Chodorkowski landet in Berlin

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Nur Stunden nach der Begnadigung von Kremlchef Putin landet sein Erzfeind Chodorkowski in Berlin. Es ist der vorerst letzte Akt in einem zehnjährigen Drama.

Wie in einem Agententhriller ist die Ausreise des einst reichsten Mannes und bis zuletzt prominentesten politischen Gefangenen Russlands nach Deutschland inszeniert. Abflug per Helikopter, weiter mit einem Privatjet, auch ein Pass und das nötige Visum liegen schon bereit – staunend verfolgt Russland jede spektakuläre Wendung im Fall Michail Chodorkowski.

In Deutschland will der schärfste Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin nach offiziellen russischen Angaben seine krebskranke Mutter treffen. Die ist aber noch in Russland, sagt sie selbst. Überhaupt wirken die Eltern völlig überrascht. Sie richten aus, sie hätten ihren Mischa in der russischen Hauptstadt erwartet. Auch Tochter Anastassija Chodorkowskaja gibt noch Interviews in Moskau.

Putins plötzliche Milde

Von Putins plötzlicher Milde profitiert derweil nicht nur der frühere Öl-Milliardär. Auch andere Gegner lässt Putin im Zuge einer Massenamnestie auf freien Fuß setzen, schon bald sollen die beiden inhaftierten Punkmusikerinnen der kremlkritischen Band Pussy Riot folgen. Ihre Verwandten sind bereits in die Straflager gereist.

Doch Kritiker des früheren Geheimdienstchefs Putin vermuten hinter diesen Zugeständnissen an den Westen nicht viel mehr als geschickte Winkelzüge. Der Druck auf Russland war angesichts eines kritischen Dauerfeuers von Menschenrechtlern an der Lage im Land enorm. Immer mehr westliche Politiker verzichten auf Reisen zu den ersten Olympischen Winterspielen in Russland, die am 7. Februar beginnen. Im Schwarzmeerort Sotschi hat Putin alles für einen in der olympischen Geschichte einmaligen Aufwand herrichten lassen – ein Ringe-Spektakel der Superlative, mit Kosten von mindestens 37,5 Milliarden Euro.

Westliche Signale unübersehbar

Nun sind die Signale an den Westen unübersehbar: Auf Drängen des Internationalen Olympischen Komitees IOC lässt Putin ein Demonstrationsverbot in Sotschi aufheben, das während der Wettbewerbe gelten sollte. Diese Woche dann die Massenamnestie für seine in Straflager verbannten Gegnerinnen der Punkband Pussy Riot und für Umweltschützer der Organisation Greenpeace. „Eine vegetarische Zeit Putins“ – so beschreibt es die Zeitung „Wedomosti“. Und das Boulevardblatt „MK“ sieht sogar Sensationen allerorten.

Viele fragen sich, ob Putin tatsächlich die Zügel lockert. Oder wird mit dem Erlöschen des Olympischen Feuers alles vorbei sein? Immerhin sind die vielen vom Westen kritisierten Gesetze weiter in Kraft – gegen Nichtregierungsorganisationen, gegen die Opposition, gegen Homosexuelle. Die Staatsduma verabschiedet im Trubel erneut ein umstrittenes Gesetz. So macht sich strafbar, wer Unabhängigkeitsbestrebungen russischer Regionen unterstützt.

„Freiheit gegen Exil im Ausland“

Auch halten sich in Moskau Gerüchte über eine Abmachung der Erzfeinde. So vermutet der prominente Politologe Dmitri Trenin vom Carnegie Center in Moskau, dass Chodorkowski seine Freiheit gegen Exil im Ausland eintauschen musste. Zur Hoffnung auf eine echte politische Wende in Russland sehen Kommentatoren keinen Grund. Mit einem klaren „Nein“ im Leitartikel antwortete „Wedomosti“ sich selbst auf die Frage, ob Chodorkowskis Freiheit nun auch für Russland eine neue Zeit bedeute.

Es gelte weiter das Recht des Stärkeren in Russland, wo Sicherheitsorgane anscheinend oft alles dürfen, und Bürger sich in ihren Freiheiten zunehmend eingeschränkt sehen. Für Putin sei Chodorkowskis Gnadengesuch eine „Kapitulation“, betont das Blatt. Der Kremlchef benutze ihn nur, um sein eigenes Image zu bessern, vor Olympia seine Kritiker zu beruhigen – und der wirtschaftlichen Stagnation einen möglichen Impuls zu geben. Seinen Gegner, so das Fazit der Analysten, habe er in einen echten „Trumpf“ verwandelt.