Jugendhaus EschZwei junge Escherinnen berichten über ihre Konfrontation mit dem Zweiten Weltkrieg

Jugendhaus Esch / Zwei junge Escherinnen berichten über ihre Konfrontation mit dem Zweiten Weltkrieg
Tania Teles (l., 22) und Leah Gonçalves (18) waren Teil des Projekts „Si on en parlait?“, das im letzten Jahr den „Prix Oppenheimer“ erhalten hat Foto: Editpress/Alain Rischard

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Zwei Jahre lang haben Jugendliche aus dem Escher Jugendhaus am Projekt „Si on en parlait?“ gearbeitet. Ziel des Jugendhauses war es, den kritischen Geist ihrer Schützlinge zu fördern. Eine Ausstellung im Escher Resistenzmuseum beleuchtet das Projekt nun in seiner Gesamtheit. Wir haben das Museum auf dem Brill-Platz mit zwei jungen Escherinnen besucht, die Teil des preisgekrönten Projekts waren.

Zwischen 2017 und 2019 haben Leah Gonçalves (18) und Tania Teles (22) immer wieder an Aktivitäten im Rahmen von „Si on en parlait?“ teilgenommen. Im Oktober 2019 waren beide mit nach Auschwitz – ein Ausflug, auf den die Jugendlichen hingearbeitet hatten. Begonnen hat alles mit „Part’âge“, einer Zusammenarbeit zwischen dem Jugendhaus und dem „Mosaïque Club Senior Esch“. Jugendliche und Senioren unternahmen verschiedene Dinge zusammen, wie Backen und Filme anschauen. „Darunter war ein Film, der vom Zweiten Weltkrieg handelt“, erinnert sich Leah: „Das Leben ist schön“ vom italienischen Regisseur und Schauspieler Roberto Benigni. „Damals haben wir uns zum ersten Mal mit dem Thema Krieg beschäftigt.“

Die 18-jährige 3e-Schülerin, die das Escher Jugendhaus seit fünf Jahren regelmäßig besucht, war nicht die einzige, die sich für das Thema interessierte. Daraufhin – und angesichts der Beobachtung des Medienverhaltens der Jugendlichen – beschlossen die Erzieher, das Thema zu vertiefen. Denn schon länger bemerkten Christelle Kodische, Leiterin des „Centre de rencontre et d’information pour jeunes Esch”, und ihre Kollegen, dass die Jugendlichen, die das Jugendhaus und den „Point info jeunes“ besuchten, wahllos Dinge auf ihrer Facebook-Wall teilten. Es fehle ihnen oft das Bewusstsein dafür, was sie da eigentlich teilen – darunter seien zum Teil Posts mit extremistischen oder populistischen Aussagen gewesen, sagte Kodische in einem Tageblatt-Interview vom 11. Oktober 2019. Die Erzieher beschlossen, die Jugendlichen darüber aufzuklären, welche Inhalte nicht geteilt werden sollten und weshalb. Dazu gehörte die Konfrontation mit Menschen, die den Krieg am eigenen Leib erfahren haben.

Konfrontation

Mourad Benchellali besuchte das Jugendhaus 2017. Er wurde 2001 in Pakistan gefangen genommen, war in einem Al-Kaida-Camp und verbrachte zwei Jahre in Guantanamo. „Sein Besuch ist schon zwei Jahre her und ich kann mich nicht mehr genau an alles erinnern. Aber dass er seinen Bruder, einen geliebten Menschen, dort verloren hat, das ist mir im Kopf geblieben“, sagt Leah mitgenommen. Sie sieht sich währenddessen den Aufsteller im Resistenzmuseum an, auf dem das Gruppenfoto mit Benchellali abgedruckt ist. „Dahinten stehe ich“, zeigt sie.

Die Jugendlichen zusammen mit dem Zeitzeugen Paul Sobol
Die Jugendlichen zusammen mit dem Zeitzeugen Paul Sobol Foto: Escher Jugendhaus

Tania und Leah gehen weiter zum nächsten Aufsteller: Im Mai 2018 stattete Paul Sobol, ein Auschwitz-Überlebender, dem Jugendhaus einen Besuch ab. An den Tag seines Besuchs kann Tania sich noch genau erinnern. „Es war ein Freitagabend und das Jugendhaus war randvoll“, sagt sie. Außergewöhnlich viele Jugendliche hätten sich für den Besuch von Sobol interessiert. „Er hat von seinen Erlebnissen erzählt und danach konnten wir Fragen stellen. Es war sehr emotional und ich hatte mehrmals Gänsehaut“, erinnert sie sich. Besonders die Liebesgeschichte zwischen Sobol und seiner Frau Nelly Vandepaer, die im Konzentrationslager getrennt wurden und sich nach dem Krieg wiedergefunden haben, sei ihr im Gedächtnis geblieben.

