StaatsfinanzenLuxemburgs erster und einziger Kredit bei der Weltbank feiert Geburtstag

Staatsfinanzen / Luxemburgs erster und einziger Kredit bei der Weltbank feiert Geburtstag
Nach dem Zweiten Weltkrieg benötigte das Großherzogtum Geld. Es galt, das Land wieder aufzubauen. Den notwendigen Kredit gab es von der Weltbank. Foto: dpa/Rainer Jensen

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Der Krieg war gerade eben vorbei. Die Luxemburger Wirtschaft lag am Boden. Die Regierung hatte Wiederaufbauprogramme gestartet. Bei der Finanzierung half die eben erst neu gegründete Weltbank. Vor genau 75 Jahren, am 28. August 1947, wurde der Kreditvertrag unterzeichnet. Es war das erste und das einzige Mal, dass Luxemburg sich bei der Institution Geld geliehen hat.

Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Luxemburgs Infrastruktur in einer traurigen Verfassung. Etwa ein Drittel aller Gebäude des Landes, fast 18.000 (31 Prozent), waren ganz oder teilweise zerbombt. Dazu zählten 176 Schulen und fast 5.500 landwirtschaftliche Betriebe. Auch vom Schienenverkehr hatte der Krieg nicht viel übriggelassen: 22 Prozent der Eisenbahnbrücken, 20 Prozent der Gleise, so wie viele andere Anlagen waren beschädigt oder zerstört. Getroffen hatte es zudem 86 Prozent der Lokomotiven, 91 Prozent der Güterwagen und 65 Prozent der Personenwagen. Das geht aus einer damaligen Bewertung der Weltbank hervor. Lediglich die Industrie im Süden blieb von den Verwüstungen verschont.

Auch die wirtschaftliche Lage des Landes war miserabel. Seit der deutschen Besatzung 1940 ging es mit der Stahlproduktion bergab. „Trotz der deutschen Anstrengungen konnte die Produktion der metallurgischen Industrie unter deutscher Besatzung nie die Vorkriegszahlen erreichen“, ist dem Weltbankbericht zu entnehmen. Im Jahr 1945 wurden nur 53 Prozent der Menge an Stahl und Eisen hergestellt, wie 1937 produziert worden waren. Da dieser Bereich für rund die Hälfte der nationalen Wirtschaftsleistung und für rund 90 Prozent der Exporte stand, waren die Auswirkung erheblich: In der Folge lag das Pro-Kopf-Einkommen, das vor dem Krieg eines der höchsten in Europa (375 Dollar verglichen mit 266 in Belgien) gewesen war, auch 1947 noch unter dem Niveau von vor dem Krieg. Erst für 1948 rechnete die Weltbank wieder mit einer Überschreitung des Vorkriegsniveaus.

Anzahl und Zustand der durch den Krieg beschädigten Gebäude
Anzahl und Zustand der durch den Krieg beschädigten Gebäude Screenshot: Damaliges Arbeitspapier der Weltbank

Derweil litt nicht nur die Industrie, sondern die gesamte luxemburgische Volkswirtschaft unter fehlenden Importen von Rohstoffen und Ersatzteilen. Die Landwirtschaft beklagte einen Mangel an Düngemitteln und Landmaschinen. Auch Arbeitskräfte waren rar, ihre Zahl hatte sich durch den Krieg reduziert. Dennoch erholte sich die Landwirtschaft schneller als die Industrie. Jedoch zählte sie damals noch deutlich mehr Beschäftigte, nämlich 30 Prozent der Berufstätigen, trug jedoch nur 12 Prozent zur nationalen Wirtschaftsleistung bei.

Auch 1947 war die Lage noch überaus schwierig. So war der Verbrauch bestimmter Grundnahrungsmittel immer noch beschränkt. Ausländische Konsumgüter gab es nur in dem Maße, wie die Devisenreserven es zuließen. Die Regierung hatte die Preise für Butter, Mehl und Fleisch durch staatliche Subventionen stabilisiert. Der Geldfluss war durch die Sperrung von Bankkonten begrenzt.

