NeuseelandErinnerungen im Eis: Die Kamera eines verschollenen Bergsteigers wurde gefunden

Neuseeland / Erinnerungen im Eis: Die Kamera eines verschollenen Bergsteigers wurde gefunden
Mit Freunden auf der Hütte vor dem tragischen Unglück: Robinson ist rechts im Bild Foto: Richard Stiles

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

1997 waren zwei Bergsteiger in den südlichen Alpen in Neuseeland von einer Lawine überrascht worden. Richard Stiles überlebte, doch sein Freund Steve Robinson ist bis heute verschollen. Ein Fund im Eis gibt jetzt einige Geheimnisse preis.

Der Mount Cook auf der neuseeländischen Südinsel ist unter Bergsteigern berüchtigt. Das Wetter kann schnell umschlagen und auch Lawinen sind keine Seltenheit. „Bergsteigen ist ein gefährliches Spiel“, sagt Richard Stiles. „Wir waren uns der Risiken bewusst.“

Trotzdem wollen Stiles und sein Freund Steve Robinson am Karfreitag 1997 den Aufstieg wagen. „Wir haben sogar darüber gesprochen, dass wir dabei sterben könnten“, erinnert sich der Bergsteiger, der heute als Arzt in Australien arbeitet. „Leider haben hunderte Bergsteiger dort ihr Leben verloren.“ Die Faszination des Berges ist für die beiden damals 29-jährigen Männer jedoch größer als die Angst vor dem, was passieren könnte.

„Ein lebensveränderndes Ereignis“

Doch der Berg sollte auch für Stiles und Robinson Schicksal spielen. Als ganz in der Nähe des Südgrats, an einer Stelle, die bei den Bergsteigern als Porter’s Col bekannt ist, ein riesiger Eisbrocken abbricht und eine Lawine auslöst, kann nur Stiles sich retten. Robinson wird verschüttet, sein Körper bis heute nicht gefunden. „Der Unfall ereignete sich unglaublich schnell“, sagt Stiles. „Es war keine normale Lawine, ein ganzes Eiskliff brach ab und kam auf uns zugerast.“ Stiles, der überlebt, riskiert danach erneut sein Leben, als er zurückgeht, um Robinson zwischen den Eis- und Schneemassen zu suchen. Vergeblich. „Das war ein lebensveränderndes Ereignis“, sagt er heute. Über Jahre habe er das Erlebte intensiv verarbeitet, doch irgendwann habe er sein Leben weitergeführt – bis er vor Kurzem bisher unbekannte Fotos von seinem alten Bergsteigerfreund auf Facebook entdeckte.

Die Fotos stammen von seiner alten Kamera, die zusammen mit seinem Rucksack ebenfalls von der Lawine erfasst und verschüttet worden war. Die Fotos sind körnig, teilweise verfärbt und unscharf und doch lassen sie die jungen Männer erkennen, die vor fast 25 Jahren diesen schicksalshaften Tag miteinander verbrachten. Auf einem der Fotos sitzt Steve Robinson an einer Hütte, mit langen, welligen Haaren, relaxt und lachend. Auch das letzte Bild, das je von ihm aufgenommen wurde, ist auf Stiles’ Kamera.

Zufallsfund auf der Bergtour

Über 20 Jahre war die Kamera im Eis des Hooker Gletschers eingeschlossen, rund einen Kilometer entfernt vom eigentlichen Unglücksort. Doch im vergangenen Jahr hatte die Schmelze am Gletscher Stiles’ Rucksack und darin auch die Kamera freigegeben. Ein anderer Bergsteiger stieß während einer Tour auf die alte Ausrüstung. Chris Hill erkannte mit einem Blick, dass es sich um älteres Equipment handeln musste. „Es war eine Filmkamera und auch der Rucksack war ein älteres Modell und ziemlich kaputt“, berichtet er. Hill ließ den Film entwickeln und schaltete die neuseeländische Bergrettung und sogar die Polizei ein. Doch das Rätsel war schwerer zu lösen, als er dachte. Erst als er im derzeitigen Lockdown, den Neuseeland wegen eines erneuten Corona-Ausbruchs ausgerufen hat, die Zeit fand, Fotos auf ein Bergsteigerforum auf Facebook zu posten, kam der Stein ins Rollen. „Plötzlich hatte ich innerhalb von wenigen Tagen eine Antwort.“

