Tim Diederich: Wie eine Kurzschlussreaktion zum Meistertitel führen kann

Tim Diederich: Wie eine Kurzschlussreaktion zum Meistertitel führen kann

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der Radsportler Tim Diederich geht am Donnerstag und am Sonntag als Titelverteidiger ins Zeitfahren sowie in das Straßenrennen bei den Landesmeisterschaften der Elite ohne Vertrag. Dass er einmal im Rot-Weiß-Blauen Trikot auf einem Podium stehen würde, war vor einigen Jahren noch undenkbar.

Es sind manchmal Kurzschlussreaktionen, die das Leben nachhaltig beeinflussen. Bei Tim Diederich kam sie im Alter von 21 Jahren. Es war um Ostern und der damals 21-Jährige befand sich im letzten Jahr seiner Ausbildung zum Grundschullehrer, als er entschied, das Studium zu schmeißen.

Diederich wurde auf einmal klar, dass Kinder unterrichten doch vielleicht der falsche Job für ihn sein könnte. „Im Endeffekt war es blöd, so kurz vor dem Abschluss abzubrechen. Jedenfalls benötigte ich ein Ventil und ging in den Fahrradladen von Jan Ostergaard. Dort kaufte ich mir ein gebrauchtes Rennrad. Im ersten Sommer bin ich gleich richtig intensiv gefahren und es hat mir großen Spaß gemacht“, erläutert der heute 29-Jährige seine ersten Schritte im Radsport.

Im gleichen Sommer gab Tim das Rauchen auf. „Ab da hat dann alles seinen Lauf genommen.“ Heute ist Tim Diederich amtierender Landesmeister bei der Elite ohne Vertrag, und das sowohl im Zeitfahren als auch auf der Straße. Und übrigens arbeitet er seit ein paar Jahren auch als Grundschullehrer. „Ich hatte ganz kurz auf der Uni.lu damit begonnen, etwas anderes zu studieren. Doch am dritten Tag habe ich um mich geblickt und da wurde mir klar, dass ich doch Grundschullehrer werden wollte.“ In Namur wurde er dann auch gleich wieder angenommen und er konnte sein letztes Jahr noch einmal in Angriff nehmen. „Letztendlich habe ich zwar ein Jahr verloren, aber ich denke, das ist nicht weiter tragisch.“

Zur Person

Name
Tim Diederich
Geboren am
18. Juni 1989
Beruf
Grundschullehrer
Amateur-Radfahrer seit
2015
Größte Erfolge
Landesmeister bei der Elite ohne Vertrag im Zeitfahren und auf der Straße (2017), vier Teilnahmen bei der Flèche du Sud, dreimal im Ziel (2015: 97., 2017: 91., 2018: 95.)
Andere Sportarten
Hat in der Jugend Fußball und Poolbillard im Verein gespielt sowie Basketball mit Kollegen.

Rund 20.000 Kilometer im Jahr

Ganz im Gegenteil, denn nur so hat Tim seine Leidenschaft für den Radsport entdeckt, in den er mittlerweile sehr viel Zeit investiert. Heute sitzt er rund 15 Stunden pro Woche auf dem Rad, spult rund 20.000 Kilometer im Jahr herunter. Ein riesiger Aufwand für einen Amateur. Als das Radsportfieber ihn erst mal gepackt hatte, ging alles recht schnell. „In Namur habe ich Lex und Laurent Reichling kennengelernt und einige Teamwettkämpfe mit ihnen bestritten. Da wurde mir schnell klar, dass es noch viel Luft nach oben gibt.“

Die ersten Jahre hat Tim sein Training selbst gestaltet. Doch obwohl er sich intensiv mit Trainingswissenschaften beschäftigt hat und viel darüber las, stieß er irgendwann an seine Grenzen. Seit dem Wintertraining vor der Saison 2017 wird er nun von Stéphane Rit betreut. „Das hat auf Anhieb super geklappt. Er gestaltet mein Training optimal.“ Seit der Zusammenarbeit mit dem französischen Trainer muss sich Tim bei seinen Trainingsausfahrten auf seine Wattzahlen konzentrieren, und das mit Erfolg.

Zwei Rennen und dann die Flèche du Sud

Seine erste Lizenz hat der Fahrer des Tooltime Préizerdaul 2015 gemacht, kurz vor der Flèche du Sud, die er in einem zusammengewürfelten Team des LC Kayl bestritt. „Eigentlich habe ich damals noch eher zum Triathlon tendiert. Da habe ich aber schon erkannt, dass meine Stärke klar das Radfahren ist. Als Kayl mich dann gefragt hat, ob ich die Flèche fahren möchte, habe ich mich dann entschieden, mich ganz auf den Radsport zu konzentrieren.“

Mit gerade einmal zwei regionalen Rennen in den Beinen ging Tim dann an den Start des mit Abstand anspruchsvollsten und schwersten Amateurrennens in Luxemburg. „Ich hatte vor dem Start echt Angst. Immerhin war ich noch nie in einem so großen Peloton von rund 150 Fahrern gefahren. Ich hing ständig ganz hinten, was mich dann noch mehr Kraft kostete, weil ich mich immer wieder um den Anschluss ans Feld bemühen musste.“ Doch er stand die fünf harten Etappen durch und schaffte es als einer der wenigen Kayler Fahrer ins Ziel. Der Sieg ging damals übrigens an den Spanier Victor de la Parte, der heute bei Movistar Teamkollege von Nairo Quintana und Alejandro Valverde ist.

