Konferenz mit Anwalt Thomas GalliFrüher hat er Gefängnisse geleitet – heute spricht er ihnen den Sinn ab

Konferenz mit Anwalt Thomas Galli / Früher hat er Gefängnisse geleitet – heute spricht er ihnen den Sinn ab
Anwalt und Autor Thomas Galli: Zum Begriff Gefängnis fällt dem ehemaligen Direktor einer Haftanstalt spontan keine positive Eigenschaft ein Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Haftanstalten spricht er den Sinn ab. Resozialisierung die Zielorientierung. Bestrafung müsse sein, sagt Anwalt und Autor Thomas Galli, aber ganz anders. Wie und weshalb erzählt der ehemalige Gefängnisdirektor aus Augsburg in unserem Gespräch und ausführlich heute Abend auf einer Konferenz in Dommeldingen.

„Strafe ist die Reaktion auf ein unerwünschtes Verhalten Einzelner. Strafe besteht darin, ein Übel zuzufügen, es muss wehtun.“ Das sagt Thomas Galli. Überzeugt scheint er von dieser Pädagogik der Bestrafung nicht.

Thomas Galli studierte Rechtswissenschaften, Kriminologie und Psychologie. Er hat ein Doktorat, aber auf das Dr. vorm Namen pocht er nicht. Er ist großgewachsen und strahlt eine gewisse Sensibilität aus. Über 15 Jahre lang arbeitete er im Strafvollzug und war unter anderem Leiter von Gefängnissen. Im Oktober 2016 zog er sich aus dem Strafvollzug zurück. Er konnte und wollte nicht mehr verteidigen müssen, was er dort sah und erlebte. Heute arbeitet er wieder als Strafverteidiger. In Augsburg (D). Bekannt ist Thomas Galli für seine Kritik am derzeitigen Konzept der Gefängnisse. Zu dem Thema hält er heute in Dommeldingen eine Konferenz. Auf Einladung der Vereinigung „eran, eraus…an elo?“

Zum Begriff Gefängnis fällt ihm spontan keine positive Eigenschaft ein. Er zögert. „Eine gewisse Ordnung vielleicht“, sagt er – und es klingen viele Fragezeichen mit. Und eine schlechte Eigenschaft? „Viele“, sagt er – mit gedacht 100 Ausrufezeichen.

Grundlegende Änderung

Die Institution Gefängnis müsse grundlegend infrage gestellt und reformiert werden, sagt er. „Sie richtet, nach meiner Überzeugung, mehr Schaden als Nutzen an.“ Bezogen auf die Gesellschaft sei sie sehr schädlich. Weder Opferinteressen noch Resozialisierung würden im Fokus des Strafvollzugs stehen. Deshalb würden Gefängnisse am Ende eigentlich auch nicht unbedingt bessere Menschen hervorbringen.

Natürlich würden es begrüßenswerte Versuche geben, den Strafvollzug anders zu gestalten, die Resozialisierung anders anzupacken, etwas zu ändern. Man sei auch weit entfernt von Zeiten, in denen es rein um gnadenlos hartes Bestrafen ging. „Heute brauchen wir eine andere Herangehensweise. Eine neue Philosophie“, sagt Thomas Galli. Wenn man den Begriff der Resozialisierung dann tatsächlich ernst nehmen würde, dann müsse man weg vom Gedanken, einzusperren. Wobei, sagt er einschränkend, es für einige wenige Fälle, für extrem gefährliche Straftäter schon noch eine Möglichkeit geben müsse, sie „wegzusperren“.

Alle anderen bräuchten den Kontakt nach draußen, sagt Thomas Galli. Er nennt eine Studie aus Skandinavien: Wer nur Kontakt zu Straftätern habe, sei nach Jahren in Haft nicht mehr gesellschaftsfähig.

Keine Entfremdung

„Wenn ich will, dass Menschen resozialisiert werden, dann muss ich dafür sorgen, dass sie wirklich verinnerlicht haben, was sie machen müssen, sie müssen eingebettet sein in ein Klima ohne Straftäter. Das könnte eine Fußfessel sein, Wohngruppen, gemeinnützige Arbeit, realitätsnaher Kontext … jedenfalls nicht die abgeschlossene Welt der Haftanstalt.“ Es gehe darum, den Anschluss zur Welt nicht zu verlieren. Es dürfe keine Entfremdung von der Außenwelt geben, wenn Resozialisierung gelingen solle.

Doch eines macht Thomas Galli auch klar „Eine Straftat darf sich nicht nur nicht lohnen, sondern muss auch teurer werden als rechtmäßiges Verhalten.“ Dieser Preis müsse abschrecken und es müsse eine hohe Aufklärungswahrscheinlichkeit geben.

Von Menschen, die der Meinung sind, dass man zu zärtlich mit Straftätern umgehe, fordert er mehr Verständnis, mehr Empathie, weniger Schwarz-Weiß. Man solle nie denken, nie in eine Situation geraten zu können, in der Gefängnis droht, gibt Thomas Galli zu verstehen. Und, dass es doch in aller Interesse sein müsse, dass Täter nicht wieder rückfällig würden.

„Mehr Verantwortung übernehmen ist wichtig“, sagt Thomas Galli: Täter gegenüber ihren Opfern und die Gesellschaft gegenüber Tätern. Er plädiert für Opfer-Täter-Begegnungen, spricht von deren heilenden Wirkung. 

Macht Gefängnis Sinn?

Die Konferenz von Anwalt und Autor Thomas Galli findet heute Abend im Drescherhaus in Dommeldingen statt. Beginn um 19.30 Uhr.

Beat
16. März 2023 - 10.28

Der Herr Galli hat nicht Unrecht. Mit 2% bin ich dabei, die restlichen 98% sind Unsinn.

Leila
15. März 2023 - 16.49

Mag sein, dass man es auf einige Vergehen anwenden kann, doch wer Opfer oder Angehöriger eines Opfers wurde, sieht es mit Sicherheit anders und will den Täter hinter Gittern sehen!