Die Tageblatt-Reportage aus Trumps Manhattan

Die Tageblatt-Reportage aus Trumps Manhattan
(Reuters/Mike Segar)

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Das Tageblatt verfolgt Donald Trumps Wahlsieg live für Sie in den Straßen von Manhattan. Eine Reportage über seine Jünger, Wut, Ängste – und erstaunlich viel Gelassenheit.

1.40 Uhr Ortszeit: Der Times Square schläft. Die Menschen finden sich langsam damit ab, dass Hillary Clinton es nicht mehr schaffen wird. Lange Gesichter so weit das Auge reicht. Es herrscht Totenstille. In so ziemlich jedem Imbiss, Café oder Restaurant hängen die Menschen über ihren Gläsern und Tellern.

Einen Block weiter spielt sich das genaue Gegenteil ab. Donald Trumps Jünger haben sich vor ihrem Tempel versammelt: dem Hauptsitz von Fox News in New York. Riesige Bildschirme, Lautsprecher und ein Meer aus roten und weißen Trump-Caps bilden einen bizarren Politteppich vor dem Medienhaus.

Wie beim Football

Man fühlt sich wie beim Public Viewing eines Football-Spiels: Die Menschen kippen ihr Bier runter, johlen für die Kameras und feiern ihren „The Donald“ bei jedem neuen Etappensieg, der von Fox-News-Moderatorin Megyn Kelly verkündet wird. Irgendwann kippt die Stimmung jedoch.

Aus Jubel wird wütendes Geschrei. Es fangen Streitgespräche zwischen Trump-Anhängern und Clintons Unterstützern an. Ein hochgewachsener Demokrat hinterfragt die absurde Logik eines Trumpisten. Sie scheinen schon eine Zeit lang zu streiten.

„Was soll das mit deinen Verschwörungstheorien?“

„Was soll das mit deinen Verschwörungstheorien? Erklär mir, wie du das meinst! Ich verstehe kein Wort von dem, was du mir da erzählst.“ Der angetrunkene Trump-Fan wehrt sich: „Das ist genau das Problem mit euch. Ihr glaubt, ihr wärt so unglaublich smart. Ich muss dir gar nichts erklären. Du verstehst es sowieso nicht!“

Unterdessen läuft ein afroamerikanischer Trumpist vorbei. Er grinst zufrieden und lächelt einen freundlich an. Unmittelbar daneben steht eine junge Frau, die Passanten filmt. Ein Mann in einer schrägen Trump-Uniform läuft ihr vor die Kamera. Er wird wütend und zeigt ihr mit dem Zeigefinger genau ins Gesicht: „Siehst du! Ihr elenden Hipster seid das Problem. Immer und überall müsst ihr eure Kameras dabei haben.“ Sie nimmt es mit Humor, lacht und geht einfach in der Menge weiter.

Auch bei Jugendlichen beliebt

Das Meer aus Schaulustigen wird breiter. Ein junger Mann mit arabischem Akzent schaut um sich und sagt ganz gelassen: „Trump gewinnt, yeah Baby.“ Man merkt es: „The Donald“ kommt auch bei Jugendlichen und Studenten sehr gut an. Auch andere Kritierien scheinen nicht zu gelten: Asiaten, Afroamerikaner, selbst Amerikaner mit Kippas finden sich unter den Trump-Unterstützern.

Eine kleine Gruppe macht Stimmung und schreit in die Runde. Die zwei Jungs und Mädchen sind harmlos. Sie quasseln ganz aufgeregt. „Hat er es schon geschafft? Schau mal auf Twitter! Hast du was gefunden? Komm, geh auf Snapchat, mach schon!“, ruft eines der Mädchen. Der junge Trump-Fan kichert und liest gewissenhaft die unterschiedlichen News-Sites durch.

Rote Kappen, leere Blicke

„Mann, Fox News ist wieder so langsam. Die anderen haben ihn in Wisconsin schon zum Gewinner erklärt. Was soll das?“, fragt er genervt. Trump kommt mittlerweile auf 246 Stimmen. 270 braucht der orangefarbene Demagoge zum Sieg.

