„Der Auslöser für alles Weitere“

„Der Auslöser für alles Weitere“
(AP/Archiv)

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Am Donnerstag veröffentlichte „paperjam“ ein Schreiben von dem suspendierten SREL-Agenten André Kemmer. Kemmers Aussagen lassen den ehemaligen Premier Jean-Claude Juncker in einem sehr schlechten Licht erscheinen.

Einsichten über seine Version der Motive hinter der „Sache mit der Uhr“, wie das Dokument betitelt ist, gibt nun der suspendierte SREL-Agent André Kemmer. Am Donnerstag publizierte paperjam.lu eine 14-seitige Notiz, welche Kemmer für seinen Anwalt angefertigt haben soll.

Das Kernstück behandelt ein Treffen zwischen den SREL-Agenten Marco Mille, Frank Schneider und André Kemmer mit dem damaligen Premierminister Jean-Claude Juncker. Zu diesem Zeitpunkt ist der SREL noch nicht im Besitz der ominösen verschlüsselten CD, auf der ein Gespräch im Rahmen der Bombenleger-Affäre zwischen dem Großherzog und Jean-Claude Juncker aufgezeichnet sein soll. Der SREL weiß jedoch um die Existenz einer solchen CD, welche sich im Besitz von Loris Mariotto, einem Freund Kemmers, befinden soll. Darüber wurde Juncker informiert und der Premier fordert nun sofort „Erklärungen“.

Die Aussagen Kemmers über den Verlauf des „Gesprächs“ zwischen den drei Agenten und ihrem politischen Chef rücken den Staatsminister in ein sehr schlechtes Licht. Diese Geschehnisse seien „der Auslöser für alles Weitere“, meint Kemmer.

Es folgt der besagte Ausschnitt: „Gegen Abend trafen wir (Kemmer, Schneider und Mille, Anm. der Red.) in seinem Büro ein. Es roch nach abgestandenem Tabak und ein bedrohlicher Duft von Alkohol lag in der Luft. Halb torkelnd trat er (Juncker, Anm. der Red.) hinter seinem von Akten und Zeitungen überladenen Schreibtisch hervor.

Er reichte Schneider die Hand, begrüßte Mille und mich mit herablassendem Blick. Was nun folgen wird, habe ich weder gegenüber dem Kontrollausschuss noch der Kriminalpolizei erwähnt. Dennoch sehe ich es nun als zwingend, die Geschehnisse so zu schildern, wie sie sich uns an jenem Abend darboten. Denn sie sind der Auslöser für alles Weitere.

Juncker war stockbetrunken, bestellte sich zwei Espresso und bat uns, am Tisch Platz zu nehmen. Ohne einleitende Worte fing er an, Mille zu beleidigen. „Ich ficke wo, wen und wann ich will. Hast du mich verstanden? Auch du könntest ficken, aber du kannst es ja gar nicht, deine deutsche Genauigkeit … verbietet es dir.“ Während circa fünf Minuten setzte Juncker seine massiven Beleidigungen gegen Mille fort, die ich hier aus moralischen Bedenken nicht näher schildern möchte.“

Die Agenten stecken nach Aussagen Kemmers den Ausfall des Premierministers ein – Mille wird kreidebleich, Schneider bleibt souverän. Seit diesem Auftritt sah sich der Staatsministers durch sein Benehmen „einem selbst erschaffenen Feind, der im Bedarfsfall die CD gegen ihn verwenden wird“ gegenübergestellt.

Laut paperjam soll Mille beim Herausgehen seinen beiden Untergebenen gesagt haben: „Ich bringe ihn um.“ Diese Aussage findet sich jedoch nicht in dem Dokument Kemmers wieder.

Konstruktiv sei das Gespräch nach der Verbalattacke jedenfalls nicht mehr gelaufen und man hätte Juncker nur zum Teil darüber in Kenntnis setzen können, was Mariotto dem SREL über den Inhalt der CD gesagt habe. „… insbesondere in dieser Angelegenheit, stellte sich heraus, dass es gefährlich war, ihm (Juncker, Anm der Red.) zu sagen, was er nicht hören wollte.“ Der Staatsminister hätte sich dafür entschieden, dass es sich bei der angeblichen Aufnahme auf der CD um eine Fälschung handele.

