SyrienTagelanger IS-Angriff auf das Gefängnis von Steve Duarte niedergeschlagen

Syrien / Tagelanger IS-Angriff auf das Gefängnis von Steve Duarte niedergeschlagen
Eine Kämpferin der Syrischen Demokratischen Kräfte steht an einem Kontrollpunkt in Al-Hassaka Foto: dpa/Hogir Al Abdo

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Eine ganze Woche dauerte die Schlacht um das Gefängnis in Al-Hassaka im kurdisch dominierten Nordosten Syriens. In einer ersten Bilanz werden fast 300 Tote gezählt. In dem Komplex saßen 4.000 IS-Kämpfer ein, unter ihnen Steve Duarte aus Luxemburg.

Die Menschen in Al-Hassaka haben nicht oft etwas zu feiern. In der ganzen Region rund um die Stadt im Nordosten Syriens sind sie an Angriffe gewohnt, ob durch Kampfdrohnen der türkischen Armee oder von Ankara unterstützten dschihadistischen Kämpfern. Am Mittwochabend aber erleuchtete über der knapp 200.000 Einwohner zählenden Stadt ein Feuerwerk den Nachthimmel. Unten am Boden wurde gejubelt. Die Freude ist nachvollziehbar. Nach tagelangen, verlustreichen Gefechten hatten die Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) es geschafft: Der größte Angriff durch Angehörige des sogenannten Islamischen Staates (IS) seit drei Jahren ist abgewehrt. Die vorläufige Bilanz am Donnerstagmorgen geht von fast 300 Toten innerhalb einer Woche aus.

Am vergangenen Donnerstag, dem 20. Januar, hatte der Sturm der IS-Kämpfer auf den riesigen Gefängniskomplex der Stadt Al-Hassaka begonnen, in dem seit der Niederschlagung des IS rund 4.000 Kämpfer der Dschihadisten festgehalten werden, darunter 700 Minderjährige. Geführt wird das Gefängnis von den SDF, einem Verbund aus syrisch-kurdischen, aber auch arabischen, jesidischen, armenischen und usbekischen Kämpfern und Kämpferinnen – eben jener Gruppierung, die während des Krieges in Syrien und im Kampf gegen den IS als Verbündeter des Westens galt und die auch jetzt noch von Amerikanern und der Anti-IS-Koalition unterstützt wird. In dem Sina-Gefängniskomplex, der aus einer ganzen Reihe von Gebäuden einer ehemaligen Schule besteht und direkt an die Stadt Al-Hassaka grenzt, wird auch Steve Duarte, der Dschihadist aus Luxemburg, festgehalten, der Ende 2014 von Meispelt aus nach Syrien in den Krieg gezogen war.

Größte Schlacht seit drei Jahren

Alles begann damit, dass am Abend des 20. Januar ein mit Sprengstoff beladener Lieferwagen an einem der Gefängnistore in die Luft flog. Wie eine SDF-Quelle gegenüber dem Tageblatt sagt, habe vermutlich ein IS-Spion den Lkw gelenkt, der für die SDF in der Essensversorgung des Gefängnisses arbeitete. In einer koordinierten Attacke hätten dann rund 300 IS-Kämpfer versucht, das Gefängnis von außen zu stürmen, während die Insassen Decken und Plastikplanen anzündeten, um weitere Verwirrung zu stiften und die Wärter zu überwältigen, sich mit deren Waffen zu versorgen und Küchen- und sonstiges Personal als Geiseln zu nehmen. Es gibt Berichte, die von bis zu einem dutzend Selbstmordattentäter während der versuchten Erstürmung ausgehen.

Nach dem Angriff versuchten Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte das Gefängnis zu umstellen
Nach dem Angriff versuchten Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte das Gefängnis zu umstellen Foto: AFP

Auch in umliegenden Wohngebäuden sowie in einem alten Hochschultrakt und in angrenzenden Getreidesilos verschanzten sich IS-Kämpfer, um die SDF bei ihren Rückeroberungsversuchen zu beschießen. Manche IS-Insassen versuchten, in Frauenkleidern unerkannt zu flüchten, während die SDF bemüht waren, eine Sicherheitszone rund um das Gefängnis zu errichten, um möglichst wenige Dschihadisten entkommen zu lassen. Ganze Viertel der Stadt Al-Hassaka wurden evakuiert und anschließend auf der Suche nach Ausbrechern und IS-Kämpfern durchkämmt, Tausende Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, um sich in Schutz zu bringen, Ausgangssperren wurden verhängt. Ein weiterer mit Sprengstoff beladener Lkw wurde von IS-Kämpfern in ein nahes Öllager gesteuert. Die Explosion und der schwarze Rauch durch das Feuer sollten die Unterstützung aus der Luft für die SDF erschweren.