Das erste Jugendhaus

Nach dem Besuch von Paul Sobol und einer Besichtigung der Ausstellung über den Zweiten Weltkrieg im nationalen Resistenzmuseum kam bei den Jugendlichen die Idee auf, nach Auschwitz zu gehen. Das Escher Jugendhaus machte es möglich. „Wir waren das erste Jugendhaus, das an dem Programm teilgenommen hat. Bisher waren nur Schulklassen zugelassen“, sagt Leah sichtlich stolz.

Einen Schritt weiter steht der nächste Aufsteller: Vom 24. bis zum 29. Oktober 2019 fuhren Leah und Tania mit vier weiteren Jugendlichen, einer Erzieherin und einer Mutter nach Krakau. Dort waren sie Teil einer Gruppe von insgesamt 130 Jugendlichen, alle anderen aus verschiedenen Schulklassen. Leah und Tania erzählen von ihren Erlebnissen vor Ort. Nachdem der erste Abend mit verschiedenen Workshops rund um das Thema „Krieg“ gestaltet wurde, stand an den darauffolgenden Tagen die Besichtigung des Konzentrationslagers auf dem Programm.

Besuch im KZ

„Auschwitz an sich war für mich zuerst ein Ort wie ein anderer auch. Aber in Verbindung mit den Erzählungen der Zeitzeugen war plötzlich alles so real“, sagt Leah. Nach dem Besuch des KZ hatten die Jugendlichen erneut die Möglichkeit, Paul Sobol all ihre Fragen zu stellen. „Er schien müde, aber man hat gemerkt, dass er seine Erfahrungen unbedingt teilen wollte“, sagt Tania.

Die Jugendlichen haben zwei Jahre lang auf den Besuch in Auschwitz hingearbeitet
Die Jugendlichen haben zwei Jahre lang auf den Besuch in Auschwitz hingearbeitet Foto: Escher Jugendhaus

Eigenen Aussagen zufolge erleben Tania und Leah in ihrem direkten Umfeld nur selten Diskrimination. Leahs Freundeskreis sei bunt gemischt, sowohl was die Herkunft als auch die sexuelle Orientierung angeht. Das spiegele sich auch auf ihrer Facebook-Wall wider. Tania hat Bekannte, die schon einmal wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Sexualität oder ihrer Religion mit Diskriminierungen zu kämpfen hatten. Auch wenn sie selbst noch nicht damit konfrontiert waren, sind sich die Mädchen der Problematik bewusst.

Dankbarkeit

Der Ausflug habe sie nachdenklicher gemacht. „Ich mache eigentlich immer viele Fotos, wenn ich reise. In Auschwitz habe ich nicht ein einziges gemacht“, sagt Leah. Allgemein schätzt sie das Leben mehr, seit sie dort war. „In Luxemburg beschweren sich die Menschen sehr häufig“, sagt sie. Dabei weiß sie jetzt, dass es Menschen gibt, die durch viel Schlimmeres gehen mussten. Auch Tania hat gelernt, dankbar für jeden Tag zu sein, an dem sie lebt. „Diese Menschen wollten leben – und sie konnten es nicht“, sagt sie.

Am letzten Tag in Polen haben die jungen Escher Krakau besucht. Dabei konnten sie sich etwas von dem emotionalen Aufenthalt erholen. Auf der Rückfahrt hat jeder von ihnen seine Gefühle zu Papier gebracht. Diese Texte sind in der Ausstellung zu lesen.

Die Jugendlichen aus dem Escher Jugendhaus waren Teil einer Gruppe von 130 Schülern, die Auschwitz besichtigt haben
Die Jugendlichen aus dem Escher Jugendhaus waren Teil einer Gruppe von 130 Schülern, die Auschwitz besichtigt haben Foto: Escher Jugendhaus

Darauf, dass ein Projekt, an dem sie teilgenommen haben, den „Prix Oppenheimer“ gewonnen hat, sind Leah und Tania besonders stolz. Der „Prix Oppenheimer“ wird jedes Jahr an eine Person, eine Stadt oder eine Organisation verliehen, die vor den Gefahren warnt, die von Rassismus, Intoleranz und Xenophobie ausgehen. „Vor fünf Jahren hatte das Escher Jugendhaus einen sehr schlechten Ruf“, sagt Leah. Der Preis sei ein Zeichen der harten Arbeit der Erzieher, die 2013 den Moment für eine Reform genutzt haben, als die Jugendhäuser von der Zuständigkeit des Familienministeriums unter die des Bildungsministeriums wechselten. Seitdem sei es viel ruhiger geworden. Es gebe immer neue Vorschläge für Projekte. „Das motiviert!“, sagt Leah, die bereits die nächste Reise zusammen mit dem Jugendhaus plant: In den Osterferien geht es nach Costa Rica, wo die Jugendlichen an einem Umweltprojekt teilnehmen. Dort werden sie die Strände säubern und Meeresschildkröten aufpäppeln.

Infos

Die Ausstellung im nationalen Resistenzmuseum ist noch bis zum 1. März 2020, immer dienstags bis sonntags zwischen 14.00 und 18.00 Uhr, für Besucher geöffnet.