Dank der „kollektiven Intelligenz der sozialen Medien“, wie Stiles es nennt, gelangen die Bilder zu ihm. Doch den inzwischen 53-Jährigen treffen die Erinnerungen aus dem Eis völlig unvorbereitet. Am Telefon berichtet der Arzt, wie „perplex“ er gewesen sei, als er die alten Bilder gesehen habe. Plötzlich seien all die alten Erinnerungen wieder in ihm hochgekommen. „Es hat mich zurück in diese Ära transportiert, alles erschien mir wieder wie gestern.“ Steve Robinsons Verlust habe so viele Menschen schwer getroffen. „Steve war ein toller, inspirierender Mensch – ein talentierter Sonnenphysiker, ein Humanist, ein Abenteurer und ein guter Freund.“

Mischung aus Emotionen

Über Richard Stiles erreichen die Bilder auch die Familie des Verstorbenen, die ebenfalls in Australien lebt. Seine Mutter Marcia Robinson ist inzwischen 86 Jahre alt, die Schwester Chris Schiesser 57 Jahre. „Bei meiner Mutter und mir löste die Entdeckung der Fotos eine Mischung aus Emotionen aus“, schreibt Schiesser in einer E-Mail. Einerseits habe der Fund sie „in eine sehr schmerzhafte Zeit“ in ihrem Leben zurückversetzt, andererseits sei er „wie ein Geschenk aus dem Jenseits“ gewesen. Sie seien beide sehr froh gewesen, noch weitere Fotos von Steve zu haben. Gleichzeitig „war es aber auch zutiefst erschütternd zu denken, dass er in diesem Moment keine Ahnung hatte, was noch kommen würde“. Die Familie schreibt, wie traurig sie auch 24 Jahre nach dem Tod des Bruders und Sohnes darüber sei, dass er nie seine Vorstellungen als Sonnenphysiker verwirklichen konnte. Er habe immer gehofft, mit der Solartechnologie einen Unterschied für ärmere Menschen machen zu können. Traurig seien sie auch darüber, dass er seine Nichte und seinen Neffen nie richtig kennenlernen oder eigene Kinder haben konnte. „Er wäre von großem Nutzen für die Welt und ein großes Vorbild gewesen.“

Auch Stiles spricht über die Weitsicht, die Robinson schon vor einem Vierteljahrhundert hatte. Als Sonnenphysiker habe er schon damals versucht, den Herausforderungen des Klimawandels entgegenzuwirken. Deswegen sei es eine Ironie des Schicksals, dass einige der Geheimnisse nun preisgegeben wurden, nachdem das Eis am Gletscher durch den Klimawandel abschmilzt.

Direkt nach dem Unfall habe er noch vorgehabt, wieder klettern zu gehen, doch „letztendlich habe ich nie wieder einen Berg bestiegen“, sagt der Australier. Trotzdem ließ ihn die Lust auf Gefahr auch später nicht los. „Risiko zieht mich geradezu an“, gesteht Stiles. „Dadurch habe ich viele wertvolle Erfahrungen gesammelt, es war aber auch mit hohen Kosten verbunden.“ Eine der schönsten Erinnerungen ist dabei seine Freundschaft zu Steve Robinson. „Man hat eine sehr enge Beziehung zu seinem Kletterpartner, man ist per Seil miteinander verbunden und vertraut sich sein Leben gegenseitig an“, sagt er. „Das ist ein Erlebnis, das für immer zusammenschweißt.“