Glück im Unglück

Seit 2015 ist der Grundschullehrer jedes Mal bei der Flèche am Start gewesen und bis auf 2016 hat er auch jedes Mal das Ziel erreicht. Und das war vor allem bei der diesjährigen Ausgabe alles andere als selbstverständlich. Denn die Pratzerthaler bekamen über Nacht ihre Rennräder gestohlen. „Wir haben es morgens gesehen und mussten wenige Stunden später zum Start. Wir haben gleich einen Aufruf über Facebook gestartet. Die Reaktion war überwältigend. Es wollten uns so viele Leute helfen, wir hätten das gesamte Peloton mit Rennrädern ausstatten können.“

So fuhren die Pratzerthaler die Flèche auf geliehenen Rädern zu Ende. Die Ernüchterung folgte aber gleich nach Ende des Rennens. „Da hat man erst richtig realisiert, was passiert ist. Fast jeder bekam sowohl das Rennrad als auch das Ersatzrad geklaut. Du kannst auf einmal deinen Sport nicht mehr ausüben.“ Tim hatte gleich doppelt Glück im Unglück. Zum einen hatte er sein Rennrad versichert, zum anderen hatte er noch ein altes Ersatzrad im Keller stehen. „Darauf bin ich nun die letzten Wochen gefahren. Mein neues Rad kommt aber noch vor der Meisterschaft an.“

Zu früh eingepackt

Für einen Amateur ist der Radsport ohnehin ein teueres Hobby und so ein Diebstahl kommt schnell einer Katastrophe gleich. Tim Diederich wird neben ein paar kleinen persönlichen Sponsoren auch von Andy Schlecks Fahrradladen unterstützt, was das Ganze für ihn etwas leichter machte. Doch auch er musste im vergangenen Jahr rund 9.000 Euro für sein Hobby ausgeben. „Ich habe mir ein neues Mountainbike gekauft, aber das machte nicht einmal die Hälfte dieses Betrags aus.“ Der Rest ging für Laufräder, Hosen, Trikots und so weiter drauf.
Es ist aber nicht nur der finanzielle Aufwand. Ein Amateur wie Tim Diederich fährt auf einem sehr beachtlichen Niveau, was in Luxemburg aber oft etwas untergeht. Immerhin haben wir im Radsport seit Jahren immer wieder Profis, die zur absoluten Weltspitze gehören. In anderen Sportarten werden Amateure viel stärker mediatisiert. Im Radsport fallen sie dagegen dem Erfolg ihrer Sportart zum Opfer.

Als Tim im vergangenen Jahr bei der Landesmeisterschaft in Remerschen über die Ziellinie fuhr und sich über den Titel freute, hatten einige Medienvertreter bereits eingepackt. „Ich habe das damals nicht wirklich realisiert, es waren andere, die mich darauf aufmerksam gemacht hatten.“ Der Grund dafür war, dass die Amateure und Profis im gleichen Rennen starten, und als Bob Jungels im Ziel war, war für einige das Rennen bereits beendet. „Ich muss aber auch sagen, dass sie sich im Nachhinein bei mir gemeldet und es wieder gutgemacht haben.“

Trotz dieser Erfahrung sieht Diederich den Amateur-Radsport in Luxemburg weitaus positiver als viele andere. „Es wird viel Kritik geübt, dass es immer weniger regionale Rennen gibt. Ich bin der Meinung, dass man diejenigen, die trotz aller Schwierigkeiten immer noch Rennen zustande bringen, dafür beglückwünschen sollte. Natürlich wäre es schön, wieder mehr Rennen in Luxemburg zu haben und ich bin auch fest davon überzeugt, dass es möglich ist. Allerdings nur im Dialog mit sämtlichen Parteien, ob Vereine, Verband, Straßenbauverwaltung, Polizei und so weiter. Auch der Dialog mit den Anwohnern, vor deren Haustür das Rennen stattfindet und die durch die Straßensperren beeinträchtigt sind, ist wichtig.“

Unterstützung

Nun steht mit den Landesmeisterschaften der Saisonhöhepunkt vor der Tür. Doch was hat es Tim Diederich überhaupt bedeutet, ein Jahr lang im Rot-Weiß-Blauen Trikot zu fahren? „Dass es wirklich etwas Besonderes ist, merkt man erst, wenn man damit am Start eines Rennens steht. Sogar im Ausland wird man darauf angesprochen und irgendwie habe ich das Gefühl, dass man im Peloton auch ein anderes Standing hat.“ Dass er seine Titel verteidigen möchte, versteht sich von selbst. Aber er weist auch darauf hin, dass es einige Favoriten gibt. Um zu diesem Kreis zu gehören, ist auch bei den Amateuren ein großer Aufwand vonnöten. Tim Diederich kann hierbei auf die Unterstützung seiner Freundin Lis zählen, die ihm auch schon mal am Streckenrand die Trinkflaschen reicht. „In den vergangenen Wochen, als die Vorbereitung auf die Landesmeisterschaft intensiver wurde, hat sie mir den Rücken freigehalten. Da kann ich mich richtig glücklich schätzen.“ Vielleicht kann er es ja wieder mit dem einen oder anderen Siegerstrauß zurückzahlen.