Wirbel um den „tourbillon“

Kemmer behauptet allerdings auch, dass Juncker ihm am Ende der Unterredung den Auftrag erteilt habe, ihm die CD zu besorgen – was dieser danach auch seinen beiden Kollegen weiter erzählte. Was er jedoch laut Dokument nicht erzählte, war: Juncker „blickte mir direkt ins Gesicht und sagte fast flüsternd: ‚das Wort tourbillon hat er (der Großherzog?, Anm. der Red.) gesagt‘.“

Dieses Wort „tourbillon“ jedoch hatte auch Loris Mariotto dem Großherzog in den Mund gelegt, als er dem SREL erzählte, um was sich das Gespräch auf der CD drehte. Im Dokument steht dazu: „(Die Sache mit dem Prinzen hat unsere Familie bereits in der Vergangenheit in einen ‚Strudel‘ gezogen. Der Großherzog soll das Wort ‚tourbillon‘ benutzt haben.)“

Das Schreiben erinnert durch seine teils wenig nüchterne Beschreibung von den Geschehnissen, an einen Auszug aus einem schlechten Spionageroman, jedenfalls nicht unbedingt an einen von einem Beamten gefertigten Bericht. Fest scheint jedenfalls zu stehen, dass das Dokument vor den Wahlen verfasst wurde.

Am Donnerstag erschien es dann auch pünktlich zu der ersten Sitzung der SREL-Kommission, welche ohne Präsenz Junckers und ohne Präsenz der CSV stattfand.

Der 14 Seiten lange Text behandelt zu einem weiten Teil auch die Vorgeschichte zwischen André Kemmer und Loris Mariotto. Kemmer bringt etwa die Geschichte zu Papier, wie Mariotto die CD erhalten haben soll. Kemmer erzählt in einer längeren Passage aber auch, wie er den damals schon mit ihm befreundeten Italiener bei der Absturzstelle der Luxair-Fokker zwischen Roodt-Syr und Niederanven Minuten nach dem Vorfall antrifft.

Rundumschlag gegen Politik und Justiz

In dem Text setzt André Kemmer jedoch auch zu einem regelrechten Rundumschlag an und prangert die seiner Meinung nach nicht vorhandene Gewaltentrennung beim Staat an. Er stellt das Machtspiel zwischen den Institutionen in den Affären Bommeleeër und SREL in Frage.

Während die Politiker der SREL-Kontrollkommission „vor allem aus politischem Eigennutz“ gehandelt hätten, gab es bei den Zeugen Juncker und Santer „Amnesia Politica“.

Vor allem für die Politiker der damaligen Opposition könnte sich die Geheimdienstaffäre noch als „Tragödie im griechisch klassischen Sinne herausstellen“, meint Kemmer. Laut den Regeln der griechischen Tragödie gelangen die Protagonisten durch ihre Verstrickung in die Handlung in eine ausweglose Situation, welche sie zu schuldlosen Schuldigen macht.

Auch Kemmer selbst scheint sich in einer solchen Rolle zu sehen. Es war sein „freundschaftliches Verhältnis“ zu Loris Mariotto, das ihn in diese Lage brachte. Mariotto hatte Kemmer von der Existenz der CD erzählt. Danach musste sich Kemmer zwischen Mariotto und seiner Pflicht, als „Geheimdienstler, Polizist, OPJ, Militär“ den Staatsminister und Großherzog zu unterrichten, entscheiden. Er entschied sich für Juncker, so wie er sich danach auch entscheiden sollte, den Premier davon in Kenntnis zu setzen. Marco Mille habe – auch durch Kemmers Hilfe – das zweite Gespräch per Spionage-Uhr aufgezeichnet.

„Ich bereue beides“, meint hierzu Kemmer, gibt aber im Laufe des Dokumentes Gründe an, warum er sich dazu entschieden hatte, Juncker im Wahljahr 2007 von der „Sache mit der Uhr“ zu erzählen. „Ich wusste um das schlechte Verhältnis des Staatsministers zu Mille. Ich wusste auch, dass Mille Kontakte und über politischen Einfluss verfügte.

Irgendwann entschied ich mich dafür, Junckers ehemaligen Fahrer und Leibwächter, R. Mandé in Kenntnis zu setzen.“

Kemmer bedauert Leak

In einer Mitteilung am Donnerstagabend hat Ex-Geheimagent André Kemmer die Veröffentlichung seiner Notizen bedauert. Die Niederschrift sei für ihn selbst und nicht für andere bestimmt gewesen. Als er diesen „Entwurf“ schrieb, habe er nicht gewusst, ob er ihn jemals publik machen würde, so André Kemmer. Ein ehemaliger Kollege Kemmers habe eine Kopie erhalten, um sich womöglich an weitere Details zu erinnern. Nur sein Ex-Kollege kann das „Leck“ sein, wodurch das 14-seitige Papier an die Medien durchgesickert sei.