VerkehrssicherheitFür AVR-Präsident Raymond Schintgen war 2020 ein Jahr des Rückschritts

Verkehrssicherheit / Für AVR-Präsident Raymond Schintgen war 2020 ein Jahr des Rückschritts
Für Raymond Schintgen war 2020 in Sachen Verkehrssicherheit ein verlorenes Jahr Foto: Editpress/François Aussems

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Die Vereinten Nationen erklärten 2005 den dritten Sonntag im November zum Tag für Verkehrsopfer. Am kommenden 14. November jährt sich der Aktionstag zum 25. Mal. Das Tageblatt unterhielt sich mit Raymond Schintgen, Präsident der „Association nationale des victimes de la route“ (AVR), über den 25. Welttag der Verkehrsopfer, der dieses Jahr unter außergewöhnlichen Umständen stattfindet.

Tageblatt: Wie gestaltete sich das Pandemiejahr aus Sicht der AVR?

Raymond Schintgen: In meinen Augen ist 2020 ein verlorenes Jahr mit einem gewaltigen Schritt zurück. Trotzdem, und das stand noch bis vor etwa zwei Wochen in den Sternen, organisieren wir unseren Gedenktag am Nationalen Denkmal in Junglinster. Wir wollen mit dem nationalen Aktionstag in einem sehr engen Kreis ein Zeichen setzen. Wir gedenken besonders jener Menschen, die durch einen Verkehrsunfall in einer Institution leben müssen und durch die Pandemie-Sicherheitsmaßnahmen von ihren Familien isoliert sind.

Die Gedenkstätte an die Verkehrsopfer in Junglinster
Die Gedenkstätte an die Verkehrsopfer in Junglinster Foto: Editpress/Alain Rischard

In welcher Hinsicht ist 2020 ein verlorenes Jahr?

In Sachen Verkehrssicherheit geschah nicht sehr viel. Es gab kaum öffentliche Diskussionen oder Sensibilisierungen. Sitzungen der verschiedenen Akteure und Arbeitsgruppen fielen aus oder wurden verschoben. Eine praktische Umsetzung von geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit fand erst gar nicht statt.

Gab es 2020 durch den Lockdown im Frühjahr weniger Verkehrsopfer? Immerhin wechselten viele Verkehrsteilnehmer zum Fahrrad über.

Nach dem Lockdown stieg die Anzahl an Unfällen mit Todesfolge und Schwerverletzten drastisch an. Es hatte den Anschein, als hätten die Leute während der Quarantäne das Autofahren verlernt. Bereits zum heutigen Tag verzeichnen wir in Luxemburg mehr Schwerverletzte als 2019. Den Umstieg vom Auto zum Fahrrad begrüßen wir sehr, aber leider gibt es eine Kehrseite der Medaille. Unseren Informationen zufolge gab es viele Fahrradunfälle, oftmals Stürze mit schwerwiegenden Schädel-Hirn-Traumata. An dieser Stelle fordere ich die politisch Verantwortlichen auf, über eine Helmpflicht für Radfahrer nachzudenken.

In meinen Augen schreiten sicherheitsverbessernde Vorhaben nur sehr schleppend voran

Raymond Schintgen, Präsident des AVR

Führte die Quarantäne zwangsmäßig zu mehr Arbeit für die AVR?

Ja, und das in mehrfacher Hinsicht. Wir betreuen mit allen Mitteln weiterhin die Verkehrsopfer und ihre Familienangehörigen. Ein Verkehrsunfall stürzt die Betroffenen im Bruchteil einer Sekunde in finanzielle Engpässe oder gar Verschuldung. Je nach Schweregrad der Verletzung verlieren die Unfallopfer ihre Arbeit. Eine etwaige Invalidenrente kann den Lohnausfall nicht vollständig decken. Im Todesfall erhalten Hinterbliebene nur eine geringe Witwen- oder Waisenrente. Immobilienkredite oder Miete müssen trotzdem bezahlt werden. Gerichtsprozesse und Entschädigungsauszahlungen dauern Jahre.

