Wahlen 2023„Fokus“ im Fokus: Meinungsforscher Tommy Klein über die Erfolgschancen der neuen Partei

Wahlen 2023 / „Fokus“ im Fokus: Meinungsforscher Tommy Klein über die Erfolgschancen der neuen Partei
Unter dem Titel „Zil, Wäerter, Fokus“ präsentierte sich die neue politische Gemeinschaft „Fokus“ am Montagnachmittag in Strassen – Frank Engel verpasste die Vorstellung aufgrund gesundheitlicher Probleme Foto: Editpress/Julien Garroy

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Luxemburg zählt seit Montag eine neue Partei in seinen politischen Rängen. Gegründet wurde „Fokus“ unter anderem durch den ehemaligen CSV-Parteipräsidenten Frank Engel. Doch eine neue Partei zum Erfolg zu führen, ist nicht leicht. Ein Gespräch mit Meinungsforscher Tommy Klein von TNS Ilres über Wahlstrategien für kleine und große Parteien sowie die kommenden Wahlen. 

Tageblatt: Wie schätzen Sie die Chancen der neuen Partei von Frank Engel, „Fokus“, bei den kommenden Wahlen ein?

Tommy Klein: Bei der Abwägung der Chancen muss man zwei Sachen beachten. Natürlich ist es durch das Wahlsystem, insbesondere in den Bezirken Süden und Zentrum, möglich, dass man auch mit wenigen Stimmen einen Sitz ergattern kann. Außerdem gibt es eine Entwicklung beim Wahlverhalten, das sich schon bei den vergangenen Wahlen deutlich abgezeichnet hat: Immer weniger Menschen identifizieren sich mit einer Partei und entscheiden sich sehr kurzfristig, für wen sie ihre Stimme abgeben. Ausschlaggebend ist, wem man sich in dem Moment der Wahl nahe fühlt und welche Programme den eigenen Interessen und Nöten entsprechen. Unsere politische Landschaft bietet so kleinen Parteien die Möglichkeit zu punkten, indem sie sich bei einzelnen Themen deutlich positionieren. Das gelang beispielsweise der Piratenpartei. 

So viel zum theoretischen Rahmen. Wenn ich mir nun aber die Partei ansehe, zweifle ich, dass „Fokus“ Erfolg haben wird. Bei der Pressekonferenz wurde von der Parteispitze das Ziel vorgegeben, dass sie in die Regierungsverantwortung kommen wollen. Ich glaube nicht, dass sie das erreichen werden. 

Meinungsforscher Tommy Klein 
Meinungsforscher Tommy Klein  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Wenn ich mir die bisherige Zusammensetzung der Mitglieder ansehe, dann tue ich mich schwer damit, klar zu erkennen, wie sich „Fokus“ von den anderen absetzen möchte. Das ist ein wenig DP, ein wenig CSV, ein wenig „déi gréng“ – wie schaffe ich es, wirklich etwas Neues darzustellen? Oder bin ich eine Partei von allen Richtungen? Denn das funktioniert heutzutage nicht mehr. Das sieht man am Zerfall von unseren großen Parteien. Wenn „Fokus“ es schafft, klar Themen zu besetzen und so eine bestimmte Schicht anspricht, dann kann sie vielleicht ein oder zwei Sitze ergattern. 

Bis zur Wahl dauert es aber noch ein wenig.

Die Herausforderung, die nun auf die Partei zukommt, ist, die Energie zu bewahren. Mit der Gründung einer neuen Partei und der Ausarbeitung ihrer Missionen schafft man eine gewisse Dynamik. Die muss man jetzt die nächsten 18 Monate beibehalten. Das ist als kleine Partei sehr schwierig – insbesondere, wenn man nicht die großen Namen hinter sich hat. Natürlich hat „Fokus“ mit Engel und Ruppert Menschen an der Spitze, die sich schon politisch einen Namen gemacht haben. Aber auch nicht so einen Namen, um über die nächsten anderthalb Jahre möglichst groß aufzutrumpfen. 

Sie sprechen das Panaschieren im Luxemburger Wahlsystem an. 

Ja. Ruppert, Engel und andere Mitglieder der Partei bringen zwar eigenes politisches Kapital mit. Und auch Menschen wie Gary Kneip sind bekannt und können persönliche Stimmen sammeln. Das reicht aber nicht aus. Vor allem nicht in einem System, in dem immer mehr Wähler nicht nach Popularität gehen, sondern sich spontan wegen einzelner Themen für eine Partei entscheiden. Da muss ich Lösungen anbieten, die sich von den anderen unterscheiden. Und da die politische Landschaft bereits so fragmentiert ist und viele Themen besetzt sind, wird es schwierig. Wie wollen sie sich zurechtfinden? „Fokus“ sieht die große Chance in den Unzufriedenen, jenen, die sich nicht in den bisherigen größeren Parteien wiederfinden. Darauf bauen aber auch andere Parteien. 

