Das IOC hat bereits verloren

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Chris Schleimer über den Dopingskandal in Russland.

Der Dienstag 5. Dezember 2017 wird in die Sportgeschichte eingehen. Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), wird am Abend in Lausanne die Sanktionen gegen Russland bekannt geben. Kommt es zum Komplett-Ausschluss für die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang, dürfen die russischen Athleten unter neutraler Flagge starten oder können sich die Russen für 100 Millionen Dollar freikaufen? Die Palette ist breit gefächert und Ringe-Chef Bach ist immer wieder für eine Überraschung gut. Eines steht aber jetzt schon fest: Der große Verlierer ist das IOC.

Die Beweislast gegen Russland ist erdrückend. Nachdem die vom IOC ins Leben gerufene Oswald-Kommission ihre Urteilsbegründung für die lebenslangen Sperren gegen russische Athleten auf den McLaren-Bericht stützte, hat sie das institutionalisierte Doping in Russland anerkannt. Demnach bleibt dem Exekutivkomitee des IOC eigentlich nichts anderes übrig, als Russland von den Winterspielen 2018 auszuschließen. Eigentlich! Denn auch vor anderthalb Jahren war die Beweislast gegen Russland bereits riesig, doch damals gab das IOC die Verantwortung an die Verbände ab, die entscheiden mussten, ob russische Athleten eine Starterlaubnis für die Sommerspiele in Rio erhalten würden oder nicht.

Wie früher in der Schule

Diesmal kann sich das IOC seiner Verantwortung zwar nicht entziehen, doch durch das inkonsequente Vorgehen der letzten Jahre hat das Internationale Olympische Komitee den Dopingskandal um Russland nur noch verschlimmert. Hätte man sofort durchgegriffen und eine reale Null-Toleranz-Politik verfolgt, wäre Russland bei der Erneuerung seines Sportsystems wohl schon wesentlich weiter, als das Land es jetzt ist. Mit einem sofortigen Durchgreifen hätte man sich die Posse der letzten Monate sparen können. Doch so lange das IOC als oberster Wächter des Weltsports das staatlich gelenkte Betrugssystem nicht anerkennt, fühlt Russland sich in seiner Politik des Leugnens bestärkt.

So komplex einem das ganze Szenario erscheinen mag, so einfach lässt es sich erklären: Es ist wie früher in der Schule. Fünf Schüler versuchen, während der Prüfung zu spicken, vier Schüler kommen damit durch, der fünfte wird erwischt, bestraft und fühlt sich ungerecht behandelt. So ähnlich geht es Russland. Dass andere auch betrügen, ist allerdings kein Argument, um den überführten Falschspieler nicht zu bestrafen. Wer aber denkt, dass Russland als einzige Nation im großen Stil dopt, der ist – um es mal vorsichtig auszudrücken – ziemlich naiv. Nachdem der Russland-Skandal vom deutschen Journalisten Hajo Seppelt aufgedeckt wurde, hat das IOC genau wie die Welt-Antidoping-Agentur es versäumt, auch in anderen Ländern genauer hinzusehen. Auch deshalb sieht sich Russland in der Opferrolle.

Am Dienstag muss das IOC also zum ersten Mal Farbe bekennen. Kommt Russland mit einer symbolischen Strafe davon oder kann sich freikaufen, bedeutet das den definitiven Verfall des sportlichen Fair-Play-Gedankens. Kommt es zum Komplett-Ausschluss für Russland, hat das IOC zwar Stärke demonstriert, dies allerdings anderthalb Jahre zu spät. Der Verlierer steht damit bereits vor der Sitzung in Lausanne fest.