LuxemburgParlament singt Oden auf Trialog und Index(verschiebung) – mit ein paar störenden Zwischentönen

Luxemburg / Parlament singt Oden auf Trialog und Index(verschiebung) – mit ein paar störenden Zwischentönen
Augen auf und durch: Premierminister Bettel bereitet sich darauf vor, nicht nur die Regierungsbank für die Idee zu begeistern, die kommenden Indextranchen zu verschieben – bis nach 2023 Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Die Verhältnisse in der jüngsten Tripartite – ein harmonisierender Block und elementarer Widerspruch – haben sich in der Parlamentsdebatte am Donnerstag widergespiegelt: Unter anderem die Koalitionäre erklärten sich zu Freunden von Tripartite und Index. Linke, Piraten und ADR wunderten sich, warum dann beides geschwächt werden solle.

„Wir lassen keinen im Regen stehen“ – mit diesen Worten bat Premierminister Xavier Bettel (DP) am Krautmarkt um Zustimmung für das, was nach mehr als 40 Stunden Sozialtrialog schließlich festgezurrt wurde – ohne den OGBL. Man stelle „Solidarität unter Beweis mit Menschen, die riskieren, weniger Kaufkraft zu haben, mit Betrieben, die riskieren, ihre Türen zumachen zu müssen und mit den dort arbeitenden Menschen, die Angst haben, wie es weitergeht“.

Die folgende Ode an den Sozialtrialog klang stellenweise nach Beschwörung: Die Tripartite habe wiederholt „in Krisenzeiten erlaubt, den sozialen Frieden zu erhalten und Lösungen zu finden, die im Interesse des Landes sind“ und sei auch dieses Mal nicht gescheitert: Von fünf Akteuren hätten ja noch vier Übereinstimmung gefunden, den Ausstieg des OGBL bedaure er zutiefst, sagte Bettel – behauptete aber auch, die ersten Vorschläge des Gewerkschaftsbunds hätten 1,5 Milliarden Euro gekostet und unter anderem noch Kaufkraftverluste von Monatseinkommen jenseits der 10.000-Euro-Marke kompensiert.

„Das ist mit uns nicht zu machen“, sagte der DP-Politiker – und bezeichnete das ohne den OGBL geschnürte 830-Millionen-Euro-Paket als „historisch“: Steuergutschriften von 432 Millionen Euro sollen besonders Menschen mit geringen und mittleren Einkommen derart helfen, dass sie keinen Kaufkraftverlust erleiden – es werde sogar „überkompensiert“. Eine generelle Absenkung der Spritpreise um 7,5 Cent und eingefrorene Wohnungsmieten sollen ebenfalls entlasten. Revis-Bezieher und Studenten sollen mit 14,5 Millionen Euro unterstützt werden.

Aufgeschoben, nicht aufgehoben

Insgesamt stelle man 600 Millionen Euro für Privatpersonen bereit (und 225 Millionen als Direkthilfen für Betriebe), bewarb Bettel das Paket – und betonte, dass die jetzt fällige Indextranche wie geplant komme: Man habe den Arbeitgebern klargemacht, dass daran nicht gerüttelt werde – wie generell nicht am Index –, auch wenn vorgesehen ist, eine weitere 2022 wohl fällige Tranche und eine für 2023 um acht beziehungsweise zwölf Monate zu verschieben. Andernfalls müssten Unternehmer drei Tranchen in kurzer Zeit stemmen, was viele Firmen wohl überfordere: „Unternehmen brauchen Planungssicherheit, gerade in Krisenzeiten“, sprach der Premier – und vom sinkenden Schiff, das nicht nur den „Patron“ in die Tiefe ziehe: „Ich zitiere einen Gewerkschafter“, nannte er die Quelle der Analogie und erinnerte an seinen Vorgänger Jean-Claude Juncker, der sich 2012 ebenfalls zum Vorschlag habe durchringen müssen, jährlich nur noch eine Tranche auszuzahlen – wozu auch er, Bettel, aus der Opposition zugestimmt habe.

