DirektiveMehr Rechte für über 2.000 Plattform-Mitarbeiter: EU sagt Scheinselbstständigkeit den Kampf an

Direktive / Mehr Rechte für über 2.000 Plattform-Mitarbeiter: EU sagt Scheinselbstständigkeit den Kampf an
Als größte betroffene Plattform gilt hierzulande die App „Wedely“  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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In Luxemburg dürften mittelfristig mehr als 2.000 arbeitende Menschen, von Fahrradkurieren bis Pizzaausliefern, mehr Rechte erhalten. Das nachdem Europas Sozial- und Beschäftigungsminister am Montag ihre Zustimmung für einen Kompromiss gegeben haben.

„Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung“, so David Angel, OGBL-Gewerkschaftssekretär. „Wir sind froh darüber. Es ist auch ein Sieg für die europäischen Gewerkschaftsverbände.“

Auch Sylvain Hoffmann von der „Chambre des salariés“ ist erfreut darüber, dass die Direktive „nun doch noch zustande gekommen ist. Das hatte in den letzten Wochen nicht immer so ausgesehen.“ Nun habe man etwas „zum Anfassen“ und könne gegen „schwarze Schafe“ vorgehen. Er hätte sich jedoch auch eine strengere Regelung vorstellen können. Er hofft, dass jetzt, mit den gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten, in den einzelnen Mitgliedstaaten keine neuen Schwierigkeiten entstehen.

Die EU-Länder hatten sich nach wochenlangen Verzögerungen am Montag grundsätzlich auf ein Gesetz zur sogenannten Plattformarbeit verständigt. Wegen Bedenken in Deutschland und Frankreich hatte die Einigung wochenlang auf der Kippe gestanden. Schlussendlich hatte eine qualifizierte Mehrheit der Länder für den mit dem Europäischen Parlament ausgehandelten Kompromiss gestimmt. Deutschland enthielt sich, wegen Bedenken bei der FDP. Auch Frankreich stimmte nicht für die neuen Regeln.

Luxemburg unterstützt die Direktive

Luxemburgs Arbeitsminister Georges Mischo derweil „unterstützt“ die Direktive, so das Arbeitsministerium am Dienstag in einer Pressemeldung. „Dieser EU-Rechtsakt zielt darauf ab, die Arbeitsbedingungen auf digitalen Plattformen zu verbessern und die Verwendung von Algorithmen durch diese zu regulieren“, so das Ministerium. „Er wird auch dazu beitragen, den Beschäftigungsstatus von Personen, die für Plattformen arbeiten, korrekt zu bestimmen, sodass sie von der Anwendung des Arbeitsrechts profitieren können.“

Bei den sogenannten Plattform-Anbietern werden Aufträge mittels eines Algorithmus, einer App, vergeben. Mindestlohn, Sozialabgaben, bezahlten Urlaub und Krankenversicherung haben die Arbeiter meist nicht. Sie arbeiten in einer Art ungesicherter Scheinselbstständigkeit. Das geht von Lieferdienstleistungen bis hin zu IT-Spezialisten für Projekte.

Das alles habe mit der Frage des Wettbewerbs zu tun, so EU-Kommissar Nicolas Schmit letztes Jahr in einem Interview mit dem Tageblatt. „Wenn ich ein Geschäft habe und spätabends noch geöffnet habe, zahle ich einen höheren Lohn an die Person, die dort arbeitet und ich muss sie entsprechend sozial versichern. Wenn ich jemanden zwischen meinem Lager und dem Kunden mit dem Rad fahren lasse, habe ich das nicht.“ Es gehe um eine faire Vergütung der angebotenen Dienstleistung.

Nach Ansicht des luxemburgischen Arbeitsministers soll die Richtlinie nun ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz von sozial schwachen Personen, die auf digitalen Plattformen arbeiten, und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, herstellen.

Grenzüberschreitende Mindeststandards

Die Entwicklung einer gemeinsamen Regelung auf EU-Ebene wird auch von der Luxemburger Handelskammer als „generell positives Signal“ gewertet. Immerhin handle es sich bei den betroffenen Dienstleistungen oftmals auch um solche, die grenzüberschreitend angeboten werden können, so die Kammer. Etwa Übersetzungsarbeiten. Es sei demnach wichtig, grenzüberschreitend gültige Mindeststandards in der EU zu haben.

Wie viele Menschen hierzulande schlussendlich nun bessere Arbeitsbedingungen erhalten werden, ist unklar. Gewerkschaften und Arbeitnehmerkammer schätzen die Zahl auf 2.000 bis 2.500 Personen. Tendenz steigend. „Es sind halt keine Angestellten“, so Angel. „Das ist alles ziemlich undurchsichtig.“

Als größte betroffene Plattform gilt hierzulande die App „Wedely – Luxembourg Food Delivery“. Rund 1.000 Personen fahren regelmäßig für sie, schätzt der Gewerkschafter. Doch es ist ein schnell wachsender Sektor mit viel Bewegung. Mit „Wolt“ drängt derzeit ein großer internationaler Lieferservice auf den Luxemburger Markt. Der Markt wachse und verändere sich schnell, so Hoffmann.