Kinder als Schutzschilde

Al-Hassaka blickt inzwischen auf eine sehr chaotische und blutige Woche zurück, in der die inhaftierten IS-Kämpfer nicht davor zurückschreckten, ihre Geiseln und hunderte mit ihren Vätern inhaftierten, aber in anderen Gebäuden untergebrachten, minderjährigen Söhne als menschliche Schutzschilde zu nutzen, was die Rückeroberung des Gefängnisses erheblich erschwerte, da ein Artilleriebeschuss so nicht mehr möglich war. Berichten zufolge sollen die Jüngsten darunter kaum zehn Jahre alt gewesen sein. Wie viele von ihnen ums Leben gekommen sind, war am Donnerstagmorgen noch nicht klar.

Wegen der Heftigkeit des Angriffes unterstützten amerikanische Soldaten die SDF mit Apache-Hubschraubern in der Luft und Bradley-Schützenpanzern am Boden. Berichten zufolge sollen auch US-Kampfjets das Gefängnis mehrmals im Tiefflug überflogen haben. Der IS-Angriff auf das Gefängnis in Al-Hassaka hatte sich zu einer tagelangen Schlacht entwickelt, der heftigsten gegen die Islamisten seit drei Jahren, als viele bereits deren Ende verkündet hatten.

Amerikanische Streitkräfte in den Straßen Al-Hassakas
Amerikanische Streitkräfte in den Straßen Al-Hassakas Foto: AFP

Auch in anderen Lagern und Gefängnissen halten die Kurden weiterhin Tausende Extremisten fest, darunter Hunderte Ausländer, zahlreiche davon aus Europa. Menschen wie Steve Duarte, die nach ihrer Festnahme kaum jemand nach Europa zurückholen wollte, womit die Kurden und ihre Verbündeten in der Region mit dieser schwierigen Aufgabe größtenteils alleine gelassen wurden – trotz aller Aufrufe, diese Menschen in ihren Herkunftsländern vor Gericht zu stellen, und sei es nur zur Entspannung der Lage vor Ort und in dem Wissen, dass ein Wiedererstarken des IS auf gar nicht allzu lange Sicht auch Europa erneut gefährden würde.

Auch wenn die SDF und die Einwohner Al-Hassakas am Mittwochabend und am Donnerstag ihren Sieg feierten, fällt die Bilanz nach einer Woche Gefechten ernüchternd aus. Von den ursprünglich geschätzten 4.000 IS-Insassen seien dem „Rojava Information Center“ zufolge 3.500 innerhalb des Gefängnisses wieder festgenommen worden oder hätten sich ergeben, 100 weitere seien außerhalb der Mauern gestellt worden. Wie viele entkommen konnten, sei nicht gewusst. Ebenso unklar bleibt, wie es um Steve Duarte bestellt ist. Die Lage sei noch zu chaotisch, um solche Informationen kommunizieren zu können, hieß es von SDF-Seite gegenüber dem Tageblatt.

Fast 300 Tote in einer Woche

Insgesamt wurden bis zum Donnerstag 252 getötete Angreifer gezählt, sieben Zivilisten seien vom IS in der Stadt ermordet worden, die SDF zählen 23 Todesopfer in den eigenen Reihen. Wie viele Kinder bei den Kämpfen um die Rückeroberung des Gefängnisses ums Leben kamen, bleibt vorerst unklar. Auch die Zahl der Verletzten ist noch nicht genau bekannt. Vom kurdischen Roten Kreuz heißt es gegenüber dem Tageblatt, man sei zwischenzeitlich mit bis zu 40 Krankenwagen gleichzeitig im Einsatz gewesen, um die Verwundeten in ein nahe gelegenes Militärhospital zu fahren.

Von den kurdisch geführten Demokratischen Kräften Syriens festgenommene IS-Kämpfer
Von den kurdisch geführten Demokratischen Kräften Syriens festgenommene IS-Kämpfer Foto: dpa/Kurdish-led Syrian Democratic Forces

Die Terrormiliz IS hatte im Sommer 2014 große Gebiete im Norden und Westen des Iraks unter ihre Kontrolle gebracht und dort ein sogenanntes Kalifat ausgerufen. Zum Herrschaftsgebiet der Extremisten gehörten auch große Teile des benachbarten Syrien. Mit militärischer Unterstützung der USA und anderer Staaten konnte die Terrormiliz in jahrelangen Kämpfen zurückgedrängt werden. Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den Sieg über die Extremisten. In Syrien nahmen von Kurden angeführte Truppen im Frühjahr 2019 die letzte Hochburg der Terrormiliz ein. Zellen des IS sind aber weiter aktiv. Die Schlacht um das Gefängnis in Al-Hassaka zeigt, zu welcher Schlagkraft der IS wieder imstande ist.

Emile
29. Januar 2022 - 11.36

Waat soll daat , Duarte séin Prison, Mierkt Dir net, datt den Verbriecher ons all egal ass.