ReportageRumänien zeigt mittels Andrew Tate null Toleranz für Menschenhandel

Reportage / Rumänien zeigt mittels Andrew Tate null Toleranz für Menschenhandel
Das immer wieder wegen Problemen mit der Justiz gegeißelte Rumänien könnte sich durch eine saubere Aufklärung des Andrew-Tate-Skandals einiges an Goodwill einspielen Foto: Georg van der Weyden

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Ein britisch-amerikanischer Kickbox-Weltmeister wandert ins arme Rumänien aus, wo das Gesetz angeblich lascher gehandhabt wird, kauft dort Spielsalons, betreibt Internet-Coaching und investiert in Internet-Filmproduktionen. Im Hof seiner 20-Millionen-Dollar-Villa sammelt er Ferraris und andere Luxusschlitten.

Vor Ort im Norden der rumänischen Hauptstadt Bukarest sieht es prosaischer aus. „Hier leben nur unsere Reichen“, sagt Oviedu, mein Fahrer, „und schließlich landen sie alle doch auf diesem Friedhof.“ Wir haben endlich den Gemeindefriedhof von Pipera, einer Vorortgemeinde von Bukarest, erreicht. Vier schwarze Katzen lungern am Friedhofstor herum, warten auf treue Besucher mit etwas Knochen aus den Küchenabfällen. Rund um den Friedhof boomt die Vorstadt. Auf drei Seiten werden neue Siedlungen hochgezogen. Noch stehen nur graue Mauern im Schnee, doch bald werden sie eingezäunt wie das nahe „American Village“.

An Ende der Strada Drumul Bisericii hat im Dezember eine Razzia der rumänischen Polizei stattgefunden, die die Internet-Community weltweit noch immer in Atem hält. Denn der gefilzte Villenbesitzer Andrew Tate (36), der eingangs erwähnte Kickboxer, hatte auf seinem TikTok-Kanal mehr Aufrufe als es Menschen auf der Erde gibt, nämlich elf Milliarden. Auf Twitter hat er seit seiner Wiederzulassung durch Elon Musk 5,1 Millionen Anhänger. Das ist sehr, sehr viel in dieser virtuellen Welt. 

Der wegen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Vergewaltigung angeklagte Influencer Andrew Tate bei seiner Festnahme Ende Dezember
Der wegen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Vergewaltigung angeklagte Influencer Andrew Tate bei seiner Festnahme Ende Dezember Foto: AFP/Daniel Mihailescu

Trotz dieser Zahlen nahmen ihn Ende Dezember die rumänischen Gesetzeshüter fest, dazu auch seinen jüngeren Bruder Tristan (34) und zwei Frauen, darunter eine rumänische Ex-Polizistin. Auf die heiße Spur gebracht wurden die Polizisten gerüchtehalber von einer Pizzabox, die es nur in Rumänien gibt. Mit dieser Box im Hintergrund hatte sich Tate im Internet über die Klima-Aktivistin Greta Thunberg lustig gemacht. Die rumänische Polizei bestreitet, dass die Pizzabox sie zu Tates Villa geführt habe. Vorgeworfen werden ihm und seinen drei Komplizen Menschenhandel und Zwangsprostitution, Andrew Tate alleine noch eine Vergewaltigung im März 2022. Insgesamt sechs Opfer sind mittlerweile identifiziert, darunter ist mindestens eine minderjährig.

Alles Humbug, kommentiert Andrew Tate: „Frag sie nach Beweisen und sie geben dir keine, weil es keine gibt“, sagte Tate einem Reporter bei einem Gerichtstermin in Bukarest im Januar. „Die Wahrheit über diesen Fall kommt bald ans Licht“, versprach das Internet-Idol. Inzwischen ist über ein Monat verstrichen und Andrew Tate hat sich nur über die Kakerlaken in seiner Bukarester Zelle beklagt. Sein rumänischer Anwalt, Eugen Vidineac, wiederholt immer noch gebetsmühlenartig, es gäbe „keine Beweise“ gegen seinen Klienten und Andrew Tate habe auf seinen Social-Media-Kanälen „nur eine Rolle“ gespielt. 

Die Rolle des Andrew Tate war dort indes besonders frauenverachtend, was ihm selbst bei TikTok eine Konto-Sperrung einbrachte. In seiner „Hustler’s University“ leitete er dazu zehntausende Abonnenten an, „richtige Männer“ zu werden, die schnelle Autos und viel Geld lieben und wissen, dass Frauen minderwertig und ihr Besitz seien. 

