Luxemburger Mädchen in PeruVater befürchtet: „Zoé könnte im System verschwinden“

Luxemburger Mädchen in Peru / Vater befürchtet: „Zoé könnte im System verschwinden“
Die ersten Jahre ihres Lebens verbrachte Zoé mit ihren Eltern in den peruanischen Anden nahe Cusco Foto: Hugo Motor

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Vor anderthalb Jahren hielt Jérôme Grethen seine kleine Tochter zum letzten Mal in den Armen. Dann flog sie mit ihrer Mutter nach Peru. Inzwischen sind beide ganz untergetaucht: Nach der Mutter wird offiziell wegen Kindesentführung gefahndet. Positiv ist das aber nicht, sagt Grethen. Denn es besteht die Gefahr, dass die peruanischen Behörden die Vierjährige in einem Heim platzieren – und nicht beim Vater. 

„Stundenlang sind wir mit dem Zug gefahren – Land auf, Land ab. Zwei Jahre sind das her“, sagt Jérôme Grethen traurig. Er zeigt ein Foto mit einem kleinen, blonden Mädchen, das mit weit aufgerissenen Augen in den Führerstand eines Zuges blickt. Zoé hält ihre Hand gegen eine Schiebetür aus Glas, auf der sich ihr Antlitz widerspiegelt. Währenddessen sind im Hintergrund Gleise zu erkennen, daneben Häuser in einer verschneiten Landschaft. Und der Schatten ihres Vaters, der ihr liebevoll mit links um die Taille fasst, während er mit der Rechten das gelungene Selfie schießt.

„Ihr hat das Zugfahren unheimlich viel Spaß gemacht“, erinnert sich Grethen wehmütig. Heute aber könne er den Anblick von Zügen nicht mehr ertragen. „Jeder einzelne Moment ohne Zoé reißt mir die Seele aus dem Leib“, erklärt der Luxemburger. Anderthalb Jahre seien es nun her, dass er seine Tochter zum letzten Mal in den Armen halten konnte. Seitdem gilt sie als vermisst.

Entstanden ist das Foto Ende 2018 in Luxemburg. Nur wenige Wochen später war Zoé verschwunden. Verschleppt von der eigenen Mutter, so Grethens Vorwurf. Mit ihrer Tochter im Schlepptau sei die junge Frau im Februar 2019 zurück nach Peru geflogen, wo sich das Paar Jahre zuvor kennengelernt hatte. Seitdem waren sämtliche Bemühungen des Vaters, seine kleine Familie wiederzusehen, vergebliche Liebesmüh (siehe Kasten). Weder persönliche Schlichtungsversuche noch der Rechtsweg hatten Aussicht auf Erfolg.

Im Gespräch mit Jérôme Grethen fällt auf, dass dem 44-jährigen Luxemburger nicht nur das Wohl seiner Tochter am Herzen liegt; auch die Gefühle für ihre Mutter spielen immer noch eine Rolle. Immer wieder betont er, Emma nicht in Schwierigkeiten bringen zu wollen. Am wenigsten sei ihm daran gelegen, seiner Tochter die Mutter zu rauben.

Etliche Lösungen habe er vorgeschlagen, Sorgerechts-Vereinbarungen, sogar eine internationale Familienmediation. „Doch sie hat sämtliche Vorschläge abgelehnt“, so Grethen. „Emma lebt im Glauben, dass Zoé nur ihr und ihr ganz alleine gehört.“ Diese Herangehensweise sei nicht nur fragwürdig, sondern regelrecht besorgniserregend.

„Was geschieht mit Zoé?“

Trost spendeten bis vor Kurzem noch die spärlichen Skype-Gespräche, die Grethen mit seiner Tochter führen durfte. Gleichzeitig warfen zwei Bekannte vor Ort ein wachsames Auge auf das Kind. Seit nunmehr zwei Monaten habe er aber gar keinen Kontakt mehr zu Zoé. Mehr noch: „Die Situation hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch zugespitzt“, verrät der 44-Jährige dem Tageblatt.

Im Gespräch mit Bekannten vor Ort habe er nämlich erfahren, dass die peruanische Polizei inzwischen wegen Kindesentführung aktiv nach der Mutter fahndet. Vor wenigen Wochen seien plötzlich Beamte der Abteilung für Entführung und Menschenhandel aus der rund 600 Kilometer Luftlinie entfernten Hauptstadt in den Anden aufgetaucht und hätten die Einwohner nach der jungen Frau befragt.

