„Erdogan braucht die syrischen Flüchtlinge“

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Eine Delegation des Europaparlamentes, darunter der Luxemburger Frank Engel, war in der Kurdenmetropole Diyarbakir. Nun erhebt sie schwere Vorwürfe gegen die türkischen Behörden.

Eine kleine Delegation des Europäischen Parlaments, darunter der Luxemburger Frank Engel (EVP), hielt sich vergangene Woche gemeinsam mit zwei Nicht regierungsorganisationen in der Hauptstadt der Kurdengebiete in der Türkei, Diyarbakir, auf. Die beteiligten EP-Abgeordneten erhoben dieser Tage schwere Vorwürfe gegen die türkischen Behörden.

Die EP-Abgeordneten und die beiden Organisationen, das Elie-Wiesel-Netzwerk und das European Grassroots Anitracist Movement (EGAM), wollten sich ein Bild machen, wie es in den kurdischen Gebieten in der Türkei zugehe, erklärte uns Frank Engel.

Überraschungsbesuch

Angemeldet war die Reise nicht. Weshalb die beteiligte britische EP-Abgeordnete Julie Ward gleich bei ihrer Ankunft in der Türkei Schwierigkeiten bekam. Am Flughafen von Istanbul sei sie festgehalten und von türkischen Sicherheitskräften verhört worden, bevor sie ihre Reise nach Diyarbakir fortsetzen konnte, erzählte die Labour-Abgeordnete.

In der Hauptstadt der kurdischen Region hätten sie Zeichen „massiver Repression“ feststellen können, berichtete Benjamin Abtan, Koordinator des Elie-Wiesel-Netzwerks. Die historische Altstadt von Diyarbakir, die zum Weltkulturerbe der Unesco zählt, sei zu einem Drittel zerstört worden, so Frank Engel.

„Hier geht es nicht mehr um die Bekämpfung des Terrorismus“

„23.000 Menschen haben im Stadtviertel Sur ihre Häuser verloren“, sagte der EVP-Politiker. An die 270 Menschen seien allein in diesem Altstadtviertel Opfer der gewaltsamen Auseinandersetzungen geworden. Zwischen den Ruinen der alten Häuser hätte die türkische Armee breite Boulevards angelegt, um besser mit ihren gepanzerten Fahrzeugen durch das Viertel fahren zu können, erklärte Frank Engel und zeigte Bilder von Satellitenaufnahmen, die der Delegation von den Kurden gezeigt wurden.

„Hier geht es nicht mehr um die Bekämpfung des Terrorismus“, so das Fazit des luxemburgischen EU-Parlamentariers. Alle kurdischen Medienunternehmen hätten schließen müssen. Selbst ein kurdischer Kinder-TV-Kanal habe wegen der Anti-Terror-Maßnahmen seinen Betrieb einstellen müssen.

„Ethnische Säuberung“

Schockiert zeigte sich Julie Ward über Berichte kurdischer Bewohner, die die Leichen eines Familienangehörigen von den türkischen Behörden nicht zurückerhalten, um sie beerdigen zu können. Sie sprach sogar davon, dass nicht der ganze Leichnam zurückgegeben werde, das heißt, es fehlten Körperteile, so die britische EP-Abgeordnete.

Neben kurdischen Behördenvertretern wie dem Bürgermeister und der Ko-Bürgermeisterin von Diyarbakir – den Posten teilen sich eine Frau und ein Mann –, Politikern der Kurdenpartei HDP und kurdischen Familien hat die Delegation auch Gespräche mit lokalen Vertretern der in der Türkei regierenden AKP geführt. Diese würden alle Kurden in einen Topf schmeißen, sagte Frank Engel. Und die Zerstörung der Häuser in Diyarbakir werde damit gerechtfertigt, dass so die Gegend sicherer gemacht werde, ergänzte Julie Ward.

Benjamin Abtan seinerseits sprach von „willkürlichen Zerstörungen“, wo Menschen leben, die nicht „die richtigen Überzeugungen haben“, und von „ethnischen Säuberungen“. Und dies habe einen Grund. Die türkische Führung wolle, dass die syrischen Flüchtlinge in der Türkei bleiben und sich im Südosten des Landes ansiedeln. Damit soll Druck auf die dort lebenden Kurden gemacht werden, meinte Benjamin Abtan.

Typische Wählerschaft?

Diese Ansicht vertritt auch Frank Engel: „Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan braucht die syrischen Flüchtlinge.“ Diese seien in ihrer großen Mehrheit konservative Sunniten, also „die typische Wählerschaft“ des türkischen Präsidenten. Hinzu komme, dass Erdogan den syrischen Flüchtlingen im Juli die türkische Staatsbürgerschaft angeboten hat. In den Kurdengebieten soll demnach die ethnische Zusammensetzung geändert werden, so die Vermutung.