Inzwischen wurde die Untersuchungshaft für Andrew und Tristan Tate von der rumänischen Justiz gerade das zweite Mal – auf Ende März – verlängert.

Pistolen, Messer und die „Loverboy“-Methode

Das Anwesen Andrew Tates befindet sich rund 800 Meter vom Friedhof von Pipera entfernt, kurz vor einem grobmaschigen Gitterzaun, mit der die nicht gerade neu asphaltierte Drumul-Bisericii-Straße jäh endet. Während ein grüner Bretterzaun zur Rechten kleine, ältere Anwesen vor aufdringlichen Blicken schützt, soll sich auf der Linken „Andrew Tate’s Gym“, ein Fitnessstudio mit seinem Namen also, befinden, vor dem oft gleich mehrere Ferraris stünden. Das 24/7-Fitnessstudio entpuppt sich als ältere Fabrikhalle. Die Halle stünde schon seit Jahren leer, so wolle es ihr jedenfalls erscheinen, berichtet eine jüngere Dame mit einem großen Hund.

Andrew Tates Villa ein paar Hundert Schritte weiter wird indes in der Tat scharf bewacht. Es handelt sich um einen grau-schwarzen niederen Bau, in dessen Innenhof ein paar Autos auszumachen sind. Hier muss einer wohnen, der sich fürchtet. Dies ist der Ort, den die rumänische Polizei erstmals bereits im April 2022 durchsucht hatte, nachdem ein US-Bürger sich bei seiner Bukarester Botschaft beklagt hatte, seine Ex-Freundin würde in dem Anwesen festgehalten und zu Internet-Pornos gezwungen werden. Damals zogen die Gesetzeswächter wieder ab und es passiere nichts. Mitte Januar nun wurden bei einer dritten Razzia 15 Luxusautos im Wert von 3,6 Millionen Euro  beschlagnahmt. Dazu Pistolen, Messer und viel Bargeld. 

Blick auf die Villa von Andrew Tate
Blick auf die Villa von Andrew Tate Foto: Paul Flückiger

Andrew Tates Anwesen ist kleiner als erwartet. Die angeblich über 20 Millionen Dollar könnten in die Technik jenes Filmstudios gesteckt worden sein, in dem pornografische Filme für Internet-Plattformen wie OnlyFans hergestellt worden sein sollen. Laut der rumänischen Sonderstaatsanwaltschaft für Terrorismus und Organisiertes Verbrechen (DIICOT) handelte es sich bei den Schauspielerinnen um teilweise mit Gewalt gezwungenen Frauen. 

Dazu soll sich Andrew Tate laut Staatsanwaltschaft auch damit beschäftigt haben, mindestens sechs Rumäninnen unter falschen Heiratsversprechen ins Ausland, darunter die USA, gelockt zu haben. Dort mussten sie anschaffen gehen. 

Diese sogenannte „Loverboy“-Methode macht in Rumänien seit Mitte der Zehnerjahre kriminelle Karriere. Tate war 2016 aus England nach Rumänien gezogen, weil dort die Justiz leicht bestochen werden könne, wie der Influencer auf seinen Social-Media-Kanälen damals freimütig begründete. 

Alle könnten in Rumänien bestochen werden, kommentiert Oviedu, mein Fahrer. Die Polizei wolle sich wohl auf Kosten Tates bereichern, dieser habe vermutlich geforderte Zuwendungen verweigert. Dann schimpft der Fahrer auf die Korruption.

Rumänien ist das nach Bulgarien zweitärmste EU-Mitglied
Rumänien ist das nach Bulgarien zweitärmste EU-Mitglied Foto: Georg van der Weyden

Rumänien, das von der Europäischen Kommission seit seinem EU-Beitritt 2007 immer wieder wegen Problemen mit der Justiz gegeißelt wird und gerade erneut an der seit Jahren angestrebten Aufnahme zum Schengen-Raum gescheitert ist, könnte sich durch eine saubere Aufklärung des Andrew-Tate-Skandals einiges an Goodwill einspielen. Denn seit Jahren gilt das nach Bulgarien zweitärmste EU-Mitglied als Hauptquelle der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. 

