DeutschlandMerkel pfeift Seehofer in Sachen „Taz“ zurück – Rücktritt lag in der Luft

Deutschland / Merkel pfeift Seehofer in Sachen „Taz“ zurück – Rücktritt lag in der Luft
Sein Rücktritt lag in der Luft: Horst Seehofer wollte eine Journalistin verklagen, Angela Merkel schob dem einen Riegel vor  Foto: dpa/Markus Schreiber

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Horst Seehofer hat die Drohung einer Anzeige gegen eine taz-Kolumnistin nicht wahr werden lassen. Kanzlerin Angela Merkel hat dem deutschen Innenminister dieses Vorgehen wieder ausgeredet. Zudem hatte Seehofer eine direkte Verbindung von einer „Enthemmung der Worte“ zu der Randale in Stuttgart am Wochenende gezogen. In dem Text hatte die Autorin Polizisten mit Müll verglichen.

Angela Merkel gegen Horst Seehofer, die Paarung kennt man. Nachdem lange Ruhe eingekehrt war, ist die Kanzlerin jetzt wieder mit ihrem Innenminister aneinandergeraten. Manch einer verspürte am Dienstag in der Hauptstadt schon einen „Hauch von 2018“ – damals standen sogar die Unionsparteien CDU und CSU wegen der Grenzschließungen knapp vor einem Bruch. Für Merkel geht es wieder um eine Grundsatzfrage, diesmal die Pressefreiheit. Und für Seehofer wieder um Gesichtswahrung.

Mit einer Ankündigung, die er zuvor nicht mit Merkel abgestimmt hatte, brachte sich der Innenmister auch diesmal selbst in die Bredouille. Wie damals. Er werde Anzeige gegen eine Journalistin der linken Tageszeitung (Taz) erstatten, teilte Seehofer am Montag in einer Boulevardzeitung fest entschlossen mit. Die Kolumnistin hatte vor dem Hintergrund der Polizeigewalt in den USA gegen Schwarze darüber fantasiert, was man mit den Beamten anfangen könne, wenn es einmal keine Polizei mehr gebe. Ihr Schluss: Eigentlich seien die zu gar nichts nutze, sie gehörten auf die Mülldeponie. „Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“

Die Empörung war allgemein, vor allem in den Polizeigewerkschaften und unter Innenpolitikern. Und auch Merkel ließ mitteilen, sie stehe „aus tiefer Überzeugung zu den Polizisten und Polizistinnen“. Am stärksten echauffierte sich die AfD. Die Abgeordnete Beatrix Storch erstattete Anzeige, wie auch etliche Einzelpersonen. 2017 allerdings hatte die Aussage des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, man müsse die SPD-Politikerin Aydan Özuguz in Anatolien „entsorgen“, niemanden in der AfD bekümmert. In der Taz-Redaktion gab es ebenfalls eine Diskussion; die Chefredakteurin Barbara Junge entschuldigte sich für die „danebengegangene“ Kolumne, die sie Satire nannte.

Seehofer hatte schon letzten Freitag nach der Innenministerkonferenz in Erfurt deutlich gemacht, wie sehr ihn die fortgesetzten körperlichen Angriffe auf Polizeibeamte beunruhigen. „Er hat das tiefe Empfinden, dass sich die Politik und alle Teile der Gesellschaft auch schützend vor die Polizisten stellen müssen“, so sein Sprecher. Nach den Ausschreitungen von Stuttgart platzte dem Minister der Kragen und er stellte einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Taz-Beitrag her: „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genau so, wie wir es jetzt gesehen haben.“

Doch die so fest angekündigte Anzeige wurde doch nicht erstattet, weil Merkel intervenierte. Die Kanzlerin sei mit dem Minister über die Anzeige im „vertraulichen Gespräch“, teilte Regierungssprechern Steffen Seibert dazu wortkarg mit. Sie hatte offenbar zum Hörer gegriffen und Seehofer zurückgepfiffen. Nun wurde ein gesichtswahrender Ausweg für den Minister gesucht.

Aufgeschoben ist diesmal aufgehoben

Seehofer verschob die Entscheidung über die Anzeige erst auf Montagmittag, dann auf Montagabend und auch am Dienstag immer wieder. Im Ministerium herrschte Krisenstimmung. Eine für Dienstag angekündigte Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht 2019 wurde ohne Angabe von Gründen kurzfristig abgesagt, ebenso alle anderen Termine des Tages. Die Möglichkeit eines Rücktritts lag in der Luft.

Seehofer ist in Sachen Pressekritik ein Wiederholungstäter. So sagte er 2018 seine Teilnahme am Integrationsgipfel kurzfristig ab, weil dort auch eine Journalistin saß, die seinen Heimatbegriff zuvor mit dem der Nazis in Verbindung gebracht hatte. Merkel hingegen hat immer wieder den Wert der Pressefreiheit und eines unabhängigen Journalismus beschworen, zuletzt im Mai in ihrem Video-Podcast. Schon wurde ihr Regierungssprecher am Montag gefragt, ob die Kritik der Kanzlerin an der mangelnden Pressefreiheit in Ländern wie der Türkei, Russland oder China angesichts des Vorgehens Seehofers noch glaubhaft sei. Zudem hatte Merkel registriert, dass sich die Journalistengewerkschaften sofort scharf gegen Seehofers Anzeigedrohung stellten, in ihrem Gefolge dann auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock.

Außerdem ist die Kanzlerin ein gebranntes Kind. 2016 nämlich hatte sie ein Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Erdogan als „bewusst ehrverletzend“ bezeichnet und der Türkei erlaubt, den Fernsehmann deswegen in Deutschland anzuzeigen. Beides ging nach hinten los. Die kritische Öffentlichkeit und diverse Gerichtsurteile brachten Merkel damals bei, dass Satire viel darf. Mehr jedenfalls, als man in der Politik denkt.

Jerry Scholer
24. Juni 2020 - 11.58

@HTK: Ich bin kein Freund Seehofers, aber was der Taz -Artikel- Schreiber geschrieben hat, ist anarchistische Aufwiegelung gegen den Rechtsstaat und was noch schlimmer wiegt , übelste Diskriminierung von Menschen, einer Berufsgruppe. Solche Artikel machen den Weg frei für mehr Gewalt gegen die Polizei, aber auch Rettungskräfte.

HTK
23. Juni 2020 - 17.37

Der Erzkonservative aus Bayern(die mit der Kruzifixpflicht in Schulen) ist reif für den Strand.Aber erwird's, daheim nicht aushalten.In der Privatwirtschaft findet sich doch immer was.