EuropawahlStrategien gegen die Angst: Wie LSAP und „déi gréng“ den Rechtsruck verhindern wollen

Europawahl / Strategien gegen die Angst: Wie LSAP und „déi gréng“ den Rechtsruck verhindern wollen
Mit Herz für ein Europa mit Herz: die Kandidaten der LSAP, in der Mitte das Spitzenduo Marc Angel und Danielle Filbig Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Am Wochenende haben LSAP und die „déi gréng“ auf zwei Kongressen über ihre Kandidatenlisten und Wahlprogramme für die Europawahl am 9. Juni abgestimmt. Die Stimmung ist kämpferisch bis optimistisch. Doch welche Strategien haben die linken Parteien gegen den Rechtsruck in Europa?

Bei ihrem ersten Parteikongress, im vergangenen Jahr, saß sie noch in einer der hinteren Reihen. Ein Jahr später ist für Danielle Filbig ein Platz in der ersten Reihe reserviert. Die 26-Jährige studierte Politikwissenschaftlerin steht auf Platz zwei der Europaliste ihrer Partei, der LSAP, direkt hinter ihrem Co-Spitzenkandidaten, dem EU-Parlamentarier Marc Angel. Eben jene Liste, die auf dem Europawahlkongress der LSAP am Sonntag in Mamer mit 96,6 Prozent der Delegiertenstimmen angenommen wurde. Das große Ziel der LSAP am 9. Juni, das wird auch in diesen Vorwahlkampftagen schon mehr als deutlich, ist der zweite Sitz in Brüssel. „Marc Angel möchte nicht mehr als einziger luxemburgischer Sozialdemokrat im EU-Parlament sitzen“, so Filbig. Nachdem die LSAP bei den Nationalwahlen zwei weitere Mandate knapp verpasst habe, sei man für die Europawahl motiviert und gebe sich kämpferisch.

Kampfgeist ist an diesem Wochenende auch bei „déi gréng“ zu spüren, obwohl die mit deutlich weniger Rückenwind aus dem Wahljahr 2023 kommen. „Wir sind bereit, um die Seele von Europa zu kämpfen“, sagt Fabrizio Costa auf dem Europawahlkongress seiner Partei am Samstag in Moutfort. Auch „déi gréng“ haben mit sehr deutlicher Mehrheit ihr Wahlprogramm und die Kandidatenliste für den 9. Juni angenommen. An der Spitze: Tilly Metz, aktuell bereits im Parlament, und Costa, Co-Sprecher von „déi jonk gréng“.

LSAP und „déi gréng“ stehen in diesem Wahlkampf vor einer gemeinsamen Aufgabe. Als linke Parteien müssen sie Alternativen zu ihren konservativen bis rechtspopulistischen Konkurrenten bieten, um gewählt zu werden. Mit Blick auf die Spitzenkandidaten haben sie sich schon einmal für das gleiche Rezept entschieden: ein Duo aus Erfahrung und frischem Wind. „Man soll jungen Leute die Chance geben, auch in die Vitrine gestellt zu werden“, sagt Marc Angel am Freitag vor dem Kongress in seinem Büro in der LSAP-Fraktion. Was er bei seiner Co-Spitzenkandidatin Filbig besonders interessant finde, sei ihre Herkunft aus dem ländlichen Raum. „Die Rechten wollen eine Kluft schaffen zwischen Stadt und Land. Wir aber zeigen: Sozialdemokratische Politik stärkt die Menschen in den Städten und in den ländlichen Gegenden.“

Anbiedern an den rechten Rand

Auch Metz lobt das motivierte Team der Partei. Nach der Niederlage bei den Nationalwahlen und dem Verlust des Fraktionsstatus habe man zwar weniger Mittel, „aber vieles, was wir früher nach außen gegeben haben, machen wir jetzt intern“, sagte Metz im Tageblatt-Interview wenige Tage vor dem Kongress. Die schwierige Situation habe das Team zusammengeschweißt und die Kreativität gefördert. Während die LSAP darauf spekuliert, einen zweiten Sitz zu gewinnen, müssen die Grünen bei der kommenden Wahl um ihren einen Sitz bangen. Dessen ist sich Metz wohl bewusst. „Ich lebe ja auch nicht in der Teletubby-Welt. Ich stehe mit beiden Füßen voll auf dem Boden der Realität.“ Ihre Sorge: dass mit der ADR eine rechtsextreme Partei in Luxemburg einen Sitz im EU-Parlament gewinnen könnte. „Aber ich bleibe optimistisch“, sagt Metz. Luxemburg sei an dritter Stelle, was die pro-europäische Einstellung angehe: im Herzen Europas, ein Gründungsland der EU, eine der drei Hauptstädte.

Doch der Rechtsruck ist real. Zumindest was Gesamteuropa anbelangt. Auf ihrem Kongress vorvergangene Woche in Bukarest haben sich Europas Christdemokraten in ihrem Wahlprogramm für das sogenannte Ruanda-Modell ausgesprochen, das vorsieht, Flüchtlinge aus der EU in einen „sicheren Drittstaat zu überstellen, um sie dort einem Asylverfahren zu unterziehen“. Filbig war schockiert, als sie davon hörte: „Das stärkt die Rechtspopulisten, das gibt ihnen Legitimation“. Auch Angel kritisiert das „Weißwaschen“ der extremen Rechten, das schon seit ein paar Jahren durch die EVP betrieben werde, der Parteienfamilie, zu der auch die luxemburgische CSV gehört. In Brüssel und Straßburg spüre er, was dieses Mal auf dem Spiel stehe: „Ich komme gerade aus Straßburg und wieder haben die Schwesterparteien der CSV mit der EKR und Rechtsaußen viele Sachen durchgeboxt.“ Die Grüne Metz sieht darin ein Anbiedern an die sehr konservativen bis extrem rechten Wähler und Wählerinnen. Eine Strategie, die ihrer Meinung nach nicht aufgehen wird: „Die Leute werden trotzdem lieber das Original wählen.“

