Streit zwischen Anwalt und RichterGerichtshof für Menschenrechte in Straßburg spricht Me Lutgen frei

Streit zwischen Anwalt und Richter / Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg spricht Me Lutgen frei
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Foto: Editpress-Archiv

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Ein Anwalt darf Druck machen. Zu dem Urteil kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Gegen die Form des Drucks hat ein Untersuchungsrichter vor einem Gericht in Luxemburg geklagt. In erster und zweiter Instanz wurde der Anwalt dort verurteilt. Zu Unrecht, wie das Gericht für Menschenrechte in Straßburg nun am Donnerstag feststellte.

Am Ende sämtlich möglicher juristischer Instanzen wird der Luxemburger Anwalt André Lutgen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg freigesprochen. Untersuchungsrichter Filipe Rodrigues hatte vor dem Bezirksgericht in Luxemburg Klage gegen den Anwalt eingereicht. Dieser habe Druck gemacht und sich in ungebührender Weise über ihn geäußert. Hintergrund ist ein Arbeitsunfall 2019 bei Arcelor Mittal in Differdingen, bei dem ein Mensch ums Leben kam.

Lutgens Vorgehen, damit der Industriebetrieb, nach allen relevanten Untersuchungen zum Todesfall, schnellstmöglich wieder die Produktion aufnehmen und so einen Produktionsausfall verhindern könne, war Rodrigues damals zu viel. Er fühlte sich genötigt, beleidigt und klagte unter anderem wegen Einschüchterung. Bereits im Berufungsprozess im Juli 2022 in Luxemburg wurde von allen Anschuldigungen einzig die Wortwahl in einer Mail an den Justiz- und den Wirtschaftsminister mit Kopie an die Generalstaatsanwältin zurückbehalten. Allgemein aber sei das Benehmen des Anwalts den Umständen entsprechend korrekt gewesen, so die Berufungsrichter. Lutgen wurde trotzdem aufgrund der Mail zu einer Geldstrafe von 1.000 Euro verurteilt. Der Anwalt wollte das aber nicht auf sich sitzen lassen. Die Unterstützung der Luxemburger Anwaltschaft wusste er auf seiner Seite.

Klare Notsituation

Im Urteil bezieht sich der Gerichtshof in Straßburg auf Artikel 10 über die Freiheit der Meinungsäußerung. Der Anwalt habe sich in einer Notsituation befunden und sich für die Interessen seines Mandanten eingesetzt. Die von der Luxemburger Justiz gesprochenen strafrechtlichen Sanktionen seien unzulässig und nicht verhältnismäßig. Es gebe keine ausreichenden und relevanten Gründe, dem Anwalt Fehlverhalten vorzuwerfen.

Nachdem das Kassationsgericht in Luxemburg die Einwände des Anwalts abgelehnt hatte, befasste dieser den Europäischen Menschengerichtshof. Dort wurde nun wie gesagt zugunsten von Me Lutgen entschieden. Darüber freut sich das ganze Verteidigerteam von Rechtsanwalt André Lutgen. Wichtig sei, dass der Gerichtshof für Menschenrechte einstimmig anerkannt habe, dass die luxemburgischen Gerichte den Anwalt zu Unrecht wegen Beleidigung eines Richters strafrechtlich verurteilt haben.

Wichtig sei aber vor allem, dass das Gericht in Straßburg anerkannt habe, dass die von Me Lutgen gewählte Sätze, welche vom Untersuchungsrichter als strittig angesehen wurden, als Werturteil auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhten. Dies, „um zu erklären, dass der Beschwerdeführer das Ausbleiben einer Antwort des Richters als einen unannehmbaren Umstand empfand, der den Behörden gemeldet werden musste“. Damit verurteile der Gerichtshof in Straßburg in Wirklichkeit die Auslegung des Straftatbestands der Beleidigung des Richters, wie sie traditionell von den französischen, belgischen und
luxemburgischen Rechtsprechungen verwendet werden. Nach dieser Auslegung schloss die Definition der Beleidigung von Richtern und Staatsanwälten den Nachweis der Wahrheit der angeblich beleidigenden Handlung grundsätzlich aus.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei ein wichtiger Sieg für die Unabhängigkeit und Meinungsfreiheit des Rechtsanwalts, der diese benötige, um seine Aufgabe vor Gericht mit Eifer und Engagement zu erfüllen. Sie werde wesentlich dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Anwälten und Richtern in einem Klima des gegenseitigen Respekts wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Von nun an würden Anwälte Richtern und Staatsanwälten die Wahrheit sagen können, selbst wenn diese verletzend scheinen möge.