Pioniere von NeischmelzLok-Atelier, Vestiaires und Wagonnage als erste Elemente des neuen Stadtviertels

Pioniere von Neischmelz / Lok-Atelier, Vestiaires und Wagonnage als erste Elemente des neuen Stadtviertels
Die Wagenwerkstatt Foto: Lucien Montebrusco

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Lange bevor die ersten Wohnungen bezogen sein werden, wird das Viertel Neischmelz mit neuem Leben erfüllt sein. Und das ausgerechnet an Stellen, die förmlich nach Vergangenheit riechen. Gastronomie und Mikrobrauerei in einem ehemaligen Lokomotivatelier; Kultur-, Kreativ- und Begegnungsstätten in früheren Umkleideräumen und Waggonwerkstatt, sollen dafür sorgen. 2005 schloss das Düdelinger Walzwerk seine Tore. Seitdem bemühen sich „Fonds de logement“, Stadt und Bürger um die Neubelebung der 36 Hektar großen Industriebrache, auf der sich das ehemalige Eisen- und Stahlwerk ausbreitete. Zwischen den Vierteln Italien und Schmelz soll etwas Neues entstehen, anders als alles, was es bisher gab. Man spricht von einem „ökologischen“ Viertel.

Windstöße wirbeln feinen Sand vor dem Gebäude auf. Plastikplanen verschließen die hohen Eisenrahmenfenster und die Eingangstore. In das Gebäude führende Schienen verraten, wozu die Halle in der Blütezeit der Stahlindustrie diente. Bald wird wieder eine Lokomotive ihren Platz im Lok-Atelier finden, sozusagen ihre letzte Ruhestätte. Doch auch wenn die Werkhalle instandgesetzt ist, ihrer ursprünglichen Bestimmung wird sie nicht mehr zurückgegeben. Die in den 1930er Jahren gebaute E-Lok wird als schmückende Kulisse für die hier geplante Gaststätte dienen. Und während die Besucher bei Speis und Trank gemütliche Stunden verbringen, können sie sich der Mikrobrauerei erfreuen, die über ihren Köpfen thront, oder der rauen Gemäuer, hinter denen früher geschuftet und geschwitzt wurde.

An der Struktur der Halle wird nichts verändert. Die Industriefenster werden zwar erneuert, das ursprüngliche Aussehen bleibt jedoch erhalten. Genauso wie die stählernen Streben und Träger, die längst Rost angesetzt haben. Sie werden von allen schädlichen Bestandteilen gesäubert und mit einer durchsichtigen Schutzschicht versiegelt, sagt Ivica Repušić vom städtischen Architektur- und Güterdienst. Versiegelt wie der Boden der Halle. Nichts wurde abgetragen. Eine dicke Betondecke sorgt dafür, dass schädliche Überreste der industriellen Vergangenheit für immer verborgen und für die zukünftigen Besucher unschädlich bleiben.

Sanierung des Geländes

Besitzer des in den 1950er Jahren gebauten Lokomotivateliers sowie der nebenan liegenden Waggonwerkstatt ist derzeit noch der „Fonds de logement“, der auf dem Areal Neischmelz bauen wird. Nach Ende des Kulturjahres werden die beiden Gebäude in den Besitz der Gemeinde übergehen. Bisher fanden lediglich zeitlich begrenzte Aktivitäten auf dem Gelände statt. Lok-Atelier und Waggonwerkstatt werden die ersten bleibenden Projekte von Neischmelz sein, freut sich Bürgermeister Dan Biancalana. Zwar wird das Parlament bereits an diesem Donnerstag die Gesetze zur Finanzierung des Projekts Neischmelz und zur Sanierung des Geländes verabschieden … bis die ersten Wohnungen bezugsfertig sind, dürfte es jedoch noch einige Jahre dauern. Zügiger voran schreitet das Projekt Lok-Atelier. Der Name des zukünftigen Gaststättenbetreibers wird in einer kommenden Gemeinderatssitzung bekanntgegeben. Die ersten Gäste werden bereits in wenigen Monaten beköstigt werden. Auch Platz für Konzerte, Lesungen und Ausstellungen ist ausreichend vorhanden.

Mit Esch2022 hat das Lok-Atelier nicht direkt etwas zu tun. Doch ergänzt es das Projekt „Vestiaires et Wagonnage“, ein Düdelinger Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr. Seit einigen Jahren ist DKollektiv dabei, die ehemaligen Umkleideräume in ehrenamtlicher Arbeit instand zu setzen. Mitte Mai ist die feierliche Eröffnung. Dort, wo die Beschäftigten der Waggonwerkstatt und des Lok-Ateliers in die Arbeitskleidung schlüpften, werden in Zukunft Künstler und andere interessierte Bürger zeitweiligen Arbeitsraum finden.

