DeutschlandDer Wirtschaftsweise Achim Truger erwartet für 2021 ein spürbares Wachstum

Deutschland / Der Wirtschaftsweise Achim Truger erwartet für 2021 ein spürbares Wachstum
Der Ökonom Achim Truger erklärt, wie die Wirtschaft in Deutschland wieder in Fahrt kommen kann Foto: Sachverständigenrat

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Die Corona-Krise ist eine schwere Hypothek für die Konjunktur und die öffentlichen Haushalte. So plant allein der Bund für 2021 mit Schulden von fast 180 Milliarden Euro – jeder dritte Euro im Etat wäre damit auf Pump finanziert. Warum das trotzdem kein Problem sein muss und wie die Wirtschaft im neuen Jahr wieder in Fahrt kommen kann, erklärt der Wirtschaftsweise Achim Truger im Gespräch mit dem Tageblatt.

Tageblatt: Herr Truger, wird einem Ökonomen bei so vielen Staatsschulden nicht schwindlig?

Achim Truger: Nein, denn die damit finanzierten Maßnahmen sind notwendig für die Eindämmung der wirtschaftlichen Pandemie-Folgen. Wir erleben gerade deshalb keine große Insolvenzwelle und auch keine Massenarbeitslosigkeit, weil massive Hilfen samt Kurzarbeit das abfedern. Eine andere Möglichkeit, als den enormen Finanzbedarf dafür über Kredite zu finanzieren, gibt es nicht.

Der frühere Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat kürzlich die Lage mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verglichen, als sich der deutsche Staat mit der Gelddruckpresse finanziert und damit die Inflation angeheizt habe. Liegt er da falsch?

Ich finde diesen historischen Vergleich an den Haaren herbeigezogen. Ja, wir stecken in einer Krise, aber die Staaten reagieren darauf in angemessener Weise. Genauso wie die Notenbanken. Es zeichnen sich derzeit keinerlei Inflationsgefahren ab. Und diejenigen, die schon seit zehn Jahren Inflation heraufbeschwören, wurden immer wieder eines Besseren belehrt. Wenn die Krise überstanden ist und es keinen Bedarf für expansive Maßnahmen mehr gibt, werden sie auch wieder zurückgefahren.

Lässt sich die Politik des billigen Geldes wirklich jemals wieder zurückfahren? Viele europäische Volkswirtschaften hängen ja längst daran wie an einem Tropf.

Diese Staaten brauchen dringend Unterstützung. Und anders als bei der Eurokrise, in der sie diese Unterstützung ebenso dringend gebraucht hätten, bekommen sie sie diesmal auch. Mit dem Ergebnis, dass wir nicht erneut um den Euro fürchten müssen. Wäre das nicht geschehen, dann stünde die Einheitswährung und möglicherweise auch die EU heute vor dem Zusammenbruch.

Niemand weiß aber, wie lange die Corona-Krise noch andauern wird. Die Verschuldung könnte also noch weiter steigen.

Sie kann noch steigen. Aber nach allen Prognosen wird Deutschland am Ende des neuen Jahres einen Schuldenstand von etwas über 70 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung haben. Vielleicht auch 75 Prozent, sollte der Lockdown noch länger anhalten. Aber nach der großen Finanzkrise 2010 hatten wir über 80 Prozent. Und danach ist es innerhalb von nur neun Jahren gelungen, den Schuldenstand entsprechend der EU-Vorgabe auf 60 Prozent zu drücken. Und das ohne Einschnitte für die Bevölkerung. Verantwortlich dafür war eine gute wirtschaftliche Entwicklung.

Lässt sich der Schuldenberg auch diesmal allein durch Wachstum wieder verkleinern?

Das kommt darauf an, wie wir die Schuldenbremse interpretieren. Sollte sie wirklich schon 2022 wieder greifen, dann könnte der Bund gezwungen sein, Ausgaben zu kürzen oder Steuern zu erhöhen. Wenn man aber die Spielräume nutzt – die Schuldenbremse lässt ja über Ausnahmen und Interpretationsmöglichkeiten weiterhin Neuverschuldung zu –, dann können die Schulden auch ohne Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen wieder auf 60 Prozent sinken.

Damit widersprechen Sie Forderungen aus dem linken Lager, „die Reichen“ für die Folgen der Corona-Krise zur Kasse zu bitten.

Wegen der Corona-Schulden brauchen wir keinen Lastenausgleich. Aber für einen handlungsfähigen Staat muss man auch über mehr Steuergerechtigkeit reden. In den letzten 20 Jahren ist die Steuerlast von oben nach unten umverteilt worden. Hier sehe ich Korrekturbedarf.

Laut ihrem letzten Jahresgutachten erwarten die Wirtschaftsweisen für 2021 ein Wachstum von 3,7 Prozent. Andere Ökonomen dagegen rechnen mittlerweile mit einem deutlich größeren Plus. Was ist denn realistisch?

Wieder andere rechnen allerdings auch mit einem geringeren Wachstum. In unserer Prognose war zum Beispiel nur der Teil-Lockdown berücksichtigt. Nun sind zur Eindämmung der Pandemie noch härtere Maßnahmen notwendig geworden. Allerdings kamen sie zu einem ökonomisch günstigen Zeitpunkt, denn zum Jahreswechsel ist die Produktion wegen der arbeitsfreien Tage ohnehin niedriger. Anders als noch im Herbst gibt es jetzt obendrein eine klare Impfperspektive. Ich sehe bei unserer Herbstprognose daher im Moment keinen Anpassungsbedarf.

Was erwarten Sie, wo wird Deutschland am Ende des Jahres wirtschaftlich stehen?

Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen, könnten wir Ende 2021 den wirtschaftlichen Einbruch fast schon wieder wettgemacht haben. Das heißt, damit wäre wieder das Niveau von 2019 erreicht.

In den letzten 20 Jahren ist die Steuerlast von oben nach unten umverteilt worden. Hier sehe ich Korrekturbedarf.

Zur Person

Achim Truger (51) ist Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen und auf Vorschlag der Gewerkschaften einer der fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen beraten. Dafür erstellt das Gremium regelmäßig Gutachten.