Nach fast anderthalb Jahren wird die peruanische Polizei plötzlich aktiv. Nach der Mutter wird inzwischen offiziell gefahndet. Sie ist mit Zoé in den Anden untergetaucht.
Nach fast anderthalb Jahren wird die peruanische Polizei plötzlich aktiv. Nach der Mutter wird inzwischen offiziell gefahndet. Sie ist mit Zoé in den Anden untergetaucht. Foto: Policia Nacional del Peru

„Sie wollten wissen, ob sie ein kleines, blondes Mädchen namens Zoé kennen. Das Kind werde vermisst und die Mutter wegen Entführung gesucht“, erinnert sich Grethen an das Gespräch mit seinem Bekannten. Um einer Kurzschlussreaktion vorzubeugen, habe er sofort Emma verständigt. „Damit sie sich entweder stellen oder schlimmstenfalls verstecken kann“, erklärt Grethen. „Was auf den ersten Blick nämlich positiv im Sinne des ganzen Dossiers erscheint, birgt reelle Gefahren für Zoé“, gibt der Luxemburger zu bedenken.

Emma muss wegen des Haftbefehls zunächst mit Untersuchungshaft rechnen. „Und was geschieht in dem Fall mit Zoé?“, fragt Grethen. Vater und Mutter stammen beide aus Europa, Familie hat die Kleine keine in Peru. „Es kann gut sein, dass meine Tochter in einer Pflegefamilie oder in einem Heim landet“, so der 44-Jährige weiter.

Seine Anwälte in Lima könnten ihm auch nicht sagen, wie die Prozedur in solchen Fällen aussieht. „Weil es gar keine Prozedur gibt: In Peru hängt alles vom guten Willen, von der Laune oder von der Bestechlichkeit der Betroffenen ab“, meint der Vater. Alles sei möglich: ein Verfahren mit Heimunterbringung in Lima, eine Ausweisung von Mutter und Kind nach Spanien oder gar jahrelange Untätigkeit. „In anderen Worten: Ich weiß nicht, ob ich Zoé in dem Fall jemals wiedersehe!“

Polizeilicher Aktionismus in Peru

Emma ist inzwischen mit Zoé untergetaucht, Kontakt zum Vater gibt es keinen mehr. Damit wird die Situation für Jérôme Grethen immer untragbarer. Neben der Sehnsucht nach seiner Tochter rauben ihm auch die Sorgen um ihr Wohlergehen und die gemeinsame Zukunft nachts den Schlaf. Daneben plagen ihn die vielen Fragen. So sei etwa der plötzliche Aktionismus der peruanischen Behörden ungewöhnlich, vor allem da er selbst nie Klage eingereicht habe.

Zwar hat der Vater die Justizbehörden in Luxemburg und in Spanien eingeschaltet und auch regelmäßig Kontakt zu Juristen und diplomatischen Vertretungen in Lima gehabt. „Eine direkte Verbindung mit der peruanischen Polizei oder Staatsanwaltschaft aber gab es nie“, verrät der Luxemburger. Auch hätten ihm die spanischen und belgischen Vertretungen (es gibt keine Luxemburger Botschaft in Peru) vor Ort beteuert, nicht bei den Behörden interveniert zu haben. „Ich kann einfach nicht nachvollziehen, woher diese Klage stammt und wo dieser polizeiliche Aktionismus plötzlich herrührt“, so Grethen.

Was bleibt, ist die nervenzerfetzende Sorge um seine Tochter. Immer wieder graue es ihm vor dem Worst-Case-Szenario: dass Zoé in einem Heim untergebracht wird und im System verschwindet. Es sei nämlich durchaus möglich, dass die peruanischen Behörden die kleine Luxemburgerin nicht aus dem Land ließen. „In dem Fall würde ich meine Tochter nie mehr wiedersehen. Dieser Gedanke ist kaum zu ertragen“, meint Grethen.

Aufgeben will er aber nicht. „Ich bleibe positiv und hoffe auf eine sanfte und delikate Lösung im Sinne meiner Tochter. Solange ich sie aber nicht in Sicherheit wähne, werde ich keine Ruhe geben“, verspricht der Vater, der nun auf politische Rückendeckung aus Luxemburg hofft. In dem Fall könnte man den peruanischen Behörden in Lima etwas genauer auf die Finger schauen. Seine Hoffnung: „Mit der politischen Dimension wächst auch Zoés Sicherheit!“

Jérôme Grethen sorgt sich um das Wohlergehen seiner Tochter. Die Zustände in peruanischen Heimen bereiten ihm besonders Sorgen.
Jérôme Grethen sorgt sich um das Wohlergehen seiner Tochter. Die Zustände in peruanischen Heimen bereiten ihm besonders Sorgen. Foto: privat

„Wir geben unser Bestes!“

In Luxemburg hat sich inzwischen auch das Außenministerium des Falles angenommen. „Auch wenn uns in vielen Hinsichten leider die Hände gebunden sind, versuchen wir, Jérôme Grethen ein Maximum an Unterstützung zukommen zu lassen“, heißt es aus der für Auslandsnotfälle zuständigen Abteilung. Man stehe in ständigem Austausch mit dem Vater, was dieser auch anerkennend bestätigt. Die Ausgangslage sei jedoch äußerst kompliziert, so ein Mitarbeiter des Außenministeriums.

