Generalstreik 1942Zeremonie im Zeichen der Erinnerung und Tradition – aber auch der Warnung

Generalstreik 1942 / Zeremonie im Zeichen der Erinnerung und Tradition – aber auch der Warnung
Als Erste legten Arbeiter aus der Wiltzer Lederfabrik die Arbeit nieder   Foto: Editpress/Alain Rischard

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Der vorletzte Augusttag 1942 wurde alles andere als beschaulich im damals von Nazi-Deutschland besetzten Luxemburg erlebt. Zwar war Schobermess-Sonntag, doch die Ankündigung von Gauleiter Simon, die Jahrgänge 1920 bis 1924 sollten sofort in die Wehrmacht, also die Armee der Besatzer einberufen werden, schockierte die Luxemburger.

Bereits am kommenden Tag, dem Montag, 31. August 1942, folgte eine Reaktion, die bis dato einzigartig in den von der deutschen Armee besetzten Staaten war.

Am Dienstag nun wurde der Reaktion einer sich schnell ausbreitenden Streikbewegung an den Hauptorten der damaligen Protestaktionen gedacht, die zwar den Mut der Arbeiter, der Lehrer, der Bauern, der Lehrlinge und Schüler bewies, die aber auch 21 Todesopfer, die wenige Tage später standrechtlich erschossen wurden (nur der Deutsche Hans Adam wurde gehängt), sowie viele Inhaftierte unter den Widerständlern bedeutete.

Signal aus Wiltz

Die Ersten, die aus Protest gegen die Zwangsrekrutierung der 18- bis 22-jährigen Luxemburger ihre Arbeit niederlegten, waren die Arbeiter der Wiltzer Lederfabrik „Ideal“. 700 bis 800 Arbeiter streikten dort ab 6 Uhr früh und gaben so das Signal für weitere Aktionen, die folgen sollten. Die Besatzer glaubten erst an spontane Einzelaktionen, die lokal begrenzt seien; spätestens als es in den großen Industrien des Südens zur massiven Arbeitsverweigerung kam, wurde dem Gauleiter und seinem Gefolge bewusst, dass der Widerstand einen landesweiten und organisierten Charakter hatte.

Die Aktion breitete sich schnell aus, Lehrer schickten die Schüler nach Hause, viele Geschäfte blieben geschlossen; ein spontaner Protestmarsch zog durch Wiltz.

Landwirte gossen die Milch ihrer Kühe auf die Straßen, Eisenbahner machten bei der Aktion mit, Schüler der Lyzeen aus Luxemburg, Esch, Ettelbrück und Echternach schlossen sich der Bewegung an und die Lehrlinge aus den „Léierbuden“ verweigerten zwei Tage lang während des Morgenappells den „Hitler-Gruß“. Sie sollten später in Umerziehungslagern in Ruwer, Stahleck, Adenau und Altenahr für ihren solidarischen Widerstand büßen.

Schüler, Lehrlinge, Landwirte, Beamte …

Am Nachmittag des gleichen Montags hatte sich bereits in der Schifflinger Stahlhütte ein Streikkomitee organisiert. Der deutsche Schmelzarbeiter und Antifaschist Hans Adam gab um 18.02 Uhr das Signal zum Streik in dem Werk; er ließ die Werkssirene aufheulen (die heute übrigens noch im Escher Resistenzmuseum zu sehen ist). Die rund 2.000 Arbeiter des Werkes legten daraufhin die Arbeit nieder und verließen das Unternehmen. Erst tags darauf lief das Werk wieder, mittlerweile wurden Esch-Belval und Terres Rouges bestreikt (1. September), die Differdinger Hütte folgte am 2. September, als die Besatzungsmacht bereits die ersten Todesurteile auf Plakaten verkündet hatte.

Zahlreiche Staatsbeamte gaben ihre Mitgliedskarten der VdB (Volksdeutsche Bewegung) zurück, die Bevölkerung drückte den Widerstand gegen die Verordnung des Gauleiters durch das Tragen von Anstecknadeln mit dem Porträt der Großherzogin aus („Spéngelskrich“).

Berlin ordnete Sondergerichte an

Das mittlerweile über die Ereignisse informierte Reichssicherheitshauptamt in Berlin ordnete angesichts des Ernstes der Lage an, den Ausnahmezustand in Luxemburg zu verhängen und Sondergerichte einzusetzen. Diese stellten Protestaktionen in 16 Ortschaften fest, verurteilten 21 Streikende zum Tode (die Urteile wurden sofort vollstreckt, 20 Widerständler wurden in Hinzert erschossen). 150 weitere Streikende wurden der Gestapo überstellt und erst im Grund, später in Hinzert inhaftiert; daneben wurden hunderte Familien umgesiedelt (insgesamt wurden 4.186 Personen in 85 Zügen deportiert), die meisten in weit entfernte Regionen im Osten Europas.

Insgesamt wurden 875 Luxemburger im Rahmen des Generalstreiks von 1942 verurteilt; viele wurden in Gefängnisse und Konzentrationslager verschleppt, andere wurden zu Zwangsarbeit verurteilt, zahlreiche verloren ihren Arbeitsplatz.

Der Streik wurde in vielen Zeitungen des noch freien Europas bewundernd kommentiert; es gab zwar bereits vorher Streikbewegungen in besetzten Ländern, der nationale Charakter des Widerstandes in Luxemburg war allerdings neu. Gauleiter Simon, der einen erneuten Streik verhindern wollte, ließ nach der für ihn blamablen, weltweit sichtbaren Widerstandsbewegung ursprüngliche Pläne fallen, weitere, ältere Jahrgänge der Luxemburger Jugend in die Wehrmacht einzuziehen.

Die zahlreichen lokalen Zeremonien, die am Dienstag, 79 Jahre nach dem Streikbeginn, stattfanden, sollten allerdings mehr sein als bloßes Gedenken und Erinnerung an den damaligen mutigen Widerstand. Sie sind auch Warnung vor neuen faschistischen, fremden- und judenfeindlichen Bewegungen, die sich – auch in Deutschland – wieder breitmachen. In dem Sinne äußerten sich denn auch viele der Redner bei besagten Zeremonien.

Alain Guenther
4. September 2021 - 8.45

Es ist schade dass Tageblatt keinen Journalisten ins Schifflinger Escher Arcelormittal Werk geschickt hat. Wir hatten fast 100 Besucher bei unserer Streikgedenkfeier und als Redner die Enkelin von Eugen Biren sowie die Bürgermeister von Schifflingen und Esch/Alzette

Wieder Mann
1. September 2021 - 8.32

Eine Warnung sollte es sein, hätten damals die Luxemburger, wie es heute zum Usus wurde, die Flucht ergriffen , sich der Realität verwehrt , dem seligen Friedensgeflüster hingegeben , sich nicht gewehrt und Widerstand geleistet ,das Tausendjährige Reich würde uns noch immer beherrschen. Mut den Widerstand , den Kampf und Umsturz der Diktatur mit der Waffe in der Hand auszufechten , war wohl nur eine respektable Tugend unserer Vorfahren. So schön die Vorstellung einer friedlichen Welt auch sein mag, zwischen Realität und humanistischer Fiktion liegen Welten, die Realität überwiegt die humanistische Fiktion die Völker verwundbar macht, beherrscht zu werden.