Seit zwei Jahren ist Thomas Steinmann bei DKollektiv dabei, einem Zusammenschluss von Menschen unterschiedlichen Alters, die sich mit verschiedenen Talenten und unterschiedlichem Wissen einbringen. Zwei Jahrzehnte lang standen „Vestiaires“ und die große Halle der „Wagonnage“ leer, was nicht heißt, dass sie nicht besucht wurden, wie Graffiti und andere Spuren an den Wänden zeigen. Instand setzen bedeutet jedoch nicht: Altes raus, Neues rein. Im Gegenteil. So wurden die alten Fliesen abgenommen, von alten Kleberresten gesäubert und erneut verlegt. Man besuchte alte Industriehallen und montierte einzelne Elemente ab, um sie an dieser Stelle neu zu verwenden. Das „patrimoine industriel“ soll also einer neuen Nutzung zugeführt werden. Das geht von Fliesen über Industrieleuchten bis zu alten Möbeln und Türen, die gesäubert, repariert und eingesetzt werden.

Man trifft sich samstags. Es gab Tage, da sei man zu vierzig gewesen, so Thomas. In der Regel sei man aber zu 15 bis 20. Wöchentlich wird ein Arbeitsplan erstellt. Mitglieder und andere Interessenten werden über die sozialen Medien informiert. Wer möchte, kann sich einschreiben und mitmachen. Wer größeres Interesse hat, kann Mitglied des Kollektivs werden. Hilfe gibt es auch von lokalen Vereinen, die später die Räumlichkeiten nutzen werden. Das hilft auch einzelnen Vereinen, denen es an Mitgliedern für Aktivitäten fehlt. Da hilft Zusammenarbeit mit anderen. Kooperation ist eines der leitenden Prinzipien der Arbeit auf der Baustelle und später im weiteren Leben des Projekts.

Niemand wird sich dann in seine stille Ecke verkriechen. Es ist nicht so, dass jeder Verein seinen kleinen Platz haben wird, sagt der Skulptor und 3D-Grafiker Serge Ecker. Die Räumlichkeiten würden geteilt, je nach Bedarf des jeweiligen Vereins. Mitmachen kann bei DKollektiv jeder, der motiviert ist, etwas zu machen und mit Materialien und Techniken zu experimentieren. „Man muss kein Künstler sein“, lacht Ecker. Nicht nur Düdelinger machen mit. Es kämen auch Leute von auswärts. Vor kurzem schauten fünfzehn Studentinnen aus Avignon vorbei. Sie wollten einen zukünftigen „Tiers-lieu“ besuchen, einen Ort also, wo sich Menschen außerhalb der Arbeitswelt und der Familie zu gemeinsamen Vorhaben zusammenfinden.

In den „Vestiaires“ und der „Wagonnage“ waren am letzten Freitag nicht freiwillige Helfer und Mitglieder des DKollektivs am Werk, sondern Profis von Privatunternehmen. Verschiedenes dürfe man nicht selbst machen, auch wenn man das wolle, sagt Serge Ecker. Strom, Wasser oder Fenster einbauen – da dürfe man nicht ran. Aber Wände und Decken wurden vom DKollektiv gespachtelt, geglättet und gestrichen. Von einer Wand schaut ein Löwenkopf auf den Besucher, von einer anderen ein großer, bunter Wels – die Graffiti waren da und werden bleiben. Ebenso Zeichen und andere Spuren auf den Fliesen, die neu verklebt wurden. „Das gehört zur Geschichte dieses Gebäudes“, sagt Ecker.

Kein Disneyland

In der Neuversion der „Vestiaires“ werden keine Spinde stehen, sondern Versammlungsräume und Lagerräume für die einzelnen Vereine eingerichtet. Da wird Platz sein zum Beispiel für ein Fotostudio, eine Dunkelkammer und einen Siebdrucker. Wer mehr Raum für sein Projekt benötigt, weil er beispielsweise ein Bühnenbild aufbauen will, wird in der „Wagonnage“ glücklich.

Wie bereits die Lokomotivwerkstatt, bleibt auch sie weitmöglichst erhalten. Die Stahlkonstruktion wurde bereits gesäubert und versiegelt. Alte Farbreste und Roststellen bleiben sichtbar. Es werde kein industrielles Disneyland, sagt Serge Ecker. Eine Relikte wie nebenan wird jedoch nicht zu sehen sein. Speziell für den Bedarf des Düdelinger Werks hergestellte Waggons gibt es nicht mehr. Die wurden alle verschrottet.

Ein Schicksal, das Waggonwerkstatt, Umkleide und Lok-Atelier erspart bleibt.

Lianne
15. März 2022 - 10.43

Eine unheizbare Ziegel-Halle die früher immer von glühendem Stahl beheizt wurde 'bleibt wie sie ist', wird ja mit unseren Steuergeldern beheizt, wir haben's ja.