Heute sitzt die CSV dort, wobei der Co-Fraktionsvorsitzende Gilles Roth als erster Redner in der eigentlichen Debatte die Rolle des verantwortungsvollen Indexmanipulators aufnahm. Obwohl die Idee durch eine verunglückte Tripartite zustande kam, versicherte er, der Sozialdialog stecke der Volkspartei „in der DNA“ und zitierte ein noch älteres Juncker-Wort als Bettel: „Die Tripartite ist eine Nationalkonsens-Fabrik mal mehr oder weniger gelungener Produkte“, habe der Ex-Premier 2007 gesagt. Aber wie zur Tripartite und zur „Logik des Indexsystems“ stehe man zum Luxemburger Sozialmodell, gerade „in angespannten Zeiten“: Da Unternehmer bereits seit zwei Jahren „schlaflose Nächte“ hätten, stimme seine Partei den Maßnahmen zu, die für Entlastung sorgten – inklusive der Verrückung der Indextranchen: „In normalen Zeiten ‚Nein‘, in diesen Zeiten ‚Ja‘!“ Besonders die unabsehbaren Volten der Energiepreise machten das nötig. „Das ist kein Blankoscheck, aber wir arbeiten konstruktiv mit.“

Immerhin sind ja noch vier übrig: Premier Bettel feierte das Tripartite-Ergebnis auch nach dem Ausstieg des OGBL als Erfolg
Immerhin sind ja noch vier übrig: Premier Bettel feierte das Tripartite-Ergebnis auch nach dem Ausstieg des OGBL als Erfolg Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Bei soviel Nationalkonsens nutzte Roth die Gelegenheit, per Resolution eine „neue Zusammenarbeit von Opposition und Mehrheit“ vorzuschlagen – durch die Einrichtung einer Tripartite-Kommission in der Chamber, die die legislativen Maßnahmen begleiten solle, wozu dann aber auch ein offenerer Umgang mit Daten und Fakten nötig wäre als bisher gewohnt. Die Schaffung einer solchen Instanz innerhalb der Chamber darf als gesichert gelten.  

Der DP-Abgeordnete Gilles Baum stellte fest, im Zuge des Kriegs in der Ukraine müsse man über Inflation und steigende Energiekosten besorgt sein, was einen „historischen Pakt“ notwendig mache – und das Verschieben des Index. Ohne ihn ganz infrage zu stellen, sei klar, dass er „Grenzen habe“ – und die jüngste Tripartite sei auch „nicht der Tod dieses Kriseninstruments“ gewesen. Indirekt erklärte Baum, dass erst der Ausstieg des OGBL („Jeder muss ein bisschen Wasser in seinen Wein schütten!“) zur Lösung geführt habe: „Entlastungen, die weit über eine Milliarde gekostet hätten, hätten unsere Zustimmung nicht bekommen“, stellte er fest. (Präsidentin Nora Back hat erklärt, die Vorstellungen des OGBL wären bei weitem nicht so teuer gewesen.) Er unterstütze jedenfalls „den historischen Pakt, der die Kaufkraft stärkt, Betrieben Luft verschafft und beweist, dass wir zusammen Verantwortung übernehmen“.

Bloß nicht nichts tun

Yves Cruchten erklärte, es sei für die LSAP „nicht einfach, eine Übereinkunft mitzutragen, die nicht von allen Partnern unterschrieben ist“, noch dazu, da der OGBL seiner Partei sehr nahe sei. Man stehe aber zum Vorgeschlagenen, weil es Leuten mit kleinen und mittleren Einkommen und Betrieben helfe – nachvollziehbar und „sozial gerecht“. So auch die Verschiebung der Indextranchen, die verhindere, dass Betriebe ihre Angestellten auf die Straße setzen müssen – das gehe auch nicht für eine LSAP, die sich immer für den Index starkgemacht habe.

Andernfalls würden im Laufe des Jahres die Löhne um rund acht Prozent steigen, rechnete Cruchten vor – und dass bei Jahreseinkommen bis 68.000 Euro der Kaufkraftverlust durch den vorgesehenen Steuerkredit stärker kompensiert würde als durch eine weitere Indextranche. Wobei ja die aktuelle Erhöhung „in Beton gegossen“ sei. Das Land ächze bereits unter der Last zweier Krisen – und „Nichtstun könne die nächste bringen!“

Auch die Grünen-Abgeordnete Josée Lorsché bedauerte, dass der OGBL „das Boot verlassen“ habe, anstatt ein „schönes Zeichen“ der „gemeinsamen Verantwortung und Solidarität“ zu setzen. Die Grünen ständen aber als Partei und Fraktion „geschlossen hinter den Maßnahmen“, wobei sowieso „Indexmodulationen in Krisenzeiten“ keine Neuerung seien. Über den Steuerkredit kämen 432 Millionen Euro bei den Menschen an, die dieses Geld am meisten bräuchten, anstatt „mit der Gießkanne über das Land zu gehen“. Als „positiver Nebeneffekt“ werde die „Schere zwischen Arm und Reich“ wieder etwas geschlossen.

