KlangweltenLuxemburg-Spezial: Maz and Jazz

Klangwelten / Luxemburg-Spezial: Maz and Jazz
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Jeden Samstag nehmen unsere Musikspezialisten mehrere Alben genauer unter die Lupe. Diese Woche sind drei Künstler aus Luxemburg an der Reihe: Der Rapper Maz, das Jazz-Kollektiv Pol Belardi’s Force und der Jazz-Pianist Michel Reis.

Träume zum Leben erwecken

Maz hat mit seinem Schritt in die luxemburgische Szene 2018 eine Tür aufgestoßen. Damit ging ein Windstoß durch den nationalen Hip-Hop, der einigen Textkünstlern den Schreibblock aus den Fingern riss. Mit „Sleepwalker“ legt der junge Rapper jetzt nach – und lässt keinen Zweifel daran, dass er in einer anderen Liga spielt.

„It’s like we just leave them to die.“ Mit dieser Eingangsline im Opener „Lost Control“ macht Maz zwei Dinge klar. Erstens, jetzt folgen ein paar ordentliche Brocken, dieses Hören wird kein akustischer Sonntagsspaziergang. Und zweitens, der Junge hat Eier. Wer so anfängt, setzt die Maßstäbe hoch an und ist danach gebeten, zu liefern. Und glücklicherweise lässt sich feststellen: Maz liefert (fast) auf ganzer Linie.

„Lost Control“ setzt die Weichen für eine Konzept-EP: Die Motive des Schlafs und des Traums winden sich wie ein Ariadnefaden durch das musikalische Spiegellabyrinth aus hart geflowten Stakkatos und einfühlsamen Gesangspassagen. Der hier angedeutete Ikarus steht sinnbildlich für den Träumer, der dem Labyrinth entkommen will und sich an der Sonne nicht die Flügel, sondern die Zunge verbrennt. Das Chaos bleibt, wenn auch in wilden Reimen umschrieben, letztlich unerklärlich. Maz’ Antwort? Umarme den Kontrollverlust, verliere dich im Labyrinth.

Das darauf folgende „Nightmare“ entfaltet das Traummotiv weiter. Auch wenn der Rapper hier offensichtlich eine persönliche Erfahrung verarbeitet, bleibt unklar, wie viel von Blut und Tinte hier als Metapher funktioniert und wie viel aus der Realität in die Zeilen geschwappt ist. An der Eindringlichkeit des durchlebten Alptraums ändert die Vieldeutigkeit nichts – man kann den Rauch zwar nicht greifen, doch den Atem raubt er trotzdem.

„Wake up“ ist ganz klar als Hymne an eine Generation Z gerichtet, als deren Teil Maz sich selbst versteht. In der Wohlstandsblase der weißen, westlicher Mittelklasse aufgewachsen, passen die Träume der Jugend nicht in die Konventionen, die vorangegangene Generationen errichtet haben, und drohen unter den Rädern der unbarmherzig weiter rollenden Realität zermalmt oder zu Neurosen gepresst zu werden. „Coma“ führt die evozierten Themen zusammen mit den kongenialen Postrockern von Pleasing weiter und besingt die Flucht ins Ungesehene, in die Finsternis, die niemanden mit Fragen traktiert. Der hedonistische Eskapismus als Antwort auf das unausweichliche Scheitern wird in einer kraftvollen Ambivalenz ästhetisch hochstilisiert und zugleich kritisch zertrümmert. „Nothing is ever gonna be great.“

Der im Anschluss folgende Titeltrack ist trotz der technischen Brillanz der Flowpassagen das schwächste Stück der Platte. Die Battle-Attitüde, die zum Teil durchscheint, mag im Rap ein unabdingbares Accessoire zum Aufbau einer Larger-than-Life-Persona sein, sie konterkariert indes die reflektierte, menschliche Seite, die in den anderen Songs zum Tragen kommt. Das Stück hätte auf der ersten Platte „Immortalisation“ seinen Platz gefunden, hier waren die Texte noch sehr konkret und auf das Ich fokussiert. Auf der neuen EP eröffnet Maz allerdings eine Abstraktionsebene, die dazu führt, dass „Sleepwalker“ wie ein liegengebliebener Fremdkörper aus früheren Zeiten daherkommt – thematisch nicht verfehlt, aber vom Gefühl her eine Delle in einem ansonsten runden Gesamtkonzept.

Das Outro ist nochmal eine Retrospektive in das selbstreferenzielle Spiegellabyrinth, verbaut die einzelnen Parts zu einer intertextuellen Nabelschau und schwebt auf süßen Klänge ins zeitlose Nichts. Und dann kommt der Bonustrack. Es ist fraglich, weshalb Maz nicht „Vicious Circles“ mit Them Lights an die Stelle von „Sleepwalker“ gesetzt hat – die Wut in den Lines und im Beat ist zwar artifiziell, aber wirkt weniger gekünstelt als im Titeltrack. „Sunset“ wäre ein runder Abschluss gewesen, aber „Vicious Circles“ lädt ein, die Platte nochmal von vorne zu hören. Und das sagt eigentlich schon alles: Mit der „Sleepwalker“-EP hat Maz einen Schritt in die internationale Dimension des Conscious Rap gesetzt. Es ist zu hoffen, dass dieser Schritt gehört wird.

