Escher GemeinderatRichtung22: Galgenfrist gewährt, doch Entscheidung steht

Escher Gemeinderat / Richtung22: Galgenfrist gewährt, doch Entscheidung steht
Interessierte Zuhörer der Gemeinderatssitzung: Felix Adams und Natalie Rubchenko von Richtung22  Foto: Editpress/Philip Michel

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Richtung22 bekommt im Bâtiment4 eine Galgenfrist, an der Entscheidung ändert sich aber nichts. Das entschied der Escher Gemeinderat mit den Stimmen der CSV-DP-„déi gréng“-Mehrheit in seiner Sitzung vom Freitag, die ganz im Zeichen der (Event-)Kultur stand. Im Mittelpunkt: frEsch. Bei den Diskussionen ging es mitunter hoch her.

Vor zwei Wochen wurde die Escher Gemeinderatssitzung wegen eines Trauerfalls kurzfristig verschoben. Sie war mit Spannung erwartet worden, stand doch die Konvention über 4,5 Millionen Euro mit der 2020 gegründeten frEsch Asbl (Gesamtbudget: 9,4 Millionen) an der Tagesordnung. Die Organisation betreibt nicht nur die Kulturhäuser Bâtiment4, Konschthal und Bridderhaus, sondern organisiert auch die großen kulturellen Veranstaltungen wie die „Francofolies“, die „Nuit de la culture“ und in diesem Jahr erstmals eine Architektur-Biennale. Seit längerem schon steht sie wegen ihrer Struktur, ihren im Ausland eingekauften Events und vor allem wegen ihrer komplett undurchsichtigen Finanzpolitik in der Kritik.

Dazu kam vor wenigen Wochen der Streit mit Richtung22, denen der Rauswurf aus dem Bâtiment4 droht. Das Künstlerkollektiv hatte in den vergangenen Jahren Esch2022, die Escher Kulturpolitik und den zuständigen Schöffen Pim Knaff (DP) offen kritisiert, sodass schnell der Verdacht eines politisch motivierten Rausschmisses aufkam. 

Spitze des Eisbergs

Nach der am Freitag nachgeholten Gemeinderatssitzung scheint klar, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist und die politisch Verantwortlichen mit frEsch einen riesigen Wasserkopf geschaffen haben, der viel zu lange in absoluter Intransparenz unkontrolliert wachsen konnte. Und das, obschon mit Schöffe Pim Knaff (Präsident), Bruno Cavaleiro (CSV), Mandy Ragni („déi gréng“) und Daliah Scholl (DP) zwei aktuelle Schöffen und zwei Gemeinderäte dem Verwaltungsrat angehören. Jedoch scheint es so, dass selbst Mitgliedern des CA eine Akteneinsicht verwehrt wurde. Auch das Pressekommuniqué von frEsch zum Richtung22-Rauswurf wurde verschickt, ohne dass alle Verwaltungsratsmitglieder es vorab gesehen geschweige denn gutgeheißen hätten. Zu guter Letzt wurde dem CA mitgeteilt, dass lediglich Präsident Pim Knaff öffentlich Stellung zu beziehen habe. 

Livestream gestört

Ausgerechnet am Tag, an dem die Escher Gemeinderatssitzung wegen des Streits zwischen frEsch und Richtung22 über die Gemeindegrenzen hinaus Interesse weckte, fiel die Homepage der Stadt aus. Was bedeutete, dass die Sitzung nicht richtig im Livestream verfolgt werden konnte, da die Homepage immer nur kurzzeitig erreichbar war. 