„OGBL wurde hängen gelassen“

Das Lob des Ideenpakets beendete Fernand Kartheiser (ADR). Der wunderte sich, warum man sich überhaupt treffe. „Wo war der Zeitdruck, nicht noch eine Runde weiterzuverhandeln?“, fragte er – und ob mit dem OGBL wirklich keine Einigung möglich gewesen wäre. Er nannte es „sehr verwunderlich“, dass die LSAP den Index nicht vor „Manipulationen“ verteidige, was doch ihre ureigene Rolle sein müsse. Man hätte „so viele Schrauben drehen können“, bevor man an den Index geht, der doch sogar ein „Verkaufsargument“ für den Standort Luxemburg sei. Auch andere Vorhaben könnten nicht überzeugen: Die Sprit-Preisnachlass von 7,5 Cent sei ein „Tropfen auf dem heißen Stein“ – und etwa über die CO2-Steuer erhöhe man den Preis ja doch wieder, belaste auch Transportwesen und Landwirte. „Man hätte lieber den Index belassen sollen und die Unternehmen unterstützen!“, sagte der ADRler – und dass man die Maßnahmen nicht unterstützte.

Harsche Kritik auch am anderen Ende des parlamentarischen Spektrums: Myriam Cecchetti („déi Lénk“) stellte fest, dass die jüngsten Krisen nicht alle Menschen schädigten: Einige Betriebe hätten große Zugewinne gemacht und ausufernde Immobilienpreise seien für wenige Leute „Gelddruckmaschinen“. Preissteigerungen seien oft durch Spekulation verursacht. So setze sich die stille Enteignung sozial Schwacher fort – und die Tripartite werde stets einberufen, wenn soziale Grausamkeiten anstünden: „Dann dürfen Gewerkschaften mitdiskutieren, mit dem Messer auf der Brust!“ Man sei „bestürzt“, wie der OGBL „hängen gelassen wurde“. Es sei ausdrücklich „keine sozialpolitische Maßnahme“, wenn man sich auf den Index „einschießt“, um Kosten für Betriebe abzufedern und zu sozialisieren. Auch der Klimaschutz sei völlig in den Hintergrund geraten, die Grünen „beim kleinsten Gegenwind umgefallen“: „Rund 75 Millionen Euro fließen in undifferenzierte Unterstützung von Sprit“, ärgerte sich Cecchetti. Die Maßnahmen seien „symptomatisch für die Regierung: planlos und widersprüchlich“, oder: „neoliberaler business as usual“. 

Pirat Sven Clement nahm auch den Tankrabatt aufs Korn, der „gerade in der Klimakrise unverantwortlich“ sei – und unsolidarisch: „Der Porschefahrer kriegt 77 Cent auf 100 Kilometer, der Polofahrer 27 Cent – und der Elektrofahrer gar nichts“, rechnete Clement vor – und warnte vor einen Auffahrunfall: Die Verschiebung mehrerer Indextranchen stelle die Regierung 2024 vor die „Herkulesaufgabe“, einen Kaufkraftverlust von mehr als sieben Prozent auffangen zu müssen. Bettel habe wie auf einem Teleshoppingkanal die Maßnahmen großspurig beworben, aber: „Details waren sehr dünn“, meinte Clement – und prangerte „Sonntagsreden“ an: Man spiele sich „als Verteidiger des Index auf“, während doch am „Garant für sozialen Frieden herumgefummelt wird“. Das Verschieben der Tranchen sei nicht alternativlos – und so gut es sei, dass auf die Tripartite gesetzt wurde, „hätte man schauen müssen, dass alle im Boot bleiben!“ Die Piraten seien jedenfalls „relativ negativ eingestellt“ zum Vorgestellten.

Die entsprechende Motion mit den ersten Details zum Maßnahmenpaket erhielt schließlich 51 Mal Zustimmung und 8 Mal Ablehnung.

Filet de Boeuf
1. April 2022 - 12.15

Die Schere zwischen Arm und Reich kommt hierzulande nicht durch das Gehalt zustande, sondern durch Besitztümer aus früheren Generationen. Das kappiert bei den Politikern auch keiner. Wer schon von Pappi und Mammi ein Haus hat, kommt auch locker mit 2000-3000 Euro im Monat klar.