Verkehrsunfälle sind somit abgesehen von den Körperschäden mit enormen psychischen und finanziellen Belastungen verbunden. Im Zeitalter der Pandemie summieren sich diese Ängste: Fast alle administrativen und juristischen Prozesse laufen langsamer, die Gerichte waren im Lockdown geschlossen. Die durch die Pandemie ausgelöste wirtschaftliche Krise lastet auf den Betrieben und Unternehmen – der Verlust des Arbeitsplatzes droht noch schneller als zuvor ohne Pandemie. Die sanitäre Krise erschwert uns die Arbeit wesentlich, die Wartelisten für Termine beim Psychologen sind lange.

Ein weiterer Aspekt – und aus diesem Grund organisieren wir trotz der Pandemie unseren Gedenktag unter Berücksichtigung aller Corona-Regelungen – sind jene Verkehrsopfer, die aufgrund der Pandemie in Isolation leben müssen. Infolge von Unfällen sind die Betroffenen größtenteils eh von ihrem sozialen Umfeld abgeschnitten. Langfristige Krankenhausaufenthalte, Rehabilitationszentrum oder später das Leben in einer Institution für Schwerbehinderte sind oftmals die Folge. Ihr Leben hat sich im Bruchteil von einer Sekunde verändert. Und in der jetzigen Zeit ist der physische Kontakt zu den Angehörigen oder den sowieso kaum noch vorhandenen Freunden drastisch eingeschränkt. Auch diese Situation überfordert unser Team. An dieser Stelle möchte ich allen Mitarbeiter danken: Sie geben alles, was sie können, und zeigen unermüdlichen Einsatz.

25 Jahre Welttag für Verkehrsopfer: Welche Bilanz ziehen Sie über die letzten 25 Jahre in Sachen Verkehrssicherheit?

Es hat sich vieles zum Positiven verändert. Vor 25 Jahren zählten wir in Luxemburg durchschnittlich 75 Todesopfer im Jahr. Heute liegt diese Zahl bei etwa 20 bis 30 Menschen jährlich. Aber es bleibt noch sehr viel zu tun. Beispiel: die Strecke Gonderingen – Rodenburg (CR122). Dort verstarb genau an jener Stelle, wo ich selbst bei einem Unfall schwer verletzt wurde, eine 63-jährige Frau. Am Straßenrand stehen Bäume, keine Leitplanken und die Straße ist für heutige Verhältnisse – die Fahrzeuge werden immer breiter – zu schmal. Trotz durchgeführter Umbauten fehlt es am CR122 sowie auf unzähligen anderen Strecken an einem durchdachten Verkehrssicherheitskonzept. Ich bin nicht gegen Bäume oder Baumalleen, aber dort, wo Bäume eine Gefahr darstellen, müssen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden – etwa Schutzplanken. Wenn es unvermeidlich ist, müssen die Bäume eben etwas weiter von der Straße entfernt versetzt werden. 

An anderen Strecken fehlt es an Geschwindigkeitsbegrenzungen und Radargeräten. Dies sind schnell und kostengünstig umsetzbare Möglichkeiten. In meinen Augen schreiten sicherheitsverbessernde Vorhaben nur sehr schleppend voran.

GeTee
14. November 2020 - 17.07

Baumalleen waren zur Pferdekutschen-Zeit sinvoll da sie den Pferden Schatten spendeten. Aber in der heutigen Zeit sind Alleen so sinnvoll wie eine Selbstmörderbrücke. Wenn man Lichtmasten auf der Autobahn ohne triftigen Grund absägt dann kann man es auch mit Alleebäumen tun.

Nomi
13. November 2020 - 22.00

Wann mer net innerhalb vun 1-2 Deeg d'Ursachen vun all Akzident (juristesch net bindend) an der Oeffentlechkeet kommunizei'eren, ass den Lerneffekt verluer, dann ass et ze speit fir een aehnlechen Akzident ze verhenneren ! Sou ginn Akzidenter, Betriebsintern an der Industrie, analysei'ert ! An do funktionei'ert et mat der Reduzei'erung vun den Akzidenter !

GeTee
13. November 2020 - 20.57

"Am Straßenrand stehen Bäume, keine Leitplanken und die Straße ist für heutige Verhältnisse zu schmal." Und das merkt man schon jetzt !!!!! Na bravo !