Anzahl der Beschäftigten pro Sektor
Anzahl der Beschäftigten pro Sektor Screenshot: Damaliges Arbeitspapier der Weltbank

Mit drei Programmen versuchte die Regierung Pierre Dupong den Wiederaufbau voranzubringen. Dazu zählten ein Fünfjahresplan zur Reparatur von u.a. Schulen, Brücken und Kirchen, einer zur Entschädigung von Kriegsschäden, hauptsächlich für Personen und privates Eigentum, und ein weiterer zur Kapitalerneuerung der Industrie. Das Ganze kostete Schätzungen zufolge rund 5,4 Milliarden Franken (123,4 Millionen Dollar).

Eine derart hohe Geldsumme konnte der Luxemburger Staat nicht einfach aus den laufenden Steuereinnahmen stemmen. Auch speziell eingeführte Steuern auf Kapital und Gewinn reichten nicht. In dieser Situation kam die 1944 neu gegründete Weltbank dem Land zu Hilfe. Luxemburg war dort Gründungsmitglied. Das in Washington beheimatete Institut hieß damals International Bank for Reconstruction and Development und hatte die Finanzierung des Wiederaufbaus der vom Zweiten Weltkrieg zerstörten europäischen Staaten als Mission.

Der Brief von Premierminister Pierre Dupong zur Anfrage des Kredits
Der Brief von Premierminister Pierre Dupong zur Anfrage des Kredits

Premierminister Pierre Dupong hatte die Kreditanfrage 1976 per Brief bei der Weltbank eingereicht. Die Verhandlungen führten Pierre Werner, damals Kommissar für die Bankenaufsicht, später Premierminister, sowie der Luxemburger Gesandte in Washington, Hughes le Gallais.

Der vierte Kredit der Weltbank

Als das Darlehen am 28. August 1947 die offizielle Zustimmung erhielt, war es der vierte Kredit, den die Weltbank vergab. Die drei zuvor waren an Frankreich, Dänemark und die Niederlande geflossen. Da im Falle Luxemburgs ein Teil des Kredits in belgischen Franken ausbezahlt wurde, war dies gleichzeitig auch der erste Nicht-US-Dollar-Kredit der Weltbank.

Das Darlehen hatte ein Volumen von zwölf Millionen Dollar – eine Summe, die heute klein erscheint, die umgerechnet aber gewaltig ist. Damals stand sie für rund zwölf Prozent der Luxemburger Jahreswirtschaftsleistung – heute wären das (umgerechnet) mehr als sechs Milliarden Euro.

Die Gelder aus dem Darlehen flossen vor allem in die Eisenbahn und in die Stahlindustrie (Steel Mill Railway Project). Für 4,5 Millionen Dollar wurden Lokomotiven, Güterwagen und sonstiges Eisenbahnmaterial gekauft. Insgesamt 7,5 Millionen Dollar flossen in den Kauf eines modernen Walzwerks (Reversing Steel Strip Mill), was dem Land ermöglichte, hochwertige Fertigprodukte herzustellen. Damit wurde der Grundstein für die luxemburgische Stahlindustrie gelegt, die dem Land zu einem neuen Aufschwung verhalf, schreiben das Finanzministerium und die Weltbank in einer gemeinsamen Pressemeldung zum Jubiläum des Darlehens.

Der Rest der geliehenen Gelder wurde zur Finanzierung weiterer Projekte aus dem Fünfjahresplan genutzt. Dazu zählten beispielsweise die Reparatur von Wasserleitungen und Abwassersystemen, die Einfuhr von Materialien für den Wiederaufbau von Wohnungen, die Reparatur von Regierungsgebäuden und der Import von Koks und Kohle.

Innerhalb der nächsten 20 Jahre, also bis Mitte 1972, musste das Darlehen Schritt für Schritt zurückbezahlt werden. Der zu zahlende jährliche Zinssatz lag bei 3,25 Prozent.

Deutliche Kritik in den Medien

Nicht besonders gut angekommen war die Nachricht zur Aufnahme des Kredits bei den Luxemburger Medien. Diese waren nicht über das Vorhaben informiert worden. Der Vertrag war in London unterzeichnet worden. Erst am 20. September berichtete das Tageblatt über den neuen Kredit, unter Berufung auf einen Bericht der Neuen Zürcher Zeitung. Die Redaktion monierte, dass es „unerhört“ sei, dass der Finanzminister es nicht für nötig befände, das Land über Wesen und Bedingungen dieses Kredits aufzuklären und dass die Luxemburger erst über das Ausland darüber unterrichtet werden mussten.

Dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein großer Anteil des zum Wiederaufbau geliehenen Geldes in die Stahlindustrie floss, zeugt von ihrer damaligen Wichtigkeit
Dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein großer Anteil des zum Wiederaufbau geliehenen Geldes in die Stahlindustrie floss, zeugt von ihrer damaligen Wichtigkeit Quelle: Teilansicht einer Postkarte/Privatsammlung

Weiter berichtete das Tageblatt, dass Luxemburg ursprünglich um einen Kredit in Höhe von 20 Millionen Dollar nachgesucht hatte. Laut den Journalisten wurde damals zudem damit gerechnet, „dass die Hälfte des Kredites bereits am Jahresende und der Rest Mitte 1948 aufgebraucht sein werde. Es ist deshalb anzunehmen, dass Luxemburg schon in wenigen Monaten ein neues Gesuch um die Gewährung eines Dollarkredites einreichen wird.“

Dazu sollte es jedoch nicht kommen. Auch wenn die von der Weltbank zur Verfügung gestellten Mittel nur einen Bruchteil der für den Wiederaufschwung erforderlichen Finanzmittel ausmachten, so trugen sie doch dazu bei, Luxemburg bis zum Inkrafttreten des Marshallplans im Jahr 1948 über Wasser zu halten. Der Kredit von 1947 sollte der einzige bleiben, den das Großherzogtum je bei der Weltbank aufgenommen hat.

Vom Empfänger- zum Geberland

Bei der Weltbank werden der Kredit und Luxemburg heute als Vorbild gelobt. „Inmitten der zahlreichen Krisen, mit denen Europa und die Welt konfrontiert sind, erinnert uns der heutige Jahrestag des ersten und einzigen Darlehens der Weltbank an Luxemburg (…) daran, wie sich Länder nach einem Konflikt erholen können“, sagt David Malpass, heutiger Präsident der Weltbankgruppe.

Dank des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Jahren und Jahrzehnten nach der Kreditaufnahme hat sich Luxemburg von einem Land, das finanzielle Hilfen in Anspruch nehmen muss, zu einem Geberland entwickeln können, unterstreicht Luxemburgs Weltbankgouverneurin, Finanzministerin Yuriko Backes, heute. Das ermögliche dem Großherzogtum, die Ziele der Weltbank zu unterstützen. Malpass lobt das Luxemburger Engagement: „Wir haben eine starke Partnerschaft mit der luxemburgischen Regierung aufgebaut, und ich bin dankbar für ihre anhaltende Unterstützung unseres Fonds für die Ärmsten.“

Ohne das Darlehen der Weltbank wäre es 1947 für die Luxemburger Regierung sehr schwierig geworden, die Pläne zum Wiederaufbau umzusetzen, ist dem damaligen Bericht der Weltbank weiter zu entnehmen. Trotz der extra eingeführten Sondersteuern hätten die notwendigen Summen von Staatshaushalt und nationaler Wirtschaft nicht gestemmt werden können, glaubten die Experten in Washington damals. Ohne Unterstützung aus dem Ausland wäre die Regierung wohl gezwungen gewesen, den Wiederaufbauprogramm schrumpfen zu lassen, was zu sozialen Unruhen hätte führen können. Alternativ hätte die Regierung die Importe weiter einschränken und/oder Aktiva der Stahlindustrie im Ausland beschlagnahmen müssen, was wiederum andere negative Folgen mit sich gebracht hätte, mutmaßten sie damals.

Heute ist Luxemburg Mitglied und Geberland in fast allen Entwicklungsbanken der Welt, von der Weltbank und die Osteuropabank (EBRD) über die Afrikanische Entwicklungsbank bis hin zur ADB und der AIIB in Asien. Luxemburg ist eines der wenigen Länder, die ein Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfe bereitstellen, um anderen Ländern bei ihrer Entwicklung zu helfen. Die Weltbank ihrerseits zählt mittlerweile 188 Länder zu den Mitgliedern. Ihre Prioritäten sind heute Kampf gegen den Klimawandel, die Armutsbekämpfung, die Bewältigung der Staatsschulden, das Förden von Gesundheit, Bildung und die Entwicklung des Privatsektors.


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