EschTraditionsbetrieb „Boucherie Werdel“ schließt nach 61 Jahren seine Türen 

Esch / Traditionsbetrieb „Boucherie Werdel“ schließt nach 61 Jahren seine Türen 
Schluss nach 61 Jahren am gleichen Standort: Die „Boucherie Werdel“ schließt Foto: Editpress/Alain Rischard

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Seit 1961 gehörte die „Boucherie Werdel“ zum Inventar der Geschäftswelt der Alzettestraße. Heute schließt der Traditionsbetrieb für immer seine Türen. Dann gibt es im Escher Zentrum nur noch drei Metzgereien.

Albert und Anita Werdel zogen in den 1950er Jahren von Rosport nach Esch. Albert machte eine Lehre bei François Peporté, dessen 1934 eröffnete Metzgerei nunmehr eine von drei verbliebenen (neben Steffen und Sud Viandes) im Stadtzentrum ist. Auf dem Gemeindegebiet kommt noch die „Boucherie Ferreira“ und die Halal-Metzgerei „Sorgente Izvor“ in Lallingen hinzu, doch das war’s. Als Albert Werdel seine Metzgerei 1961 in der Alzettestraße eröffnete, gab es in Esch noch rund 50 Metzgereibetriebe.

Ab 1981 lernte Alberts Sohn Georges das Handwerk des Metzgers. 1994 übernahmen er und seine Frau Nadia den elterlichen Betrieb. Vater Albert verstarb 2015, Mutter Anita vor zwei Jahren. Von Anfang an wurden in der „Boucherie Werdel“ so gut wie alle Produkte in der eigenen Metzgereiküche in der Alzettestraße hergestellt. Die Gewohnheiten der Menschen aber haben sich im Laufe der Jahre geändert: „Früher wurde mehr gekocht“, sagt Georges Werdel, „die heutigen Paare gehen zu zweit arbeiten und erledigen ihre Einkäufe schnell auf dem Nachhauseweg.“ So habe der Kundenstrom in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich abgenommen. „Ich würde schätzen, dass heute im Vergleich zu vor zehn Jahren um die 30 bis 40 Kunden weniger pro Tag vorbeikommen.“

Gehen in den wohlverdienten Ruhestand: Nadia und Georges Werdel
Gehen in den wohlverdienten Ruhestand: Nadia und Georges Werdel Foto: Editpress/Alain Rischard

Das liegt laut Georges Werdel an mehreren Faktoren. Hauptsächlich daran, dass die Alzettestraße als Einkaufsmeile an Attraktivität verloren hat. „Die Kunden von außerhalb kommen wegen zwei, drei kleinerer Besorgungen nicht ins Escher Zentrum. Und schon gar nicht, um nur zum Metzger zu gehen“, sagt der 58-Jährige. Zu kompliziert sei dafür die Parkplatzsituation. Deswegen fehle die Laufkundschaft. Dass die Menschen sich anders ernähren als früher, wird wohl auch eine Rolle spielen, selbst wenn Georges Werdel das nicht wirklich bestätigen kann: „Vegetarier kommen natürlich nicht zu uns ins Geschäft“, lacht er, „aber ja, in den Diskussionen mit der jüngeren Generation merke ich schon, dass viele Leute heute weniger oder gar kein Fleisch essen.“

Kein Nachfolger

Das Interesse, seine Metzgerei zu übernehmen, war dementsprechend klein. Vor drei Jahren schon hat Georges Werdel sein Geschäftslokal mitsamt der Metzgereiküche in der Firmenbörse der Handwerkskammer zur Übernahme angeboten. Zwei Interessenten gab es in dieser Zeit, einer war sogar einige Male nach Esch gekommen, meldete sich dann aber nicht mehr. Sohn Felix erfüllt sich gerade im französischen Sarrebourg den Traum des Handballprofis, Tochter Cathy studiert derweil in München. Für sie kam nicht infrage, in die Fußstapfen der Eltern und Großeltern zu treten, was Georges Werdel nicht bedauert: „Metzger ist ein schwerer Beruf. Zwar ist es, je erfahrener man wird, leichter, aber es bleiben viele, viele Stunden Arbeit.“

Was aus seiner Metzgerei in Zukunft wird, das weiß er momentan nicht. Das Haus in der Alzettestraße gehört der Familie, die allerdings in Lallingen wohnt. Dort will das Ehepaar in Zukunft die Rente genießen. Genauere Pläne hat man noch nicht. Reisen eventuell, sagt Georges Werdel. Zunächst aber wartet noch Arbeit. Viel gibt es im Gebäude in der Alzettestraße aufzuräumen, außerdem wird Werdel zum „Hierschtmoart“ am 17. September noch ein letztes Mal für die Kunden arbeiten.  