Mit 2.315 Menschenhandelsopfern alleine 2019 und 2020 führt Rumänien die jüngste EU-Kommissionsstatistik erneut an. Gefolgt wurde es von Frankreich (1.202 Opfer), Italien (904), Bulgarien (553) und Polen (518). Laut der letzten nationalen Statistik der „Behörde für die Prävention des Menschenhandels“ (ANITP) von 2021 sind 90 Prozent davon Frauen, die Hälfte ist minderjährig, 80 Prozent werden zur Sexarbeit gezwungen und zwar wiederum die Hälfte innerhalb Rumäniens, weitab ihres Heimatorts. Wenn die Frauen ins Ausland geschleust werden, dann vor allem nach Großbritannien, Deutschland, Italien und Spanien. 16 der offiziell 505 Menschenhandelsopfer des Jahres 2021 meldeten sich aus der Schweiz bei den rumänischen Behörden. Aus Luxemburg und Österreich waren es 2021 keine. Denn nur diese Opfer tauchen in den Statistiken auf. „Es handelt sich dabei um die Spitze eines Eisbergs“, sagt die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson.

Sieben Staatsanwälte für 2.021 gemeldete Fälle

Erst vor zwei Jahren hat Rumänien nach jahrelangen Mahnungen durch Brüssel und den Europarat in Straßburg bei DIICOT eine Sonderabteilung für die Bekämpfung des Menschenhandels eingerichtet. Nur gerade sieben Staatsanwälte wurden dafür abgestellt. Der Fall von Andrew Tate ist der erste große Fall dieser Sonderkommission „Frauenhandel“. Vermutlich, denn DIICOT (Directorate for Investigating Organized Crime and Terrorism) kommuniziert äußerst ungern mit den Medien.

Die ‚Loverboy’-Methode ist die fieseste überhaupt, denn der Verbrecher hat sich im Herzen seines Opfers eingenistet

Mihaela Dragus , Sprecherin der „Nationalen Behörde für die Prävention des Menschenhandels“

Und so tut man sich in Bukarest auch schwer mit der Vermittlung dessen, was im Falle Andrew und Tristan Tate vorgeht und welche Bedeutung dieser VIP-Fall für das Land hat. „Wir haben uns entschieden, grundsätzlich nicht mit der Presse über diesen Fall zu sprechen“, sagt die DIICOT-Sprecherin, Staatsanwältin Romana Bolla, Ende Januar in einem Telefongespräch mit dem Tageblatt. „Wir wollen die Richter nicht beeinflussen“, begründete Bolla. „Wir werden von den Medien überrannt nach der Tate-Festnahme und haben schlichtweg weder die Kapazität noch die Zeit, uns mit ihnen zu treffen“, fügte die Sonderstaatsanwältin händeringend an. Dies erstaunt nicht, wenn sich nur sieben Staatsanwälte um die offiziell 2.021 gemeldeten Opfer von Menschenhandel im In- und Ausland kümmern können. 

Mihaela Dragus, Sprecherin der „Nationalen Behörde für die Prävention des Menschenhandels“
Mihaela Dragus, Sprecherin der „Nationalen Behörde für die Prävention des Menschenhandels“ Foto: Paul Flückiger

„Wir jedenfalls unternehmen alles, was wir nur können; wir sind auch auf allen Kanälen von Social Media aktiv“, erzählt Mihaela Dragus, die Sprecherin der „Nationalen Behörde für die Prävention des Menschenhandels“ (ANITP, anitp.mai.gov.ro). Die Agentur des Innenministeriums mit ihren mehreren Dutzend Angestellten befindet sich im letzten Geschoss eines älteren Bürohauses im Zentrum von Bukarest. Dragus will noch im Flur Identitätskarte und Presseausweis des vorangemeldeten Besuchers fotografieren. „Bei uns kommen sehr verschiedene Leute vorbei, wir stören das Organisierte Verbrechen“, erklärt die Beamtin. 

In einem Besprechungsraum zeigt sie alsdann den jüngsten ANITP-Aufklärungsfilm, der in rumänischen und spanischen Flughäfen gezeigt werden soll. Darin werden nicht nur ausreisewillige Rumäninnen, sondern auch die Kunden der rumänischen Sexarbeiterinnen in Spanien direkt angesprochen. Ein Drittel der Sexarbeiterinnen in Spanien stamme aus Rumänien, erzählt Dragus, und viele von ihnen seien mit der „Loverboy“-Methode dorthin gelockt worden. 

