Max-Ophüls-Festival Drei junge Frauen an vorderster Front 

Max-Ophüls-Festival  / Drei junge Frauen an vorderster Front 
In Chile geht die Polizei brutal gegen die Demonstranten vor. Das ist Rayens Alltag, eine der drei Protagonistinnen des Films „Dear Future Children“. Foto: Nightrunner Productions & Schubert-Film

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Die diesjährige Auflage des Max-Ophüls-Festivals ist eine politische. Integration, Flucht, Heimat versus Globalisierung und politisch motivierter Aktivismus sind Themen, die in vielen Filmen immer wieder auftauchen. „Dear Future Children“ ist ein sehr persönlicher Film über drei Aktivistinnen in unterschiedlichen Teilen der Welt, die im Gegensatz zu Greta Thunberg niemand kennt. Dabei stehen sie an vorderster Front der Proteste und der staatlich angeordneten Gegengewalt. Der Film hat im Wettbewerb Dokumentarfilm den Publikumspreis gewonnen.

„Dear Future Children“ begleitet mit der Kamera drei Aktivistinnen aus den unterschiedlichen Teilen der Welt. In Chile kämpft Rayen für soziale Gerechtigkeit, Pepper in Hongkong für Demokratie und Hilda in Uganda gegen die Folgen des Klimawandels. Sie stehen an vorderster Front der Aktivisten, fürchten teilweise um ihr Leben. Ihr Engagement hat fatale Auswirkungen auf ihr Privatleben und zehrt an Energie und Lebensfreude. „Warum machen sie trotzdem weiter“ ist die Frage, der der Film folgt.

Rayen erlebt in ihrer Heimatstadt Santiago de Chile die brutale Gewalt der Polizei angesichts dessen ihr Engagement oftmals wie ein Himmelfahrtskommando wirkt. Dort setzt der Staat Gummigeschosse gegen die Demonstranten ein und zielt bewusst auf die Augen. „Ausgerechnet auf der Plaza de la Dignidad verlieren Menschen ihr Augenlicht“, sagt sie im Film. In Chile sind das Gesundheitssystem sowie die Trinkwasserversorgung privatisiert, die Einkommen niedrig und die Lebenshaltungskosten hoch. Die Gesellschaft ist jetzt schon geteilt in Arm und Reich – ohne Aussicht auf eine Änderung. Das mache sie wütend, sagt Rayen, die wider alle Umstände immer wieder für eine bessere Zukunft auf die Straße geht.

In Hongkong erinnert der Film an die Massenproteste gegen die Sicherheitsgesetze, die China 2019 in der Sonderverwaltungszone durchsetzen will. Für Pepper, die der Zuschauer nur mit Maske sieht und deren Name anonymisiert ist, um sie zu schützen, geht das zu weit. Die damalige Regierungschefin Hongkongs Carrie Lam verteidigt das Vorhaben. „Wir sind mit demokratischen Werten groß geworden und wollen keine Diktatur wie in China“, sagt Pepper in dem Film. Dafür kämpfen sie und viele andere ihrer Generation. Als das umstrittene Gesetzesprojekt im Juni 2019 dennoch verabschiedet wird, muss sie nach monatelanger Selbstisolation aus Angst vor Verhaftung fliehen. „Sie lebt jetzt irgendwo im Ausland“, heißt es im Abspann des Films.

Für Hilda ist eines ganz klar: Der Klimawandel ist längst in Uganda angekommen. Ihre Eltern haben nach Jahren der Dürre gepaart mit Sturzregenfällen, bei dem alle Pflanzen auf den Äckern der Familie weggeschwemmt wurden, ihren Hof verkaufen müssen. Das Geld ist irgendwann aufgebraucht und stürzt die Familie in Armut. Drei Monate lang kann Hilda nicht zur Schule gehen, weil das Geld dafür fehlt. Zum Zeitpunkt des Drehs studiert sie und wird zu einer lokalen Radiostation eingeladen. Auf die Frage, warum sie sich engagiert und in den Slums Flüsse von Plastikflaschen reinigt, sagt sie nur einen Satz: „Ich frage meine Mitstudenten immer, warum studiert ihr noch, wenn eure Zukunft derart ungewiss ist?“

Immer wieder wechselt der Film die Perspektive und den Erdteil, das Drehteam ist Teil der Unruhen und folgt den Protagonisten hautnah. Das Engagement der drei jungen Frauen hingegen folgt dem Gefühl, hier ist etwas grundlegend nicht in Ordnung und es wird viel zu wenig dagegen unternommen. Also müssen wir es machen. Das ist die logische Konsequenz für alle drei. Dabei geht es, wie der Titel des Films es schon suggeriert, nicht nur um ihr eigenes, sondern auch um die Zukunft ihrer ungeborenen Kinder.

Alle drei haben Angst vor der staatlichen Gewalt und ziehen ihre Motivation hauptsächlich aus ihren engsten Beziehungen wie die zu Freunden, zur Familie und zu Gleichgesinnten. Das, was sie in die Kamera sprechen, ist authentisch, ehrlich und offen, weswegen der Zuschauer direkt mit dabei ist. Es sind berührende Zeugnisse eines Lebens im Ausnahmezustand, das nur ein Ziel kennt: eine bessere Zukunft. Sehenswert!

Die Gewinner des Festivals

Bei der 42. Auflage des Max-Ophüls-Festivals wurden am Samstag 16 Preise im Wert von 118.500 Euro vergeben. Hier sind die wichtigsten: Kategorie Langfilm: Borga (Ghana, Deutschland 2021) von York-Fabian Raabe; Publikumspreis Langfilm: Borga (Ghana, Deutschland 2021) von York-Fabian Raabe; Kategorie Mittellanger Film: Tala’Vision (Deutschland, Jordanien 2020) von Murad Abu Eisheh; Kategorie Dokumentarfilm: Stollen (Deutschland 2020) von Laura Reichwald; Publikumspreis Dokumentarfilm: Dear Future Children (Deutschland, Vereinigtes Königreich, Österreich 2021) von Franz Böhm; Kategorie Kurzfilm: Fische (Österreich 2020) von Raphaela Schmid; Beste Regie und Drehbuchpreis: Arman T. Riahi für Fuchs im Bau (Österreich 2020)