GastbeitragEnttäuschende Kehrtwende: Die Neukalibrierung der amerikanisch-saudischen Beziehungen

Gastbeitrag / Enttäuschende Kehrtwende: Die Neukalibrierung der amerikanisch-saudischen Beziehungen
Wegen des Mordes an Jamal Khashoggi wollen US-Präsident Bidens Kritiker den saudischen De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman bestraft, wenn nicht gar aus der saudischen Thronfolge entfernt sehen Foto: AFP/Ozan Kose

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Regierung unter US-Präsident Joe Biden hat sich geweigert, direkte Sanktionen gegen Saudi-Arabiens Kronprinzen Mohammed bin Salman zu verhängen, obwohl in einer kürzlich veröffentlichten CIA-Einschätzung vermerkt ist, dass er „eine Operation […] zur Gefangennahme oder Tötung“ des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi 2018 in Istanbul „genehmigte“. Weil Biden den allgemein als MbS bekannten De-facto-Herrscher des Königreichs nicht bestrafte, ist man vielerorts enttäuscht. Biden hat jedoch damit einer der bedeutungsvollsten Auslandsbeziehungen Amerikas richtigerweise oberste Priorität eingeräumt.

US-Außenminister Antony Blinken fasste die Haltung der Regierung eloquent zusammen, als er sagte, dass Amerika zwar die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien „neu kalibrieren“ möchte, die bilaterale Bindung jedoch „stärker als irgendeine Person“ sei. Blinkens Erklärung, die gleichermaßen auf den ermordeten Khashoggi wie auf MbS zutreffen könnte, unterstreicht ein wichtiges Faktum. Wie jeder andere US-Präsident seit Dwight Eisenhower in den 1950er Jahren ist sich auch Biden darüber im Klaren, dass Saudi-Arabien für die Wahrung der strategischen Interessen der USA sowohl im Nahen Osten als auch im Rest der Welt von entscheidender Bedeutung ist. Deswegen hat er sich entschieden, den Bruch der Beziehungen nicht zu riskieren, indem er sich mit dem angehenden Monarchen des Königreichs anlegt.

Viele Demokraten stören sich an der Diskrepanz zwischen Bidens Rhetorik gegenüber Saudi-Arabien im Wahlkampf, als er erklärte, sie „zu dem Paria zu machen, der sie tatsächlich sind“ und der Realität des Kompromisses im Umgang mit Amerikas außenpolitischen Interessen. Bidens Kritiker wollten MbS bestraft, wenn nicht gar aus der saudischen Thronfolge entfernt sehen und betrachten die Entscheidung, keine Sanktionen gegenüber dem Kronprinzen zu verhängen, als Verrat an der wertebasierten Außenpolitik, die der Präsident zu verfolgen versprach.

Der Grund für Bidens Haltung liegt auf der Hand – und dabei handelt es sich nicht um mögliche US-Waffenverkäufe an das Königreich, jenem Prinzip, das der US-Politik unter dem früheren Präsidenten Donald Trump mit seiner plump transaktionalen Perspektive zugrunde lag. Vielmehr beruht das amerikanisch-saudische Verhältnis auf zahlreichen wechselseitigen strategischen Interessen, die nicht davon abhängig sind, wer in Riad oder Washington gerade an der Macht ist.

Beispielsweise haben beide Länder ein gemeinsames Interesse an der Stabilität der globalen Energie- und Finanzmärkte sowie an der Vorherrschaft des US-Dollars als Weltreservewährung. Das gesamte saudische Öl wird in Dollar gehandelt und keine der beiden Seiten hat ein Interesse, daran etwas zu ändern.

Darüber hinaus herrscht zwischen Amerika und Saudi-Arabien auch Einigkeit über die Notwendigkeit, den Nahen Osten zu stabilisieren, weltweit agierende dschihadistische Gruppen zu bekämpfen, den Iran einzudämmen sowie den Krieg im Jemen zu beenden und das Land wiederaufzubauen – und eine Normalisierung der Beziehungen zwischen arabischen Staaten und Israel zu erreichen. Sogar die Kontrolle der Covid-19-Pandemie erfordert die Mithilfe Saudi-Arabiens, da die jährliche Pilgerfahrt (Hadsch) nach Mekka – die heuer wohl wieder stattfinden wird – historisch betrachtet die Mutter aller globalen Superspreading-Ereignisse ist.

Stabile Beziehungen

Aus all diesen Gründen müssen die bilateralen Beziehungen solide und das Königreich stabil bleiben. Eine Bestrafung Mohammed bin Salmans wäre eine beispiellose Einmischung der USA in die Erbfolge der Dynastie und würde das Land ins Wanken bringen.

Der Umgang Trumps mit den Saudis gestaltete sich überaus personalisiert und fand meist über seinen Schwiegersohn Jared Kushner statt, der enge direkte Verbindungen zu MbS unterhielt. Dieser Ansatz ermutigte beide Seiten zu riskantem Verhalten, wie etwa Mohammed bin Salmans Entscheidung aus dem Jahr 2017, Katar zu boykottieren, oder Trumps Bereitschaft, dem Iran das Bombardement saudischer Ölschiffe und Anlagen im Sommer und Herbst 2019 ungestraft durchgehen zu lassen.

Von noch größerer Bedeutung ist, dass Trumps Taktik auch die seit langem zentralen institutionellen Verbindungen zwischen den USA und Saudi-Arabien untergrub, wie etwa jene zwischen den Außenministerien beider Länder, den Geheimdiensten, den militärischen Bereichen, den Finanz- und Energieministerien sowie zwischen den Zentralbanken. Bei Bidens „Neukalibrierung“ geht es vor allem darum, diese institutionellen Verbindungen wiederherzustellen und gleichzeitig die Betonung des persönlichen Austauschs auf hoher Ebene zu verringern.

Bidens Präsenz zeigte bereits zähmende Wirkung auf die saudische Führung, die einen politischen Kurswechsel an mehreren Fronten signalisierte. Damit hat man stillschweigend das Scheitern der Strategie sowohl gegenüber dem Jemen als auch gegenüber Katar sowie die exzessive Unterdrückung Andersdenkender im eigenen Land eingeräumt.

So haben etwa die Saudis – bisher erfolglos – versucht, den Konflikt mit den vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen zu lösen, und den Boykott gegen Katar beendet. Im eigenen Land haben die saudischen Behörden einige politische Dissidenten und Reformerinnen freigelassen, allen voran die mutige Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul.

Die USA können auf diesen positiven Entwicklungen aufbauen und diskret weitere Änderungen ermutigen – angesichts des Einflusses des Königreichs auf die verschiedenen Konfliktparteien etwa das Ende des Krieges im Jemen. Weitere saudische Maßnahmen könnten direkte Gespräche mit dem Iran und die Freilassung weiterer politischer Gefangener sein.

In seiner lauten und aufgeblasenen Art hat Trump die saudische Führung oft öffentlich gedemütigt. Davon hatten weder Amerika noch das Königreich etwas. Bidens sanftere, auf der Wahrung der wechselseitigen Interessen beruhende Herangehensweise wird sich als vorteilhafter und nachhaltiger erweisen und könnte dem jungen, angehenden Monarchen helfen, Halt zu finden.

* Bernard Haykel ist Professor für Nahoststudien und Direktor des Instituts für überregionale Studien des Nahen Ostens, Nordafrikas und Zentralasiens der Gegenwart an der Universität Princeton sowie neben Thomas Hegghammer auch Mitherausgeber des Buchs „Saudi Arabia in Transition“ (www.project-syndicate.org 2021).