GroßbritannienIndische Corona-Variante durchkreuzt Regierungspläne zur Aufhebung von Einschränkungen

Großbritannien / Indische Corona-Variante durchkreuzt Regierungspläne zur Aufhebung von Einschränkungen
Warntafel in der Londoner Oxford Street: In Großbritannien werden die Lockerungen von Einschränkungen vorerst vertagt Foto: Niklas Halle'n/AFP

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Unter dem Druck rasant steigender Infektionszahlen und Krankenhaus-Einweisungen hat die Regierung von Premierminister Boris Johnson am Montag eine Reihe von Corona-Einschränkungen um vier Wochen verlängert.

Statt am 21. Juni soll England nun am 19. Juli den Tag der endgültigen Befreiung vom Lockdown („Freedom Day“) feiern. Allerdings warnte Gesundheitsminister Matthew Hancock im Unterhaus vor übergroßem Optimismus: „Wir müssen auch weiterhin die Daten genau im Auge behalten.“

Nach der Serie von Desastern im vergangenen Jahr – zu wenig Schutzkleidung fürs Personal, zu späte Lockdowns – hat die konservative Regierung in diesem Jahr im Kampf gegen Sars-CoV-2 einen vorsichtigeren Kurs eingeschlagen. Aufbauend auf dem bemerkenswerten Erfolg der NHS-Impfkampagne veröffentlichte Johnson im Februar einen Zeitplan für die Sequenz von Öffnungsschritten in England; die Regionalregierungen von Nordirland, Schottland und Wales folgen je eigenen Überlegungen, die teilweise davon abweichen.

Der bei weitem größte Landesteil England konnte die vorgegebenen Etappen bisher planmäßig absolvieren. Zuletzt öffneten Mitte Mai Pubs und Restaurants ebenso wie Kinos, Theater und Museen ihre Innenräume. Auch dürfen sich bis zu sechs Freunde und Verwandte wieder in Privatwohnungen treffen. Weiterhin rät die Regierung den Bürgern aber, sie sollten soweit möglich von zu Hause aus arbeiten.

Eigentlich sollten in einer Woche (21. Juni) die letzten Lockdown-Einschränkungen fallen, Nachtclubs wieder öffnen, Theater und Konzertsäle ihre Kapazitäten auslasten, Reisen ins Ausland möglich werden. Diesem Plan hat nun die erstmals in Indien aufgetretene Delta-Variante des Virus einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie ist ersten Studien zufolge um mindestens 40 Prozent infektiöser als die bisher dominante Alpha-Variante aus der südostenglischen Grafschaft Kent.

Rasanter Anstieg der Inzidenzen

Lag die Inzidenzrate im Mai wochenlang um die 20 Fälle pro 100.000 Einwohner, so stieg sie zuletzt auf mehr als 60 Infektionen landesweit. Dabei gibt es erhebliche regionale Unterschiede. So verzeichneten Bolton und Blackburn in der nordwestlichen Region Lancashire Inzidenzen von weit mehr als 500 Infektionen. Aber selbst in der zwischendurch weitgehend Covid-freien Grafschaft Cornwall schnellte die Inzidenz binnen einer Woche von 44 auf 368. Mit Besorgnis beobachten Immunologen das Lagebild nach dem G7-Gipfel von Carbis Bay, zu dem außer den Staats- und Parteichefs der führenden westlichen Industrienationen auch Zehntausende von Polizisten, Lobbyisten und Journalisten vor Ort waren.

Vertreter der betroffenen Branchen sprachen am Montag wie Michael Kill von der Nachtclub-Lobbygruppe von einer „katastrophalen Entwicklung“. Ohne weitere Staatshilfen würden zahlreiche Unternehmen, die bisher mit Blick auf die erhoffte Öffnung noch durchgehalten haben, endgültig dem Ruin verfallen. Finanzminister Rishi Sunak hat zwar eine großzügige Kurzarbeitsregelung durchgesetzt; von Juli an sollen aber die Firmen einen größeren Anteil davon tragen. Auch war bisher geplant, dann die staatlichen Hilfen zur Begleichung von ausstehenden Mieten auslaufen zu lassen.

Die Verschiebung soll der Regierung zufolge weiteren neun Millionen Briten überwiegende Immunität gegen Covid-19 verschaffen. Schon jetzt sind drei Viertel der Erwachsenen (62 Prozent der gesamten Bevölkerung) mindestens einmal geimpft; 45 Prozent aller Briten haben zwei Dosen erhalten.