Barbies für alleSpanien kämpft gegen sexistisches Spielzeug: Auch Jungen sollen Puppen haben

Barbies für alle / Spanien kämpft gegen sexistisches Spielzeug: Auch Jungen sollen Puppen haben
Weg von den Genderklischees: Spielzeug soll in Spanien nun geschlechtsneutral vermarktet werden  Foto: Pixabay

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Puppen und rosafarbene Spielsachen vorzugsweise für Mädchen, Autos und Action-Spielzeug in schrillen Farbtönen vor allem für Jungen – damit soll in Spanien Schluss sein. Spaniens feministische Regierung, in der 14 Frauen und nur neun Männer sitzen und die zu Europas Vorreitern in der Gleichstellungspolitik zählt, hat zum Kampf gegen geschlechtsspezifisches Spielzeug aufgerufen. Werbung, die sich nur an Mädchen oder nur an Jungen wendet, ist künftig in Spanien verboten.

Der Grund: Derart einseitige Werbung, in der den Kindern eingeredet werde, es gebe typisch weibliche oder männliche Spielsachen, sei sexistisch. „Spielen kennt kein Geschlecht“, sagt Alberto Garzón, Spaniens Minister für Verbraucherschutz. Mit sexistischen Spielsachen würden schon bei Kindern jene Rollenklischees geprägt, die später die Chancengleichheit behindern, zur Diskriminierung von Frauen führen und eine von Männern dominierte Gesellschaft fördern.

„Spielsachen ohne Rollenklischees machen die Jungen und Mädchen freier“, erklärte Garzón. Und er schaffte es über sanften Druck, mit dem Dachverband der nationalen Spielwarenindustrie ein verbindliches Abkommen zu schließen, mit dem sich die Hersteller künftig zu einer geschlechtsneutralen Produktwerbung verpflichten. „Die Werbung wird in der Zukunft zur Gleichstellung von Jungen und Mädchen beitragen“, verkündete Garzón.

Geschlechtsneutrale Werbung

Die wohl wichtigste Regel dieses Abkommens: „Die Unterscheidung von Spielsachen nur für Jungen oder nur für Mädchen ist verboten.“ Damit werden auch Werbespots untersagt mit Botschaften wie: „Alles, was sich Mädchen wünschen.“ Oder: „Entdecke die Welt der kleinen Männer.“ Jegliches Spielzeug, egal ob es sich um einen Puppenwagen oder um eine Autorennbahn handelt, muss geschlechtsneutral beworben werden.

Auch die Sexualisierung von Spielsachen ist künftig verboten. Dazu gehört etwa, dass die Kleidung oder die Aufmachung von Barbiepuppen als besonders „sexy“ angepriesen werden. Gewaltverherrlichung bei der Bewerbung von Action-Spielfiguren ist künftig ebenfalls nicht mehr erlaubt. Das Abkommen gilt für alle Spielzeugwerbung, die sich an Kinder unter 15 Jahren richtet.

Als Vater zweier kleiner Töchter weiß der 36-jährige Garzón, wie schon die Spielewelt die Zukunft der Kinder beeinflussen kann. „Wenn wir den Mädchen über die Werbung vermitteln, dass ihre Spielsachen vor allem mit der Betreuung und Pflege zu tun haben, mit der häuslichen Welt, dann sagen wir ihnen letztlich als Gesellschaft, dass sie sich auch als Erwachsene diesen Aufgaben widmen müssen.“

Mit solchen Klischees werde nicht die Gleichstellung, sondern die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau gefördert.

Richtungsweisende Entscheidung

„Es ist an der Zeit zu sagen: Jetzt reicht es“, heißt es in einem Zeichentrickvideo aus Garzóns Verbraucherschutzministerium. In dem Animationsfilm lässt Garzón eine Puppe sagen: „Wir haben das Recht, mit allen Kindern zu spielen. Und nicht nur mit 50 Prozent der Kinder.“ Dahinter steckt die Botschaft: Barbies für alle.

Der Vorstoß zur Vermeidung von Diskriminierung und zur Förderung der Gleichstellung in der Kinderreklame ist in der Öffentlichkeit auf breite Zustimmung gestoßen. Auch die konservative Volkspartei, die im spanischen Parlament die Opposition anführt, hatte keine Einwände – sie plante einen ähnlichen Gesetzesentwurf. Nur die rechtspopulistische Partei VOX übte Kritik: Die Werbenorm sei eine „totalitäre“ Einmischung in die Entwicklung der Kinder.

Auch Garzón weiß freilich, dass sein Gleichstellungsabkommen noch nicht perfekt ist: Denn es schließt nicht die elektronischen Video-, Konsolen- und Handyspiele mit ein, die in der Welt der Kinder und Jugendlichen eine immer größere Rolle spielen. Hier hat der Minister noch ein Stück Arbeit vor sich.

Trotzdem gilt die spanische Absprache mit der nationalen Spielwarenindustrie als richtungsweisend in Europa, wo bisher nur wenige Staaten so weit fortgeschritten sind wie Spanien. Das früher so traditionelle Spanien hat sich in den letzten Jahren unter dem sozialistischen Premier Pedro Sánchez zu einem Vorreiter im Kampf gegen die Diskriminierung der Frauen, gegen die Macho-Kultur und für die Gleichberechtigung entwickelt.

Europäischer Musterknabe

Nach der Statistik des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen zählt Spanien heute zusammen mit den skandinavischen Ländern, den Niederlanden und Frankreich zur EU-Spitzengruppe. Das südeuropäische Land liegt zum Beispiel vor Deutschland oder Österreich, die sich hinsichtlich der Fortschritte bei der Gleichstellung von Mann und Frau nur im EU-Mittelfeld bewegen.

Als europäischer Musterknabe gilt Spanien besonders bei der Sensibilisierung hinsichtlich Gewalt gegen Frauen. In dieser Frage steht Spanien heute dank massiver Öffentlichkeitskampagnen und sehr harter Strafen besser da als viele andere europäische Nachbarstaaten.

Speziell geschulte Richter, Staatsanwälte und Polizeieinheiten verfolgen die Gewalttaten gegen Frauen. In Radio und Fernsehen werden Frauen ermuntert, Misshandlungen umgehend anzuzeigen. Die Zahl der Todesopfer geht in Spanien zurück: Vor 15 Jahren starben innerhalb eines Jahres noch 76 Frauen durch die Hand ihres aktuellen oder früheren Partners, in 2021 waren es nur noch 44.