9/11Luxemburger Diplomaten erzählen vom Grauen in New York und DC: „Es war gespenstisch“

9/11 / Luxemburger Diplomaten erzählen vom Grauen in New York und DC: „Es war gespenstisch“
Nur 56 Minuten nach dem Einschlag bricht kurz vor 10 Uhr der Südturm des World Trade Center in sich zusammen. Eine halbe Stunde später kollabiert auch der Nordturm. Die Welt steht unter Schock. Archivfoto: New York City Police/epa abcnews.com

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New York, am Morgen des 11. September 2001: Kurz nach 8 Uhr sind die Straßen bereits prall gefüllt, die New Yorker stellen sich auf dem Weg zur Arbeit auf einen schönen Herbsttag ein. Niemand kann zu diesem Zeitpunkt wissen, welche Schrecken sich demnächst abspielen werden. Nur eine Stunde später steht die Welt kopf. 

„Es war einer der ersten Tage, an denen die Luft frisch und der Himmel blau war“, sagt Arlette Conzemius im Gespräch mit dem Tageblatt. Die ehemalige Luxemburger Botschafterin in den Vereinigten Staaten erzählt, wie sie die Anschläge in New York und Washington DC erlebt hat. Conzemius war Botschafterin in Washington DC von 1998 bis 2005. Der 11. September 2001 sollte eigentlich ein ganz normaler Arbeitstag an der Botschaft werden. „Ich saß im Büro und plötzlich bekam ich einen Anruf aus Luxemburg, ob ich Kontaktdaten und Adresse des Bürgermeisters von New York hätte.“ Conzemius hatte in diesem Moment noch nichts von den Ereignissen in New York mitbekommen. Dann schaltete sie den Fernseher ein.

Ehemalige Botschafterin Luxemburgs in den Vereinigten Staaten (1998-2005)

Arlette Conzemius vertrat, vor ihrer Amtszeit als Botschafterin in den USA, Luxemburg bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel. Schon von 1989 bis 1993 war sie stellvertretende Missionschefin in Washington DC. Seit September 2016 vertritt Conzemius Luxemburg bei der NATO.

„Ich sah das erste Gebäude, in das eines der beiden Flugzeuge gekracht war und dann, wie das zweite Flugzeug in den anderen Turm flog“, sagt Conzemius. Den ganzen Tag über haben die amerikanischen Fernsehsender die Attacken immer wieder abgespielt. „Man kann so etwas nicht vergessen.“ In Washington DC sei sofort Panik ausgebrochen. Dann kam die dritte Attacke: Noch bevor der Nordturm des World Trade Centers kollabierte, krachte ein drittes Flugzeug in das Pentagon. „Wir erlebten den ganzen New Yorker Schrecken vom Fernseher aus mit“, sagt Conzemius. „Dann folgte der Anschlag auf das Pentagon, das nur wenige Kilometer von der Botschaft entfernt ist.“ Nach dem Einschlag habe man von der Botschaft aus sehen können, wie Rauch über dem US-Verteidigungsministerium emporstieg. Dazu Gerüchte, dass das Kapitol in Flammen stünde. Das Schlimmste an diesem Moment: „Wir wussten wegen der vielen Ereignisse nicht, was los ist.“

Verwirrung und Angst

Jetzt kam die Angst dazu: „Meine Familie war nicht bei mir und ich hatte Sorgen, was mit meinen Kindern, die zu diesem Moment in der Schule waren, passiert“, sagt Conzemius. Die Stimmung sei sehr eigenartig gewesen. Dann wurde plötzlich beschlossen, Washington DC zu evakuieren. „Überall in der Stadt gab es Staus – jedoch entschied ich mich gegen die Evakuierung und blieb in der Botschaft, um die Lage weiterhin zu beobachten.“ Nach ein paar Stunden sei die Stadt leer gewesen und der ganze Block abgeriegelt worden. „Um 15 Uhr hörte man bis auf die Flugzeuge der US-Luftwaffe nichts mehr“, erzählt Conzemius. Die ehemalige Botschafterin spricht von einer sehr seltsamen Atmosphäre, die ab diesem Zeitpunkt herrschte.

In der Botschaft waren alle verwirrt, sagt Conzemius: „Wir wussten nicht wirklich, was wir tun sollten – es herrschte so viel Unsicherheit.“ Bekannte hat Conzemius bei den Attacken in Washington und New York keine verloren. Im Pentagon haben kaum Luxemburger gearbeitet und auch in New York sei kein Luxemburger ums Leben gekommen. „Obwohl ich niemanden bei den Anschlägen verlor, haben die Ereignisse mich trotzdem geprägt“, sagt Conzemius. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, was noch passieren könne und wie lange es noch andauern könne.