„Fokus“ hat es auch finanziell schwieriger als alteingesessene Parteien und muss sich aktuell komplett selbst über ihre Mitglieder finanzieren. Ein Handicap im Wahlkampf?

Ein guter Wahlkampf ist nicht immer eine Frage des Budgets. Auch mit weniger Mittel, wenn man sie richtig einsetzt, kann man viel erreichen. Wir haben größere Parteien gesehen, die ganz viel investiert haben und wo der Wahlausgang nicht den Erwartungen entsprochen hat. Es ist eine Frage der effizienten Kommunikation: Ich muss definieren, welche Profile ich wo und wie ansprechen möchte. Aber weniger Mittel bedeutet auch, dass es schwieriger ist, so national zu kommunizieren, wie es vielleicht nötig ist. 

„Fokus“ muss sich bei der kommenden Wahl beweisen. Doch nach der Wahl ist vor der Wahl: Wie schwierig ist es, tatsächlich eine Partei auf die Beine zu stellen, die Bestand hat?

Es ist noch sehr früh. Doch man muss Mitglieder, die man im ersten Schwung gewinnt, auch bei der Stange halten können. Die Motivation muss Bestand haben. Sogar größere Parteien haben es manchmal schwer, ihre Listen zu füllen. Zum Beispiel bei den Lokalwahlen. Manche springen sofort wieder ab, wenn klar wird, dass sie nicht gewählt wurden. Man braucht Leute, die politisch engagiert sind und an das Projekt glauben. 

Viele Herausforderungen also für die neue Partei.

Absolut. In den nächsten 18 Monaten gibt es viel zu bewältigen. Dazu kommen persönliche Vorbelastungen, wie etwa Frank Engels Freundeskreis-Affäre. Er wurde freigesprochen, doch politisch ist er vorbelastet. Neue Parteien, wie etwa Macrons Partei in Frankreich, haben normalerweise eine Art Vertrauensvorsprung bei den Wählern. Engel hat diesen nicht unbedingt, er geht nicht unbefleckt in den Wahlkampf. Auch das wird schwierig zu bewältigen sein. Da muss eine ganz clevere Wahlkampagne folgen, damit sie überhaupt eine Chance haben, sich in unserer Parteilandschaft zu etablieren.  

Glauben Sie denn, dass „Fokus“ als Junior-Partner als eine Art „Königsmacher“ funktionieren wird?

Nein. So würden sie sich vielleicht gerne sehen, aber in dieser Rolle sehe ich eher andere Parteien. Ich glaube eher, dass die neue Partei dazu führen wird, dass größere Parteien wie die DP durch Mitglieder, die zu „Fokus“ wechseln, einzelne Stimmen verlieren werden. 

Müssen CSV, DP, LSAP und Co. deswegen zittern?

Nicht wegen der neuen Partei. Es ist richtig: Jede neue Partei auf dem politischen „Markt“ kostet Stimmen. Die Frage ist nun: von wo kommen diese? Jede andere Partei muss abwägen, wie viele potenzielle Wähler sie durch „Fokus“ verlieren könnte. Aber es gibt andere, wichtigere Dinge, die den Abgang oder Zugewinn von Wählern beeinflussen. Aktuell deuten unsere Umfragen darauf hin, dass CSV und DP an Wählergunst verlieren. Das liegt aber nicht an „Fokus“, sondern eher an der gesellschaftlichen Entwicklung, internen Problemen und dem Bild, das sie in der Öffentlichkeit abgeben. 

Sie sprechen die Umfragen an: Bei den vergangenen Wahlen entsprachen die endgültigen Wahlergebnisse auch nicht den Umfragen der Monate zuvor. Müssen die politischen Umfragen überdacht werden?

Das glaube ich nicht. Man muss nur immer bedenken, dass Umfragen nicht als Prognosen taugen und in welchem Kontext diese durchgeführt werden. Der letzte Politmonitor vor den vergangenen Wahlen wurde fast sechs Monate vor dem eigentlichen Wahltag veröffentlicht. Wenn sich aber bis zu ein Drittel der Wähler erst in den letzten zwei Wochen für eine Partei entscheidet, hat eine Umfrage, die ein halbes Jahr davor veröffentlicht wurde, keine Aussagekraft mehr. Sie gibt uns immer nur eine Aufnahme von genau dem Moment, in dem die Umfrage durchgeführt wurde. Ich sehe also den Fehler nicht bei dem Werkzeug „Umfrage“ selbst, sondern darin, wie wir als Öffentlichkeit darüber kommunizieren. 