Von Tom Haas

WERTUNG: 9/10
ANSPIELTIPPS: Coma, Wake Up, Lost Control


Junges, kreatives Jazz-Quartett

David Fettmann ist ein hervorragender Altsaxofonist. Sein Instrument klingt so, wie ein Altsaxofon klingen sollte, sein Spiel ist nuancenreich, so manch fließende Legato-Phrasierung virtuos. Wenn dieses Instrument allerdings nicht unbedingt zu den Lieblingsinstrumenten eines Hörers zählt, gehen einem diese Phrasierungen dann doch irgendwann leicht auf den Zeiger, vor allem dann, wenn ein Album eine Länge von über 73 Minuten hat.

Dieser Kritikpunkt ist völlig subjektiver Natur und der Kategorie reine Geschmackssache zuzuordnen. Schade ist nur, dass durch die vielen Saxofon-Passagen die anderen Instrumente etwas in den Hintergrund geraten. Dabei sind die drei restlichen Posten in diesem Quartett ebenfalls vorzüglich besetzt, nämlich mit dem 30-jährigen Bandleader und Komponisten sämtlicher Stücke am Bass, Jérôme Klein am Klavier und Niels Engel am Schlagzeug.

Im einleitenden Titeltrack ist noch alles perfekt: Marcus Miller meets Joshua Redman, der ausnahmsweise Alt spielt. Das Stück ist ein kleines Meisterwerk an raffinierten Taktwechseln, vorangetrieben vom funkigen E-Bass und den Synkopen des Drummers, dann wechseln sich Saxofon und Piano mit pointierten melodiösen Solopassagen ab. Der zweite Track erinnert zu Beginn stark an e.s.t. oder deren Nachfolge-Formation Rymden. Auch hier kommt Klein wunderbar zum Zug. Anfangs originell flankiert von sehr hellen Jan-Garbarek-ähnlichen Saxofon-Tönen, erinnert der dramatische Aufbau gegen Ende an Lyle Maes’ Spiel in den besten Tagen der Pat Metheny Group.

Highlights sind dann noch „Gentle Giants“, wohl eine Anspielung auf Coltranes „Giant Steps“ genannte Harmoniesprünge, „January 5th“, in dem es ein Bass-Solo gibt, „Drive“, das mit Elektronik-Sounds aufgemotzt wird und in dem Klein rasante E-Piano-Passagen beisteuert sowie ganz am Ende „Constructed Emotion“, dessen letzte anderthalb Minuten voll und ganz dem Schlagzeuger gehören, der hier alles in Grund und Boden klöppelt.

Das Quartett lässt es nach dieser Tour de Force vergleichsweise ruhig, fast schon schnulzig ausklingen mit einer gesungenen Version von „Heartbeat Pulse/Sync“, einem Bonus-Track, bei dem Gastsängerin Claire Parsons mitwirkt. Doch auch das ist wieder Geschmackssache.

Von Gil Max

WERTUNG: 8/10
ANSPIELTIPPS: Organic Machines, Melancholic Mechanical Mind, Drive, Constructed Emotion


The Piano

Nach der Einspielung „Once in a Blue Moon“ mit seinem Jazz-Trio Reis/Demuth/Wiltgen im letzten Jahr hat der Pianist Michel Reis bei seiner derzeitigen Plattenfirma CAM Jazz nun auch ein Soloalbum veröffentlicht. Es heißt „Short Stories“ und klingt auch so. Reis erzählt insgesamt 14 Geschichten, in die der Hörer – mal mehr, mal weniger – abtauchen und zu denen er laufende Bilder von Menschen und Ereignissen assoziieren kann.

Es beginnt recht verhalten. Die ersten drei, vier Stücke reißen einen nicht unbedingt vom Hocker, obwohl sie durchaus prägnante Melodien beinhalten. Das schöne „From the Eyes of Old“ erinnert etwas zu sehr an „The Heart Asks Pleasure First“ aus dem Film „The Piano“, bei „How It All Began“ setzt sich die Hauptmelodie fest, doch irgendwie fehlt eine Weiterführung des Themas und „Monologue“ geht in Richtung „Conversations with Myself“ von Bill Evans, bloß dass es hier den 2. Klavierpart, der dem ersten antwortet oder widerspricht, nicht gibt.

So hat man zu Beginn einiges zu bemängeln, bis Reis bei dem 7-minütigen „Could I See You Again“ so richtig loslegt und unterstreicht, dass es sich bei dieser Produktion doch um ein wahrhaftiges Jazzalbum handelt, denn nun kann man nur noch staunen und atemlos zuhören. Gegen Mitte des Songs erwartet man jeden Augenblick das Aufstöhnen und Schreien des Pianisten, so sehr erinnert das virtuose – mit Sicherheit zum Teil improvisierte – Klavierspiel hier an den großen Keith Jarrett.

Auch im „Eugene and Valentina Main Theme“ passiert viel, während dem 37-jährigen Luxemburger bei „Awakening“ Keith und Esbjörn gleichzeitig über die Schulter schauen. Bei einigen der ruhigeren Nummern hingegen kann man sich erneut des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas fehlt, vielleicht mal ein Akkordeon oder eine Trompete, wie bei Richard Gallianos „Mare Nostrum“-Projekt, die Reis’ Geschichten in Form von überraschenden Wendungen an manchen Stellen weitererzählen könnten.

Von Gil Max

WERTUNG: 7/10
ANSPIELTIPPS: From the Eyes of Old, Could I See You Again, Awakening