Eine unfassbare Attacke

Conzemius kam auch während ihrer Zeit als Botschafterin in der Türkei mit Terror in Kontakt, aber kein Anschlag hatte die Ausmaße eines 9/11. Sie sei nicht die Einzige gewesen, die eine solche Tat für unfassbar hielt: „Mit einer solchen Attacke hatten die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt nicht gerechnet“, sagt Conzemius. In den Tagen nach dem Angriff habe sich viel in Washington geändert. „Ich plante gerade den offiziellen Besuch von Jean-Claude Juncker in Kanada – der wurde fast abgesagt.“ Militärfahrzeuge waren in vielen Teilen der amerikanischen Hauptstadt anzutreffen und der Flugverkehr war noch immer unterbrochen, sagt Conzemius. 

Regelmäßig sei Conzemius seit dem Ende ihrer Amtszeit als Botschafterin nicht mehr in den Vereinigten Staaten gewesen. Sie glaubt auch nicht, dass ihre Kinder sich an die Angriffe von damals erinnern: „Sie waren noch jung – die haben das sicherlich erst später richtig begriffen.“ Am 20. Jahrestag habe sie nichts geplant. „Ich denke jedoch immer noch an die Ereignisse, das vergisst man nicht.“

Die Lage in New York

Ähnlich prägten die Ereignisse vom 11. September auch Jean Graff, den ehemaligen Luxemburger Generalkonsul in New York. „Wie an jedem Morgen war ich um halb neun im Büro an der 17, Beekman Place in New York, in dem sich das Konsulat und die Luxemburger UN-Mission befinden“, sagt Graff. Das dreistöckige Gebäude liegt am East River Drive und nur fünf Minuten vom UN-Gebäude entfernt. Graff fielen zuerst die vielen Sirenen auf. Er habe sich jedoch nicht viel dabei gedacht – New York sei nun einmal ein bisschen belebter. „Dann rief mich ein Freund an und sagte, ein Flugzeug sei ins World Trade Center geflogen.“ Auch er schaltete dann gleich den Fernseher ein und sah das zweite Flugzeug in den Südturm fliegen. „Es war schockierend“, sagt Graff. Dann sei eine Meldung von den Vereinten Nationen gekommen – das UNO-Gebäude wird evakuiert.

„Wir versuchten, Menschen zu erreichen, von denen wir wussten, dass sie sich in der Nähe der Gebäude befinden oder dort lebten“, sagt der ehemalige Generalkonsul. Im World Trade Center sei zu dieser Zeit auch die luxemburgische Firma Clearstream gewesen, bei der eine luxemburgische Staatsbürgerin arbeitete. „Wir traten mit Washington DC und Luxemburg in Verbindung, um uns zu koordinieren.“ Vorrangiges Ziel war, luxemburgische Staatsbürger im direkten Umfeld zu lokalisieren.

„Man hatte das Gefühl, New York wäre nicht mehr sicher“

Am Abend haben sich ganze Menschenmassen von Downtown Manhattan in den Norden der Stadt und nach Brooklyn begeben. „Man wusste nicht genau, was nach den Angriffen in New York, Washington und dem Flugzeug, das in Pennsylvania abstürzte, noch kommen könnte“, sagt Graff. „Auf einmal hatte man das Gefühl, in New York nicht sicher zu sein.“

Ehemaliger Generalkonsul Luxemburgs in New York (1995-2001)

Bevor Jean Graff Generalkonsul in New York wurde, vertrat er Luxemburg von 1993 bis 1995 in Brüssel. 2002 wurde er Botschafter des Großherzogtums in den Niederlanden. Seit 2017 ist Jean Graff Botschafter in Berlin.

Auch Graff kannte niemanden, der an jenem Tag ums Leben kam. Die Ereignisse prägten den ehemaligen Generalkonsul trotzdem. „Auch wir waren oft wegen Konferenzen in der Nähe des World Trade Center – und mich schockt es, wenn ich bedenke, dass ich einige Wochen vor den Anschlägen genau dort saß.“

Am Abend sei die Stadt wie ausgestorben gewesen. Die Straßen waren wie leergefegt, sagt Graff. „Es war gespenstisch.“ Keiner wagte sich raus auf die Straße wegen der Unsicherheit, es könne noch etwas passieren. In den Folgetagen spielte sich ein Katastrophenszenario ab. „Der Sicherheitsperimeter um die Türme wurde abgeriegelt und die Krankenhäuser waren überfüllt.“ Die Botschaft und die Konsulate in New York und San Francisco versuchten, Luxemburger, die sich in den USA aufhalten, zu kontaktieren und Ratschläge zu geben, sagt Graff. „Noch Tage danach hing eine Aschewolke über ganz New York.“ An den Brandgeruch kann sich Graff noch heute erinnern.

Nach den Angriffen aufs World Trade Center legte sich plötzlich eine gespenstische Stille über die Stadt
Nach den Angriffen aufs World Trade Center legte sich plötzlich eine gespenstische Stille über die Stadt Archivfoto: Preston Keres/U.S. Navy