Für LSAP-Fraktionschef Steve Faltz ist das umso schlimmer, weil frEsch, das keines der Ziele im Kulturentwicklungsplan 2022-2027 erfülle (u.a. „terre d’accueil“ für junge Kreative zu sein), als Asbl ein gewaltiges Budget verwalte. „Wenn wir hier so intensiv über frEsch diskutieren, dann muss man sich als Mehrheit doch Fragen stellen, warum das so ist“, holte Faltz aus. Als Allererstes einmal Fragen über die gewaltige Summe an Steuergeldern, die hier zur Abstimmung stünden und die kurzfristig für Events, Jahrmärkte, Konzerte und Feuerwerke ausgegeben würden. Und weitere Fragen wie: Wer verwaltet diese Gelder und wer bekommt sie? Und welche Rolle spielt der Verwaltungsrat? 

Die LSAP jedenfalls habe im Februar Erklärungen zu den Konten der Vereinigung angefragt, jedoch nicht den Einblick bekommen, den man erwartet hätte. „Hat der CA sie überhaupt gesehen“, fragte Faltz, „oder nur verschiedene Leute aus dem CA?“ Allein die Informationen, die man erhalten habe, ließen weitere Fragen aufkommen, so zum Beispiel, was sich genau hinter dem 1,915-Millionen-Euro-Budgetposten „autres frais généraux“ verbirgt. Oder woher die 150.000-Euro-Hotel-Kosten herkommen? „Wie ist es möglich“, fuhr Faltz fort, „dass bei den ‚Francofolies’ Jahr für Jahr 25.000 Euro im Budgetposten Sponsoring auftauchten und es 2024 auf einmal eine halbe Million sein soll?“ Und wie man 2,2 Millionen aus dem Ticketverkauf einnehmen will, wenn maximal 10.000 Tickets à 130 Euro verkauft werden. In einer früheren Intervention im Gemeinderat habe er frEsch als „kompliziertes Konstrukt“ bezeichnet, in Wirklichkeit sei es aber eine „nebulöse Organisation“. Zudem warf Faltz zum Schluss die Frage in den Raum, ob frEsch bei ihren Organisationen nicht gegen die Regeln der öffentlichen Ausschreibungen verstoße, zum Beispiel beim Bühnenbau. 

Pim Knaff
Pim Knaff Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Zwei Motionen abgelehnt

Was Richtung22 betrifft, so reichte die LSAP zusammen mit „déi Lénk“ eine Motion ein, die den Verbleib des Künstlerkollektivs zumindest bis zum Ablauf der Konvention im September sichert, um die Zeit für klärende Gespräche zu nutzen. Sacha Pulli (LSAP) sprach von „dubiosen Argumenten für den Rausschmiss. Argumente, die am Donnerstag in einem Brief anderer Kollektive wie ILL, Hariko oder Yoga entkräftet wurden“ und schloss mit einem Zitat der deutschen Professorin für Kulturentwicklung Birgit Mandel: „In Zeiten der Spaltung kann Kultur Menschen zusammenbringen.“ Eine weitere Motion der beiden linken Oppositionsparteien forderte den Schöffenrat auf, gemeinsam mit Verwaltern und Bewohnern des Bâtiment4 ein klares Konzept zu Management, Organisation und Ausrichtung des Hauses zu definieren. Beide Motionen wurden mit den Stimmen der Mehrheit abgelehnt, die Konvention mit frEsch angenommen, wobei hier alle Oppositionsräte dagegen stimmten.

Pim Knaff wollte nicht zu sehr auf frEsch eingehen und verwies auf die Budgetdebatte im Dezember, bei der die Konten von frEsch präsentiert und diskutiert wurden. Was Richtung22 angeht, so sagte Knaff, dass der Verwaltungsrat von frEsch weiter an der Entscheidung festhalte. Er schlug dem Gemeinderat vor, dem Künstlerkollektiv „à titre de tolérance“ eine Art Galgenfrist bis Ende des Jahres zu gewähren. Unter der Bedingung, die Entscheidung vom Mai, dass Richtung22 das Bâtiment4 verlassen muss, aufrechtzuerhalten.