Auf die Frage, ob die Wahrscheinlichkeit, dass die Plattform „Uber“ nach Luxemburg kommt, wird die neue Regelung wohl keinen Einfluss haben, schätzt David Angel. Zwar habe das Unternehmen starke Lobbyarbeit gegen die Regelung unternommen – gleichzeitig jedoch ist das Unternehmen aus dem Taxi-Gewerbe in Spanien aktiv, wo es bereits heute ein Gesetz zur Regelung der Plattformarbeit gibt. „Es funktioniert auch mit Angestellten.“

Hoffen auf eine schnelle Umsetzung

Vieles ist derzeit noch ungewiss. Die Details des künftig in Luxemburg anzuwendenden Gesetzes stehen noch nicht fest. „Die genauen Folgen sind derzeit noch nicht absehbar“, so Angel. Nach der erwarteten Zustimmung durch das EU-Parlament haben die EU-Mitgliedstaaten nun zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Auch die Luxemburger Handelskammer will sich derzeit noch nicht weiter zu den Details des neuen Textes äußern. Das sei noch zu früh. Es gelte aber sicherzustellen, dass Personen, die als „Selbstständige“ arbeiten wollen, dies auch tun können, fügt die Sprecherin hinzu. Die Kammer setze sich dafür ein, den Status des „indépendant“ zu verbessern und zu stärken.

„Jetzt hoffen wir, dass schnell gesetzlich gehandelt wird“, so David Angel. Bereits vor einem Jahr habe es hierzulande einen Vorstoß vom damaligen Arbeitsminister Georges Engel für eine eigene Regelung gegeben, erinnert er sich. Die sei dann aber gestoppt worden, mit der Begründung, man warte auf die europäische Direktive.

Auch Sylvain Hoffmann erinnert sich noch an den Vorstoß. Als Salariatskammer habe man damals eine „proposition de loi“ eingereicht. „Die liegt immer noch auf dem Tisch.“ Auch er wünscht sich ein schnelles Vorgehen der Regierung. „Die Leute sollen abgesichert sein. Das muss man dann wohl machen.“

Was ist Plattform-Arbeit?

Bei Plattformarbeit werden über eine App oder eine Website Anbieter bestimmter Dienstleistungen mit Verbrauchern in Verbindung gebracht. Eine der bekanntesten Plattformen ist der Fahrdienstleister Uber. Gegen Bezahlung bieten Einzelpersonen über Uber Fahrtdienste an. Das Problem: Plattformarbeiter werden meistens als Selbstständige behandelt – eine Einstufung, die in vielen Fällen jedoch nicht mit ihrem eigentlichen Status vereinbar ist. Plattform-Betreiber umgehen damit jedoch die Verpflichtung, für ihre Beschäftigten Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Zudem haben sie keinen Zugang zu anderen Rechten, die ihnen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zustehen. Mit der neuen Richtlinie soll nun Scheinselbstständigkeit verhindert und diesbezüglich Klarheit geschaffen werden.

Nach Angaben des Generalsekretariates des EU-Rates waren im Jahr 2022 rund 28 Millionen Menschen über eine digitale Plattform beschäftigt. Es wird geschätzt, dass sich bis zum Jahr 2025 ihre Zahl auf 43 Millionen erhöhen wird. Die Beschäftigten sind demzufolge häufig junge Männer mit einem postsekundären Abschluss, die Plattformarbeit neben einer regulären Arbeit als zweite Einkommensquelle nutzen. Demnach sind die meisten der Beschäftigten für die Dienste, die sie anbieten, überqualifiziert.

39 Prozent der über Plattformen angebotenen Dienstleistungen sind Fahrtdienste (Taxi), gefolgt von Lieferdiensten (24 Prozent), häuslichen Diensten (19 Prozent), Fachdienstleistungen (7 Prozent), freiberuflichen Tätigkeiten (6 Prozent), Betreuungsdiensten (3 Prozent) und anderen. Die allermeisten Dienste werden von Einzelpersonen erbracht.

55 Prozent der Plattform-Beschäftigten werden weiterhin, nach Angaben des EU-Rates, nicht korrekt bezahlt, da sie weniger als den in ihrem Land üblichen Nettomindestlohn erhalten. Zudem werden 41 Prozent der Zeit, die Plattform-Beschäftigte ihrer Arbeit widmen, nicht bezahlt. Sieben Prozent der Plattformarbeiter werden als Angestellte geführt, 93 Prozent – 26,3 Millionen Menschen – als Selbstständige, von denen Schätzungen zufolge fünf Millionen Menschen nicht richtig eingestuft sind. (gk)