Aufschwung während Corona

Bereuen tut Georges Werdel nichts, selbst wenn er sich schon öfters Gedanken darüber gemacht hat, ob er nicht den Weg der vielen anderen Metzger hin zum Partyservice hätte gehen sollen. „Aber wie wäre das gegangen?“, fragt er. „Wir sind hier vom Platz her stark begrenzt. Ich hätte ausbauen müssen. Und außerdem jedes Mal bei der Gemeinde eine Genehmigung einholen müssen, um außerhalb der Lieferzeiten durch die Alzettestraße zu fahren.“ Zwar bekam er einst das Angebot, eine Filiale in Lallingen zu eröffnen, hielt das aber für nicht machbar.

So blieb er der Alzettestraße treu und erlebte während der Pandemie noch mal einen Aufschwung. „Die Zahlen von 2020 und 2021 waren besser als die der Jahre zuvor, weil wir sehr viel ausgeliefert haben“, sagt Georges Werdel. „Inzwischen hat sich das aber wieder verlaufen.“ Demnach ist es Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Und zum Abschluss mit einem Gerücht aufzuräumen. Obwohl Nadia Werdel jeden Tag in der Metzgerei stand, soll sie Vegetarierin sein, erzählte man sich in Esch. Darauf angesprochen, muss Georges Werdel lachen: „Nein, das ist nicht so. Meine Frau isst zwar viel weniger Fleisch als ich, aber sie isst es.“ 

1961 eröffneten sie die Metzgerei in der Alzettestraße: Albert und Anita Werdel
1961 eröffneten sie die Metzgerei in der Alzettestraße: Albert und Anita Werdel Foto: Editpress/Alain Rischard
m.halsdorf
9. Oktober 2022 - 9.55

Traurig Esch geht immer mehr kaputt. Da muss was unternommen werden wie im Artikel auch steht.

Leila
4. September 2022 - 0.13

"dass viele Leute heute weniger oder gar kein Fleisch essen.“ Bei der heutigen Umfrage (Wo kaufen Sie Ihr Fleisch?) sieht das aber ganz anders aus: nur 15,54 % essen kein Fleisch...

Jean-Marie Grober
3. September 2022 - 14.33

Seit Geburt 1954 bis 1996 war Esch meine Heimat und ist es immer noch, obwohl ich der Familie wegen nach Düdelingen gezogen bin. Dennoch bin ich auch heute noch mindestens 5 Tage pro Woche in meiner Heimatstadt, wo ich von 1971 bis 2013 gearbeitet habe. Es macht mich unendlich traurig und noch mehr wütend, wenn ich sehe, wie meine Stadt langsam verkommt und in absehbarer Zeit vor die Hunde gehen wird, wenn sich nicht Grundlegendes ändert. Mir scheint, dass der Mehrheit der Einwohner die Liebe, oder wenigstens der Respekt vor ihrer Stadt abhanden gekommen ist, und dass die verantwortlichen Politiker jedweder Couleur nur noch nach dem Prinzip "Wir werden vielleicht nicht wiedergewählt, aber wenigstens haben wir uns gut amüsiert!" handeln und seit geraumer Zeit vergessen haben, wofür sie eigentlich gewählt wurden. Ist es Unfähigkeit, Gleichgültigkeit, Lustlosigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Eigennutz? Gemeindewahlen sind am 11. Juni 2023! Hoffentlich haben die Escher dann die Möglichkeit, ein paar fähige Politiker zu wählen, um den Verfall ihrer (und meiner) Stadt zu stoppen!