Offiziell habe der Vater nämlich keine Handhabe: „Es gibt keine juristische Grundlage oder Prozedur, die es Herrn Grethen erlauben würde, das Kind für sich zu beanspruchen“, erklärt der Experte. Es stünde dem Außenministerium auch nicht zu, in Prozeduren eines fremden Staates einzugreifen. „Vor allem nicht, wenn keine juristische Grundlage dafür besteht“, bedauert der Mitarbeiter. „Dennoch werden wir alles in unserer Macht Stehende für den Vater tun.“

Die Abteilung nehme sämtliche Vorfälle ernst, die Luxemburger im Ausland betreffen. „Wenn es um ein Kind geht, fühlt man sich zusätzlich betroffen. Deshalb kann ich Ihnen versichern, dass wir stets unser Bestes geben, um unseren Mitbürgern im Ausland zu helfen“, so der Experte. Hätte es einen Ansatzpunkt gegeben, hätte man diesen auch ergriffen. „Leider sind wir in diesem Fall weitestgehend machtlos und können Herrn Grethen nur so weit unterstützen, wie es uns möglich ist.“ Ihm persönlich sei der Fall sicher nicht egal, beteuert der Mitarbeiter. Deshalb hoffe er, dass sich im Sinne der kleinen Zoé bald eine Lösung abzeichne.


Zoés Odyssee: Die Irrfahrten einer Vierjährigen

Zoé Maywiy Grethen Rami kommt im April 2016 in Cusco zur Welt, der ehemaligen Hauptstadt des Inkareichs inmitten der peruanischen Anden. Der Vater ist Luxemburger, die Mutter Spanierin. Ende 2016 zieht das Paar aus Südamerika zurück ins Heimatland der Mutter, doch scheint diese dort nicht mit den neuen Lebensumständen klarzukommen. Nur ein halbes Jahr später fliegen die Eltern mitsamt ihrer Tochter zurück nach Südamerika. Es folgen schwere Zeiten für die kleine Familie.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es im Sommer 2018: Die Mutter Emma ist plötzlich einverstanden, ihrer Vergangenheit in einer alternativ angehauchten Aussteigerkommune den Rücken zu kehren und zurück nach Europa zu ziehen. Zuerst geht es zu Zoés Großeltern mütterlicherseits nach Spanien, bevor sich das Paar dann Ende 2018 mit Zoé in Luxemburg niederlässt. Sie ziehen zunächst in eine Ferienwohnung, melden sich im Januar 2019 dann offiziell bei einer Gemeinde an.

Nur einen Monat später aber reist die Mutter ohne Vorwarnung ab. Mit der Tochter im Schlepptau fliegt sie wieder nach Peru. Sie hält Jérôme Grethen mit dem Versprechen bei Laune, gleich wieder nach Europa zu kommen. Allerdings soll sie gemeinsamen Bekannten vor Ort zufolge wieder Zuflucht in der Aussteigerkommune gefunden haben. Der Vater spricht in diesem Zusammenhang von einem „ausgeflippten Hippie-Kult“ und von einem auf „Drogenkonsum aufgebauten Schamanen-Kult“.
Ende August 2019 werden Mutter und Kind zurück in Europa erwartet. Doch der Kontakt bricht ab, Emma weicht aus. Grethen schaltet die Luxemburger Behörden ein, hofft auf das „Haager Kindesentführungsübereinkommen“. Sowohl Luxemburg als auch Peru sind beide Mitglieder dieses Abkommens.

Ausführende Gewalt in Luxemburg ist die Generalstaatsanwaltschaft. Die sieht die Bedingungen des Abkommens aber nicht erfüllt: Das Kind habe unmittelbar vor der Verletzung des Sorgerechts seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Großherzogtum gehabt. Es sei in Peru aufgewachsen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass Zoé kurzzeitig im Personenregister des Landes eingetragen war. Vielmehr sei der „gewöhnliche Aufenthalt“ mit einem gewissen Grad an Integration verbunden. Und das sei bei Zoé nicht der Fall, befand die Staatsanwaltschaft. Ihr seien damit die Hände gebunden.

Bern salzmann
27. November 2020 - 13.55

Das ist schade dass so was passiert ist. Kaum zu glauben