen Covid-Zuwachs

Österreich / ÖVP verzögert vor Landtagswahl Maßnahmen gegen Covid-Zuwachs
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz nimmt wegen der Parteikollegen in Oberösterreich mittlerweile auch Rücksicht auf Aluhut-Sympathisanten Foto: AFP/Stefanie Loos

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Ungeachtet stark gestiegener Infektionszahlen verzichtet Österreich auf einschneidende Maßnahmen. Nach der Landtagswahl in Oberösterreich dürfte sich das – zu spät für den Wintertourismus – ändern.

Schon vor sechs Jahren hatte der ÖVP ein Sondereffekt das Wahlergebnis vermasselt. Am Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 sackte die Volkspartei in ihrer Hochburg um zehn Punkte auf 36 Prozent, während sich die FPÖ auf 30 Prozent verdoppelte. Der Verlust der schwarz-grünen Mehrheit im Linzer Landtag hatte eine ÖVP-FPÖ-Koalition zur Folge, die auch der Ibiza-Skandal um FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vor zwei Jahren nicht erschüttern konnte.

Kommenden Sonntag will die ÖVP mit Landeshauptmann Thomas Stelzer die vor sechs Jahren an die Rechtspopulisten verlorenen Wähler zurückholen. Doch wieder droht ihr ein negativer Sondereffekt: Das Coronavirus ignoriert alle Normalitätsrückkehrversprechen, mit denen Bundeskanzler Sebastian Kurz sich und seine ÖVP als Troubleshooter in Szene gesetzt hat. Die Lage ist sogar dramatischer als vor einem Jahr, als es noch keine Impfung gab: Die Sieben-Tage-Inzidenz ist mit 138 mehr als doppelt so hoch. Diesen Wert nimmt die Bundesregierung aber nicht mehr so wichtig. Vielmehr soll die Auslastung der Intensivstationen Hauptindikator sein. Doch auch der entwickelt sich bedenklich: 218 Intensivpatienten lagen am Donnerstag in Österreichs Spitälern, ebenfalls mehr als doppelt so viele wie vor einem Jahr, als zu Weihnachten dann der dritte Lockdown verhängt werden musste.

Land der Impfskeptiker

Und ausgerechnet Oberösterreich ist ein Covid-Hotspot. Es hat nach der Bundeshauptstadt Wien mit 190 die zweithöchste Sieben-Tage-Inzidenz und bildet mit einer Impfquote von nur 55 Prozent das Schlusslicht aller neun Bundesländer. Kein Zufall. Denn Oberösterreich ist auch eine Hochburg der Impfskeptiker und Coronaleugner, was nicht zuletzt an der wieder erstarkten FPÖ liegt. Wer geglaubt hatte, der im März selbst nur knapp dem Covid-Tod entronnene FPÖ-Vizelandeshauptmann Manfred Haimbuchner würde im Wahlkampf einen sanfteren Corona-Kurs steuern als der den Aluhut-Trägern zugeneigte Bundesparteichef Herbert Kickl, wurde enttäuscht. Während ÖVP, SPÖ, Grüne und die liberalen Neos die Menschen geradezu flehentlich in die Impfstraßen bitten, schürt die FPÖ wider alle wissenschaftlichen Erkenntnisse Vorbehalte gegen die Impfung.

Haimbuchner selbst hält sie zwar für wirksam, deklariert das aber nur als seine persönliche Meinung und lässt Kickl-Sprüche wie diesen unwidersprochen: „Ein intaktes Immunsystem macht den Menschen stark gegen jede Art von Virus.“ Kickls polemische Brandreden kommen bei potenziellen Blau-Wählern an, weshalb dem eher moderat auftretenden Haimbuchner die Unterstützung aus Wien willkommen ist. Das Feld der Impfskeptiker beackert die FPÖ umso intensiver, als dort mit der Liste MFG („Menschen, Freiheit, Grundrechte“) ein ernstzunehmender Konkurrent aufgetaucht ist. Die erst vor einem halben Jahr mit Fokus auf Impfgegner und Schutzmaskenmuffel gegründete Partei hat Umfragen zufolge Chancen, am Sonntag die Vier-Prozent-Hürde zu überspringen. Auf jeden Fall wird die MFG den Freiheitlichen das Erreichen ihres Wahlziels von 20 Prozent plus und das Behalten des zweiten Platzes vor der 2015 von 25 auf 18 Prozent abgestürzten SPÖ erschweren.

ÖVP lässt sich Zeit

Möglicherweise harte Konsequenzen für ganz Österreich hat die Tatsache, dass auch die ÖVP auf die Impfskeptiker-Fraktion schielt. Denn das beim letzten Urnengang markierte Rekordtief kann sie nur überwinden, wenn die große Rückholaktion der 2015 zur FPÖ übergelaufenen Wähler gelingt. Deshalb spricht Stelzer im Wahlkampf wenig über Corona und schon gar nicht mehr von der Impfpflicht, die er im Vorjahr noch selbst als erster ÖVP-Politiker angedacht hatte. Deshalb hält Kanzler Kurz nicht nur an seinem asylpolitischen Restriktionskurs fest, sondern nimmt auch Rücksicht auf Aluhut-Sympathisanten. Das hat zur Folge, dass Experten seit Wochen angesichts beängstigend steigender Infektionszahlen vergeblich strengere Maßnahmen fordern.

Zwar hat die türkis-grüne Regierung einen Drei-Stufen-Plan, der aber so ausgelegt ist, dass einschneidende Regeln erst nach dem Wahltag in Kraft treten. Derzeit gilt zwar wieder eine teilweise FFP2-Maskenpflicht in der Öffentlichkeit, aber erst Stufe 2 sieht vor, dass nur noch Geimpfte und Genesene in Nachtbars oder zu größeren Veranstaltungen dürfen. Sie tritt ein, wenn sieben Tage hindurch mehr als 300 Covid-Patienten auf den Intensivstationen liegen. Damit ist erst nach der Wahl zu rechnen. Die in Oberösterreich wieder in eine Koalition mit der ÖVP strebenden Grünen wollten schneller und härter reagieren, setzten sich aber bei Kurz nicht durch.

Après-Ski nur mit Stich

Die Rechnung für die wahltaktisch vergeudete Zeit könnte Österreich im Winter präsentiert bekommen. Kurz verspricht zwar eine sichere Wintersaison mit der 3-G-Regel, schließt aber nicht aus, dass beim Après-Ski eine 1-G-Regel gelten könnte, also nur Geimpfte in die Skihütten dürfen. Einen neuerlichen Lockdown für alle solle es auf keinen Fall geben. Für Ungeimpfte könnte er aber durchaus Realität werden. Und davon gibt es nicht nur in Österreich noch sehr viele.