Rote Kappen, leere Blicke und eine sonderliche Mischung aus Glatzen und White Trash: Nicht alle der anwesenden Trump-Fans sind so nett und harmlos wie die Kids. Sie johlen „Aufhören, aufhören, aufhören“. Man weiß nicht, ob es Clinton oder dem Wahlprozess gilt. Es herrscht Durcheinander wegen Pennsylvania und Wisconsin. Die meisten haben den Überblick verloren.

„Danke, WikiLeaks!“

Es stört aber niemanden. Die Buhrufe gehen weiter. Gleichzeitig ist eine enorme Vorfreude zu spüren. Sie wissen, dass Trump es geschafft hat. Ihre Freude wirkt grenzenlos. Es ist mittlerweile 2.10 Uhr.

„Danke, WikiLeaks! Ah, die sind so geil. Was hätten wir ohne sie gemacht?“, kreischt ein kugelrunder Trump-Unterstützer. Sein drahtiger Freund antwortet: „Ja, Assange ist ein Held. Trump soll ihm jetzt helfen.“ Die beiden wirken wie Dick und Doof, doch ihre Argumente finden in der Menge Gehör. Man spürt, dass sie sich vom Staat verraten und für dumm verkauft fühlen. Das Misstrauen gegenüber Clinton und den Demokraten könnte nicht größer sein.

„Sie ist der Teufel!“

„Sie ist der Teufel!“, ruft der dicke Trumpist. „Weißt du noch mit 9/11?“ Sein Freund murmelt „Ja, ja“, hat aber keine Ahnung. Egal. Hauptsache Protest. Die beiden stellen sich zu einem Trump-Fan mit asiatischen Wurzeln. Andrew erzählt ihnen, dass sein Großvater ein nordkoreanischer Flüchtling gewesen sei.

„Ich bin zum Studieren nach Brooklyn gezogen. Ich bin aus Kalifornien“, erzählt der sanfte Amerikaner wohlartikuliert. Andrew, der mit seiner weißen Trump-Kappe wie ein 15-Jähriger aussieht, nimmt das Ganze etwas rationaler: „Clinton ist eine Marionette. So etwas kann ich nicht unterstützen.“ Seine Gesprächspartner nicken mit dem Kopf.

„Das ist Faschismus“

„Die Medien haben zu 97 Prozent für Hillary gestimmt. Das ist doch das Schlimmste. Das ist Faschismus, wenn sich die Medien mit der Regierung verbrüdern.“ Sie rufen alle begeistert „Yeah, man, yeah“. „Das ist wie in ‚1984‘, dem Roman, weißt du?“

„Trump, Trump, Trump, Trump“, johlt die aufgeheizte Menge in regelmäßigen Abständen. Andrew und der Rest sprechen mittlerweile über Mangos und Papayas. Auch hier gelingt es ihnen, eine Verschwörung einzubauen. Übergänge gibt es keine.

„Wenn die Mauer mal da ist“

„Haben die Russen die Raketen schon abgefeuert?“, fragt ein Trump-Fan mit albanischen Wurzeln. „Wieso das denn? Trump sucht doch die Nähe zu Russland“, antwortet Andrew leise. Er merkt mittlerweile, dass jemand ihm zuhört.

„Ja, eben. Obama hat Putin doch daran gehindert, den Shit aus dem IS zu bomben. Jetzt kann er loslegen.“ Man merkt es: Das ist auch für Andrew zu stumpf. Er lächelt freundlich, sagt aber nicht mehr ganz viel.

„Es ist doch nicht schwer: Jeder ist willkommen, aber er soll sich wie ein Amerikaner benehmen“, philosophiert der albanische Amerikaner. „Ich habe doch auch für meine Frau Englisch gelernt und mich angepasst. Ist das zu viel verlangt?“ Andrew stimmt zu: „Ja, mein Großvater musste sich auch zusammenreißen. Wenn die Mauer mal da ist, läuft alles wieder geregelt ab. Dann kommt auch keiner mehr illegal rein.“

Knapp 20 Minuten später ist Donald John Trump der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.