UkraineRussische Siegesfeier mitten im Kampflärm von Mariupol

Ukraine / Russische Siegesfeier mitten im Kampflärm von Mariupol
Bizarre Feier: Vor der Parade waren bereits Straßenschilder ausgetauscht worden Foto: AFP/Stringer

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Mit einer 300 Meter langen Fahne feiern die russischen Besatzer in Mariupol die Siegesfeier. Auch in anderen Städten im Süden der Ukraine kommt es zu ähnlichen Szenen.

Am 75. Tag der russischen Invasion in die Ukraine haben die russischen Besatzer der Hafenstadt Mariupol auf dem Nachimow-Prospekt eine Parade zum 9. Mai, dem traditionellen russischen „Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus“ abgehalten. Zu schnittiger Marschmusik wurde eine 300 Meter lange schwarz-orange Georgs-Flagge entlang des Meeresuferparks im Stadtzentrum getragen. Russische offizielle Videos zeigen den Park, da die andere Straßenseite weitgehend zerschossen ist.

Aus Moskau wurde eigens die Flamme für ein ewiges Feuer in die ukrainische Hafenstadt gebracht und neben der russischen, sowjetischen und DNR-Flagge entfacht. Die von den Russen weitgehend eroberte Stadt soll dereinst der DNR, der pro-russischen „Volksrepublik Donezk“, zufallen.

„Keine Freude gesehen“

„Ich habe keine Freude gesehen“, berichtete Petro Andruschtschenko, ein Berater des Kiew-treuen Bürgermeisters auf seinem Telegram-Kanal, „Zuschauer werden von der Feldküche und zusätzlichen Essensrationen auf den Platz gelockt“. Auf den offiziellen Videos der russischen Besatzer sind außer den Trägern der riesengroßen Georgs-Flagge kaum Zuschauer zu sehen. Dem Vernehmen nach sollen viele der Flaggenträger aus der DNR-„Hauptstadt“ Donzek in Bussen nach Mariupol gekarrt worden sein.

Tagelang waren zuvor in der Innenstadt von Mariupol Trümmer beseitigt und zweisprachige ukrainisch-russische gegen russischsprachige Straßenschilder ausgetauscht worden. Hunderte der verbliebenen einst 440.000 Einwohner werden dazu von den Besatzern zur Fronarbeit gegen Essensrationen getrieben. Aus Moskau war bereits am Donnerstag Putins Ukraine-Beauftragter Sergei Kirienko eingetroffen. Der Putin-Vertraute hatte die Siegesfeiern vorzubereiten, die aus Sicherheitsgründen auch dieses Jahr weder in Donzek noch Luhansk stattfinden konnten.

Während der traditionellen russischen Feierlichkeiten gingen die Kämpfe im drei Kilometer östlich gelegen „Asovstal“-Gelände unvermindert weiter. Kaum hatte die UNO-Delegation am Montagmorgen die Stadt nach der Evakuierung der letzten Frauen und Kinder in den Bunkern von „Asovstal“ verlassen, stürmte die russische Armee das elf Quadratkilometer große Industriegelände wieder. In dem zerstörten Stahlwerk halten sich noch immer bis zu 3.000 ukrainische Soldaten auf, die trotz Munitions- und Nahrungsmittelmangel ihre Waffen nicht strecken wollen. Laut unterschiedlichen Angaben sind bis zu 600 verwundet. Auch diese sollen laut Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj nun evakuiert werden. Allerdings ist unklar, ob Russland dies zulässt. Bisher hieß es in Moskau, die ukrainischen Verteidiger müssten sich ergeben, bevor sie evakuiert werden könnten. „Aufgeben ist keine Option“, sagt der „Asovstal“-Vizekommandant Swjatoslaw Palamar von der ukrainischen Freiwilligenbrigade „Asow“.

Inzwischen hat Alexander Laschina, ein Abgeordneter aus Mariupol, auf dem noch unabhängigen Lokaljournalisten-Portal „Mariupol Now“ vor einem geplanten russischen Chemiewaffenangriff auf „Asovstal“ gewarnt. Die verbliebenen rund 100.000 Einwohner von Mariupol seien von den Besatzern angewiesen worden, ihre Wohnungen am Mittwoch nicht zu verlassen, berichtet Laschina.

Nicht nur in Mariupol

Auch in den bereits im März eroberten Städten Cherson, Melitopol und Skadowsk ließen die russischen Besatzer 9.-Mai-Feierlichkeiten abhalten. In die Oblast-Hauptstadt Cherson wurden offenbar viele Russen aus der nahen Halbinsel Krim gefahren. Auch in Melitopol wollten laut dem Kiew-treuen Bürgermeister Iwan Fedorow keine Einheimischen mit den Besatzern mitfeiern.

Allerdings sind auf Videoaufnahmen auch viele Rentner zu sehen, die aus Sowjetnostalgie und im Tausch gegen Lebensmittel mitgemacht haben könnten. In der 50.000-Einwohner-Stadt Enerhodar am Fluss Dnipro wurde offenbar die Siegesparade aus Moskau auf Riesenbildschirmen übertragen. In gegensätzlicher Richtung funktionierte die Leitung nicht. In Moskau fiel offenbar die Satellitenübertragung der Siegesfeiern in der Ukraine aus.

Polen: Kunstblut auf Botschafter

Pro-ukrainische Demonstranten haben den russischen Botschafter in Polen mit Kunstblut beworfen und bedrängt. Botschafter Sergej Andrejew war am Montag zu einer Kranzniederlegung anlässlich des Jahrestags des Sieges über Nazi-Deutschland auf einen Soldatenfriedhof in Warschau gekommen. Nach Angaben eines AFP-Fotografen vor Ort schnitten Pro-Ukraine-Aktivisten dem Diplomaten den Weg ab. Sie schwenkten blau-gelbe, ukrainische Fahnen und riefen „Faschisten“.