Vor allem jungen Rumäninnen würde dabei – oft im Internet – vorgegaukelt, jemand in einem beliebten Auswanderungsland habe sich in sie verliebt. Die Frauen würden so ins Ausland gelockt, wo angeblich eine Hochzeit auf sie warte, manchmal dazu noch ein legaler Job in einem Laden oder als Altenpflegerin. Sobald sie am Flughafen ankämen, würde ihnen der Pass abgenommen, oft würden sie vergewaltigt, geschlagen und dann zur Prostitution gezwungen. „Viele Opfer erkennen sich gar nicht als solche an, denn sie lieben ihren Peiniger“, sagt Dragus. Das sei das Schlimmste, findet sie. „Die ‚Loverboy’-Methode ist die fieseste überhaupt, denn der Verbrecher hat sich im Herzen seines Opfers eingenistet“, sagt Dragus. Dabei haben die Untersuchungen von ANTIP ergeben, dass viele junge Frauen von Ex-Klassenkameraden oder gar Verwandten rekrutiert werden, teils auch Frauen.

Kein Schengen-Mitglied

Die Tatsache, dass Rumänien kein Schengen-Raum-Mitglied ist, wird von Frauenhandelsexperten unterschiedlich bewertet. Während sich Iana Matei von der Opferhilfestiftung „Reach Out Romania“ in einem Telefongespräch froh darüber zeigt, dass an den Grenzen Rumäniens noch kontrolliert wird, weisen mit der Materie vertraute Lokaljournalisten im ostrumänischen Galati darauf hin, dass de facto trotz fehlender Schengen-Mitgliedschaft eben dennoch nicht oder nur sehr oberflächlich kontrolliert würde, so etwa oft zwischen den Non-Schengen-Staaten Bulgarien und Rumänen. Bei Behörden ist dagegen durchs Band zu hören, dass Schengen eben Vor- und Nachteile hätte. Unter den Nachteilen wird auf Nachfrage durchaus, aber kleinlaut die damit wegfallende Personenkontrolle an den Landesgrenzen des Schengen-Raums genannt, die Frauenhändlern ihr Geschäft noch einfacher mache.

Den Fall Tate kann und will die Regierungsbeamtin Dragus nicht kommentieren, doch zwischen den Zeilen wird schnell klar, was sie von solchen Internet-VIP mit kontroversem Männlichkeitswahn hält. „Allen Jugendlichen wird heute weltweit eingebläut, dass nur die Anzahl von Aufrufen ihrer Social-Media-Profile und Online-Follower ihren Wert als Personen definieren würde, und dass Reiche glücklicher seien als Arme, was die Anziehungskraft von Loverboys erhöht“, sagt die Mittdreißigerin seufzend in ihrem Bukarester Büro. 

Rumänien in 2017 der europäischen Union beigetreten: Zu sehen ist hier ein Dorf im Norden der Hauptstadt Bukarest
Rumänien in 2017 der europäischen Union beigetreten: Zu sehen ist hier ein Dorf im Norden der Hauptstadt Bukarest  Foto: Georg van der Weyden

Die ANTIP-Statistiken zeigen auch, dass die Frauenhandelsopfer in den letzten Jahren oft aus zwei armen Gebieten Rumäniens an der Grenze zur Ukraine und der Republik Moldawien stammen. Dragus indes widerspricht einer solchen Vereinfachung des Problems: „Nicht Armut ist der Schlüssel, sondern das Psychogramm, bestimmte Lebenssituationen dieser junger Frauen, die etwa oft von den Eltern emotional vernachlässigt werden“, erklärt sie. 

Ein Augenschein in Dörfern rund um die Stadt Galati im Dreiländereck Rumänien-Ukraine-Moldawien zeigt eine Reihe von Faktoren, die im Ausland wohnenden sogenannten „Loverboys“ in die Hände spielen könnten, auch wenn niemand in diesem Dörfern mit Ausländern sprechen will. Zum einen wohnen in den meisten Dörfern fast nur Jugendliche oder Rentner. Die mittlere Generation arbeitet dem Vernehmen nach in Italien. Auch herrscht dort ein buntes Dorfgewebe aus neuen Einfamilienhäusern und alten, teils zerfallenden Winzlingshäusern. Arbeitsplätze sucht man in solchen Dörfern meist vergebens, es sei denn, es gibt noch eine Schule. Die EU klopft dennoch im Dorf an – mittels des Kleinwagens des Pizzaservices aus dem nahen Galati. 


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