Wenn sich immer mehr Menschen erst auf den letzten Drücker für eine Partei entscheiden, macht dann ein kostenaufwendiger, langer Wahlkampf noch Sinn? 

Jein. Der Wahlkampf hat immer noch seine Berechtigung. Viele Menschen entscheiden doch bereits im Voraus, wen sie wählen. Und die, die bis zuletzt zögern, sammeln ihre Informationen auch aus Veröffentlichungen, die mehrere Wochen zurückliegen. Sie interessieren und beschäftigen sich nur nicht früher damit. Idealerweise versuchen Parteien dann noch in den letzten zwei Wochen, einen Impakt zu landen, um Wähler zu überzeugen. Ein Wahlkampf ist also ein Marathon, gefolgt von einem Sprint – bei beiden muss die Partei erfolgreich sein. Man darf nicht nur auf den Sprint bauen. Der funktioniert nicht, wenn ich nicht die Kilometer vorher gelaufen bin. Aber ich darf aber auch nicht alle Körner zu früh verschießen. 

Ist der Marathon denn leichter für größere politische Parteien? Sie müssen schließlich weniger erklären, wofür sie stehen. 

Das hat Vor- und Nachteile. Ja, der Wähler weiß, wofür die Partei einsteht. Aber das macht große Parteien auch unflexibel – sie können sich schwerer dynamisch positionieren. Denn sie müssen den Balanceakt schaffen, zwischen den alten Wählern, die seit Jahrzehnten treu sind, und den Ansprüchen der neuen Wähler. Da haben es kleinere, neuere Parteien deutlich einfacher.  

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die kommenden Wahlen? 

Dass die Corona-Krise die Politik nachhaltig verändert hat, sehen wir jetzt schon. Die LSAP war bis kurz vor der Pandemie, wie andere Parteien auch, im Sinkflug. Und dann ging es plötzlich stark nach oben – was auch mit der Popularität von Gesundheitsministerin Lenert zusammenhängt. Sven Clement ist eine weitere Person, die von der Dynamik in der Pandemie profitiert. Solche Effekte scheinen Bestand zu haben und werden auch in den kommenden Wahlen eine Rolle spielen. Außerdem wird der Umgang mit der Pandemie sicherlich ein wichtiges Mittel zum Stimmenfang gegen oder für die Regierungsparteien. 

Was ist mit der „Antivaxx“-Bewegung in Luxemburg – welche Partei wird davon profitieren?

Was derzeit noch unklar ist: Wie viele Wahlberechtigte sind tatsächlich in dieser Bewegung vertreten? Wie viele neue Wählerstimmen sind in dieser Randgruppe zu finden? Wenn man konkret die Menschen analysiert, die als Vertreter der Bewegung aufgetreten sind, ist klar: Sie sind eindeutig nicht regierungsfreundlich eingestellt, sondern siedeln sich eher am rechten Rand an. Sie fühlen sich durch die ADR verstanden. Doch wie viele der Bewegung haben ohnehin schon ADR gewählt? Und wie viele Neue sind dazugekommen? Das ist noch unklar. Doch ich glaube nicht, dass es so viele sind, dass die ADR auf einmal einen großen Wählerzulauf bekommt. Wichtiger jedoch ist: Welche Partei wird Kapital daraus schlagen, bei den kommenden Wahlen auf die „mehr Bürgerbeteiligung“-Karte zu setzen?  „Fokus“ hat sich dies groß auf die Fahne geschrieben. Das kommt gut an – doch sie ist beileibe nicht die einzige Partei, die so Wähler überzeugen möchte. Die DP hat mit ihrem Klima-Bürgerrat schon in diese Kerbe geschlagen.

Neben Bürgerbeteiligung setzt „Fokus“ auch klar auf das Konzept „Transparenz“. Ist das ein Thema, das die Wähler überzeugen wird?

Mit den Piraten gibt es schon eine Partei, die das Thema „Transparenz“ groß in ihren Parteistatuten verankert hat. Das ist also beileibe nicht Neues. Es hängt davon ab, was ich aus diesem Wert mache. Welche Konzepte und konkreten Pläne lege ich vor, um das umzusetzen? Da muss sich „Fokus“ nun beweisen. 