Später antwortete er auf die Kritiken, vor allem die von Steve Faltz. Die LSAP sei die letzte Partei, die Lektionen zur Buchhaltung von Asbls geben sollte, schließlich habe man diese Strukturen jahrelang für die eigenen „Bling-Bling“-Veranstaltungen missbraucht. Er verwies zudem darauf, dass in der Vergangenheit alle Abstimmungen zu frEsch die Unterstützung der LSAP hatten. Der Kulturschöffe verteidigte den Budgetposten der Kultur, die größtenteils gratis sei. Die Francofolies könne man für den Preis von zwei Gin Tonics besuchen. Diese Aussage brachte Sacha Pulli derart auf die Palme, dass er in einem Zwischenruf auf die neun Prozent Arbeitslosigkeit in Esch verwies.    

Knaffs Parteikollegin Daliah Scholl verteidigte frEsch als „flott Manéier, all Akteur beieneen ze kréien“ und bezeichnete das Bâtiment4 als „Herzensprojekt“. Mandy Ragni brach eine Lanze für die Kulturveranstaltungen wie die „Nuit de la culture“, die schlussendlich allen Eschern den Zugang zur Kultur ermögliche. Auch Joy Weyrich (CSV) verteidigte die Kulturpolitik der Stadt und die Arbeit von frEsch, indem sie deren Geschichte und Aufgaben nachzeichnete. Allerdings präsentierte sie dabei andere Budgetzahlen, als die Ratsmitglieder vor sechs Wochen ausgehändigt bekamen, was Marc Baum („déi Lénk“) später als „schockierend“ bezeichnete. Bernard Schmit (ADR) kritisierte unter anderem die „Francofolies“.

Baum dagegen prangerte die mangelnde Struktur von frEsch an. Vor allem des Verwaltungsrats, der sich vor allem aus Vertretern der Parteien und Gemeindebeamten zusammensetzt. Sitzen sie „à titre personnel“ dort oder als Vertreter von Partei oder Gemeindedienst, fragte Baum, der anschließend die Eventkultur der frEsch-Veranstaltungen kritisierte. 4,7 Millionen für ein Wochenende Francofolies, das die grüne Lunge Eschs vier Wochen lang lähmt, seien absolut „disproportioniert“. Auch die Architektur-Biennale (2,35 Millionen) sei eine verpasste Chance. Man fände die gleichen Events wieder, mit Architektur habe das wenig zu tun. Im krassen Gegensatz dazu stehe das Bâtiment4, das aber stiefmütterlich behandelt werde, so Baum. Nicht nur budgetär, sondern auch was die fehlende Betreuung angeht. Die habe nun schlussendlich zur Polemik rund um Richtung22 geführt. Eine ungesunde Polemik, für die frEsch die Hauptverantwortung trage.      

Bei den weiteren Punkten der Tagesordnung stand das Mobilitätskonzept für Belval in Mittelpunkt (das Tageblatt berichtete).  

Keine öffentliche Kritik an Gemeindeangestellte

Zwei Tage vor der Debatte über die frEsch Asbl erreichte die Gemeinderäte ein Brief vom Schöffenrat mit der Aufforderung, keine Gemeindebediensteten in der Öffentlichkeit zu kritisieren. Begründung: Die hätten nicht die Plattform, um sich öffentlich zu wehren, und würden nur das ausführen, was Gemeinde- und Schöffenrat ihnen auftrügen. Den Brief begründet der Schöffenrat damit, dass es zuletzt in verschiedenen Interventionen im Gemeinderat, in den Kommissionen und in Forumsbeiträgen in der Presse solche Kritiken gegeben hätte. Was die eigentliche Motivation zum Brief war, darüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht wollten die politisch Verantwortlichen damit vor allem den Direktor für kulturelle Angelegenheiten der Gemeinde Esch, Ralph Waltmans, der wegen des frEsch-Dossiers in der Kritik steht, schützen. Waltmans ist momentan krankgeschrieben.