„Töchter der Sonne“

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Ihre Familien und Freunde wurden von der Terrormiliz IS missbraucht und getötet. Die "Töchter der Sonne" schworen Rache und gründeten die erste Frauenkampfeinheit der Kurden im Irak.

Chatun Chider singt nicht mehr. Stattdessen redet sie. Dinge wie: „Ich will, dass die IS-Kämpfer wissen, dass sie nicht in den Himmel kommen werden. Weil sie von einer Frau getötet wurden.“ Die Jesidin war in ihrer Heimat im Nordirak einst eine bekannte Sängerin. Bis die Terrormiliz Islamischer Staat dort einfiel.

Der IS tötete die Männer, verschleppte, versklavte, missbrauchte und ermordete die Frauen. Ein Massaker, dass die Vereinten Nationen als Völkermord bezeichneten. Chider schwor Rache. Und gründete die „Töchter der Sonne“, die erste Frauenkampfeinheit der irakischen Kurden.

Flucht ins Gebirge

Es war Anfang August 2014, als der IS die Gegend um das Sindschar-Gebirge überrannte. Dort lebt die religiöse Minderheit der Jesiden, von denen Tausende Opfer der Terrormiliz wurden. Die Dschihadisten töteten und entführten Frauen vor ihren Augen, erzählt Sängerin Chider.

Zusammen mit Zehntausenden Jesiden flüchtet sie ins nahe Gebirge, das anschließend von den Extremisten belagert wird. „Ich war elf Tage lang in den Bergen gefangen“, sagt sie. Dann floh sie über das nahe Syrien in die kurdischen Autonomiegebiete. Mit einem Plan.

Gräueltaten

Sie ging zu einem Kommandeur der kurdischen Peschmerga-Truppen und und sagte, sie wolle kämpfen. Gegen den IS und seine Gräueltaten. Für die Ehre ihres Volkes, für die Würde der Frauen. Dem Befehlshaber gab sie eine Botschaft für Massud Barsani, dem Staatsoberhaupt des Autonomiegebiets, mit auf den Weg: „Wenn Präsident Barsani Söhne hat, die für das Land kämpfen, dann sage ihm bitte, dass er auch Töchter hat.“ Der Präsident genehmigte Chiders Gesuch.

Ob sie die feministische Antwort auf den IS sei? „Ja“, antwortet die 36-Jährige nur. Frauen seien im Irak generell ihrer Rechte beraubt. Doch sie wolle gleichberechtigt sein mit den Männern. Im kurdischen Autonomiegebiet sei das möglich.

150 Frauen

Heute ist Chider Kommandantin ihrer eigenen Einheit und befehligt 150 Frauen. Wenn diese „Töchter der Sonne“ in ihr Büro im Stützpunkt der Stadt Snuni nördlich des Sinjar-Gebirges kommen, dann grüßen sie militärisch. Beim Verlassen des Raumes, der von einem Bouquet aus Plastikblumen geschmückt wird, wenden sie ihrer Chefin niemals den Rücken zu.

1.780 weitere Frauen wollten in ihre Einheit aufgenommen werden, verrät die Chider mit ihrer leicht heiseren Stimme. Unter den Camouflageärmeln ihrer Uniform schimmern eine goldfarbene Kette und eine Armbanduhr in rosé hervor.
In Snuni, das aus den Händen des IS befreit wurde, und seiner Umgebung fahren die Soldatinnen heute Patrouille. Die Gebiete unter Kontrolle der Dschihadisten sind nur etwa 30 Kilometer entfernt. Die Menschen hier seien stolz auf sie, erzählen die Frauen.

Furchtlos

Was sie sagen, klingt fast wie einstudiert: Als die Tragödie des Massenmords geschah, habe sie Peschmerga werden wollen, sagt Soldatin Nofa Chider. „In der Zukunft sollte es niemandem mehr möglich sein, unsere Frauen zu töten“. Und natürlich: „Wir werden unser Land bis zum letzten Blutstropfen verteidigen.“

Sie machen sich gut auf Fotos und in Geschichten, als Frauen, die im Nordirak furchtlos gegen die barbarischen Dschihadisten kämpfen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es in der Autonomieregion, weibliche Peschmerga seien auch gut, um finanzielle Hilfen aus dem Ausland zu bekommen. Sie sind die Postergirls des Anti-IS-Kampfes. Ernsthafte Soldatinnen, aber eben auch ein wirkungsvolles PR-Instrument.

Ein bisschen PR

Doch im Gegensatz zu den kurdischen Soldatinnen in Syrien, der Türkei und dem Iran, scheinen die „Töchter der Sonne“ seltener in Gebieten an der Frontlinie eingesetzt zu werden. Chider beharrt darauf, dass ihre Einheit auch in heftige Gefechte verwickelt war – zum Beispiel, als sie zwei Jahre nach dem Einfall des IS in die Stadt Sinjar zogen. Der Ort ist fast völlig zerstört, der IS aber einige Kilometer in den Süden zurückgedrängt.

Damals hätten männliche Kämpfer an der Front sie zwar zurückhalten wollen. Doch diesen Ratschlägen habe sie sich widersetzt. „Wir wollten eine Nachricht an den IS senden, dass wir jetzt da sind“, sagt Chider. Verletzt oder getötet worden sei von ihrer Einheit glücklicherweise niemand. „Doch jedes Mal, wenn ich mein Zuhause verlasse und zur Arbeit gehe, sage ich meiner Mutter und meinem Vater, dass sie stolz sein sollen, falls ich sterbe.“