„Fokus“ will vieles anders machen als die alteingesessenen Parteien. Wird die neue Partei Luxemburgs Politiklandschaft nachhaltig verändern?

2013 ist die neue Regierung angetreten, um die Fenster zu öffnen und durchzulüften. Doch mittlerweile tritt sie auch etwas anders auf. Das ist keine Kritik, nur eine Feststellung. Ein „Fokus“-Mitglied, der vorher eine Parteikarte von „déi gréng“ hatte, meinte, er habe die Partei gewechselt, weil die Grünen mittlerweile zu sehr „Regierungspartei“ seien. Und eben nicht mehr alles umkrempeln wollen. Als kleine Partei ist es sehr viel einfacher, sich frei zu äußern und alle möglichen Veränderungen zu fordern. Aber wir haben ein politisches System, das man nicht einfach so durch ein paar Ankündigungen verändert. 

Kein einfaches Wahlsystem für kleine Parteien

Dass „Fokus“ bei den kommenden Wahlen für einen durchschlagenden Erfolg sorgen wird, erwartet sich auch Soziologe Fernand Fehlen nicht. Luxemburgs Wahlsystem bevorteile große Parteien, erklärt der Experte am Montag gegenüber dem Tageblatt. So ziehen kleine Parteien durch die Restsitzverteilung in Luxemburgs Verhältniswahlsystem tendenziell immer den Kürzeren. Dazu kommt der Effekt des Panaschierens: „Das Panaschieren begünstigt nicht nur altgediente Politiker und Politikerdynastien, sondern Prominente jeglicher Couleur, hauptsächlich Sportler und RTL-Journalisten“, schreibt Fehlen in seinem Beitrag „Ist unser Wahlsystem gerecht?“ für die Publikation des MNHA zu „100 Jahren allgemeines Wahlrecht in Luxemburg“. Für eine neue, kleine Partei ohne viele bekannte Namen wird es so deutlich schwerer, ausreichend Stimmen zu erhalten.
Fehlen macht sich im Gespräch mit dem Tageblatt für eine Anpassung des Wahlsystems stark. Die Verfassungsreform, die aktuell schrittweise verabschiedet wird, sei eine verpasste Chance gewesen. Er fordert: Die Anzahl der Abgeordneten, die Dauer der Legislaturperiode, eventuell die Bezirksaufteilung und deren Grenzen sowie der Rechenmodus des Bezirksaufteilungsschlüssels sollten überdacht und dem Wahlgesetz überlassen werden; wohl wissend, dass auch dieses nicht von heute auf morgen zu ändern ist.

Fernand Fehlen
Fernand Fehlen Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Miette
22. Februar 2022 - 22.41

Wenn mal ein konkreter Plan vorliegt, dann kann sich der Wähler orientieren. Partei wie üblich, von allem was; wie Wetterberichte... kann regnen, Sonne kann erscheinen und dazwischen Quellwolken???

Marcia
22. Februar 2022 - 18.51

So lange sie die CSV-Wähler spalten, bin ich zufrieden.

Lassner
22. Februar 2022 - 12.09

Mit £96.35 Krankengeld pro Woche in England wird dann wohl keiner zu hause bleiben, schließlich muss die Miete bezahlt werden, dann wird eben jeder in der Firma angesteckt.

lola
22. Februar 2022 - 12.07

"Bei der Pressekonferenz wurde von der Parteispitze das Ziel vorgegeben, dass sie in die Regierungsverantwortung kommen wollen. Ich glaube nicht, dass sie das erreichen werden. " Genau wie die CSV oder die ADR. Aber irgendwer muss ja in der rechten Ecke sitzen, und die ADR sitzt ja direkt an der Wand.

HTK
22. Februar 2022 - 9.28

" „Fokus“ sieht die große Chance in den Unzufriedenen, jenen, die sich nicht in den bisherigen größeren Parteien wiederfinden." Und dann haben wir auf einmal eine ADR an der Backe,eine Truppe von Opportunisten denen jedes Mittel recht(s) ist nur um dabei zu sein. Die Abwanderung der Stammwähler bringt dann die"Großen" dazu Koalitionen zu bilden wie wir es im Moment haben.Aber wir sehen ,dass Koalitionen nicht unbedingt schlecht sein müssen.Die halten sich gegenseitig im Auge. Die DP alleine und der kleine Mann hätte keinen Warenkorb mehr,die LSAP alleine und es würden keine Entscheidungen mehr fallen,die Grünen alleine und wir würden alle zu Fuß gehen und müssten uns im Winter wärmer anziehen. Also,mal sehen ob Herr Engel es wieder in die Schlagzeilen schafft. Positive am besten.