Kämpft um ihren Sitz im Europaparlament: Tilly Metz
Kämpft um ihren Sitz im Europaparlament: Tilly Metz Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Christophe Hansen, Europaabgeordneter der CSV, hat sich von den Plänen der EVP in der Migrationspolitik distanziert. Aber nicht nur die Christdemokraten haben in Europa Familienprobleme. Auch bei den europäischen Sozialdemokraten wird der Ton in Migrationsfragen zunehmend rauer. Sei es beim deutschen SPD-Kanzler Olaf Scholz oder bei den regierenden Sozialdemokraten in Dänemark, deren harte Migrationspolitik immer wieder als Erfolgsmodell zur Schwächung der rechten Kräfte im Land angeführt wird. Auf dieses Beispiel angesprochen sagt Angel, die dänischen Gesetze seien bei genauer Betrachtung weniger schlimm als befürchtet. „Ich möchte aber sagen, dass wir mit Herrn Fico in der Slowakei auch eine Partei hatten, die mit Rechtsextremen eine Regierung gebildet hat. Was haben wir gemacht? Wir haben die Abgeordneten sofort aus der Fraktion suspendiert.“

Um noch einmal an die Eingangsfrage zu erinnern: Welche Strategien bleiben den Linken, um sich gegen einen drohenden Rechtsruck zu stellen? Wie agieren, statt nur zu reagieren? Auf keinen Fall dürfe man wie die EVP rechtspopulistische Narrative übernehmen, sagt Tilly Metz. Stattdessen müsse man den Zusammenhalt der pro-europäischen und progressiven Parteien im Parlament stärken. Oder wie Marc Angel es ausdrückt: „Wollen wir geeint bleiben, oder wollen wir Herrn Putin die Freude machen, dass wir uns zerstreiten?“ Die ganze Union, so Metz, müsse nicht weniger solidarisch werden – sondern mehr.

Auf dem LSAP-Kongress am Sonntag spricht auch Nicolas Schmit, EU-Sozialkommissar und Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten. In Mamer verweist er auf große soziale Erfolge der vergangenen Legislatur, auf den europäischen Mindestlohn oder die jüngste Richtlinie zur Plattformarbeit. „Alles Projekte, um die soziale Dimension Europas zu stärken“, sagt Marc Angel. „Das brauchen wir.“ Denn: Rechtsextreme wie Marine Le Pen oder die AFD würden immer so tun, als ob sie die Vertreter der „normalen“ Leute seien. „Ich sehe im Europaparlament aber: Wenn es darum geht, stimmen die immer mit dem großen Business ab, nie für die Leute, die arbeiten.“

Angst in Furcht umwandeln

Die „normalen“ Leute und ihre Sorgen. In Wahlkämpfen immer im Fokus der Politik. Vor allem wenn es um die drohenden Erfolge von Rechts geht. „Migration wird eines der großen Themen sein, wo die Angst der Menschen auch kein Tabuthema sein darf“, sagt Tilly Metz. Angst, das ist ein Stichwort, über das alle drei Kandidaten reden: Metz, Angel, Filbig. Angst ist eines der Schlüsselwörter dieser Europawahl, dieser Zeit. Ein eskalierender Krieg mit Russland, steigende Preise, Migrationsbewegungen. Egal, welche politische Strategie man im Europa des Jahres 2024 vertreten möchte, sie muss einen Masterplan beinhalten, wie man mit der Angst umgeht. Die Frage, was tun gegen den Rechtsruck, lautet eigentlich: Was tun gegen die Angst?

„Angst ist der fonds de commerce der Rechtspopulisten, ihre Währung“, sagt Filbig. Ihre Antwort: Nicht mit Halbwahrheiten kommen, sondern mit Fakten. Metz sieht das anders. Eine der Lektionen, die sie aus den Niederlagen der Grünen gelernt hat: „Wir waren immer sehr faktenbasiert. Ich denke aber, dass es auch sehr wichtig ist, die Leute emotional mitzunehmen.“ Die Europaabgeordnete von „déi gréng“ will das nicht als Populismus verstanden wissen. „Ich weiß, dass es viel einfacher ist, mit simplistischen Lösungen zu kommen. Die Welt ist nicht schwarzweiß und man soll die Leute auch nicht für blöd verkaufen.“ Marc Angel will der Angst Hoffnung entgegensetzen. „Ich bin nicht nur Sozialdemokrat, weil ich für Solidarität und mehr Gerechtigkeit bin. Sondern weil wir als Sozialdemokraten immer für den Fortschritt waren, nie Angst vor dem gesellschaftlichen und technischen Fortschritt hatten.“

Der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler bemüht in diesem Kontext des Öfteren den Satz: „Die Aufgabe von Politik muss es sein, Angst in Furcht zu transformieren.“ Denn Furcht sei nicht so diffus wie Angst, sondern objektbezogen. Für Furcht gibt es Lösungen, für Ängste nicht. Tilly Metz, selbst Psychologin, gefällt dieser Satz. Es gehe darum, Wörter auf die Angst zu setzen, um diese dann zu dekonstruieren. „Wir haben die Lösungen. Zu einer sozial gerechten ökologischen Transition. Zu einem Europa, das in Migrationsfragen keine Festung ist. Es geht eigentlich nur um politische Kohärenz und auch ein bisschen Mut.“