ForumDer Hamas-Terror als Vorwand

Forum / Der Hamas-Terror als Vorwand
 Foto: Spencer Platt/Getty Images via AFP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Es gibt kaum ein Thema, das stärker polarisiert als die Lage in und um Israel. Nicht durch die Bibel, sondern durch einen Beschluss der Vereinten Nationen begründet. Zuerst die Sowjetunion, dann die USA, plädierten für die Schaffung einer Heimstatt für die Überlebenden des Holocaust. Großbritannien, seit 1917 Mandatsträger für Palästina, enthielt sich der Stimme. Die anderen europäischen Staaten, darunter auch Luxemburg, stimmten schamvoll für den neuen Staat. Zu groß war das schlechte Gewissen gegenüber den vom Hitler-Regime verfolgten und millionenfach massakrierten Juden.

Die Abstimmung vom 29. November 1947 sah eine Zweiteilung Palästinas vor. Das 25.000 km2 umfassende Land zwischen Jordan und Mittelmeer sollte zu 56 Prozent eine Heimstatt für die dort lebenden 600.000 Juden werden sowie für die Überlebenden der Nazi-Massaker, die in Europa vielfach in Lagern ausharren mussten, da in den meisten Ländern nicht gerade erwünscht. Die Palästinenser, damals 1,3 Millionen Araber, Beduinen, Drusen, Christen, bekamen 43 Prozent des Landes zugesprochen. 1 Prozent der Landesfläche stellte Jerusalem, die „heilige Stadt“ der drei monotheistischen Religionen. Vorgesehen als internationale Enklave.

Das Abstimmungsresultat, 33 Ja, 13 Nein, zehn Enthaltungen, zeigte die Zerrissenheit der neuen Staatengemeinschaft. Alle muslimischen Staaten, aber auch Indien stimmten gegen die Zweiteilung Palästinas. Neben Großbritannien kamen die Enthaltungen vor allem aus Afrika und Lateinamerika.

Nach der Gründung Israels am 14. Mai 1948 gingen die arabischen Nachbarstaaten militärisch gegen den neuen Staat vor. Mit Waffen aus kommunistischen Staaten versorgt siegte Israel. Dabei wurden 700.000 Palästinenser vertrieben, deren Land sich der neue Staat einverleibte. Damit war der Grundstein gelegt für ein immer wieder aufflammendes Drama.

75 Jahre Perspektivlosigkeit

Die Verweigerung eines eigenständigen Palästinenser-Staates seit über 75 Jahren führte wiederholt zu Kriegen und blutigen Aufständen. Drei, vier Generationen Palästinenser kennen nur die Perspektivlosigkeit der Lager und Slums. Zwar bauten sich mehrere Hunderttausend ein neues Leben auf. In den Golfstaaten, in Europa, in den USA. Wie die jüdische Diaspora solidarisch mit Israel ist, bleiben die Exil-Palästinenser in Solidarität mit ihren Familien in Westjordan oder Gaza. Für die Kandidatin der US-Grünen bei der Präsidenten-Wahl im November, Jill Stein, selbst Jüdin, aber engagierte Verteidigerin eines eigenständigen Palästinas, sind „Juden wie Palästinenser traumatisierte Menschen“.

Was die Emotionalität der Diskussionen um den neuen Konflikt erklärt. Ausgelöst durch die brutalen Attacken von Hamas-Aktivisten am 7. Oktober 2023. Mehr als 1.200 friedliche Kibbuzim sowie Besucher einer Rave-Party wurden ermordet, über 300 Geiseln entführt. Das Vorgehen der Hamas, dessen offizielle Doktrin die Auslöschung Israels bleibt, ist weder zu entschuldigen noch zu relativieren. Obwohl UNO-Generalsekretär António Guterres recht hat mit seiner Feststellung, die tragischen Ereignisse hätten einen geschichtlichen Kontext: das Ausbleiben eines Palästinenserstaates neben sicheren Grenzen für Israel. Zahlreiche entsprechende UNO-Beschlüsse und internationale Abkommen (Oslo, Camp David, Madrid) wurden immer wieder von politischen Kräften in Israel ausgebremst.

Zwei Israel

Seit seiner Gründung hat sich Israel zu einem wirtschaftlich starken und militärisch hochgerüsteten Staat entwickelt. Im Gegensatz zu den meisten arabischen Staaten ist Israel eine sehr lebendige Demokratie. Mit großer Streitkultur und einer freien Presse.

Es gibt Zehntausende Israelis, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen. Die sich manchmal schützend vor die von Aussiedlern brutalisierten palästinensischen Bauern stellen. Gleichzeitig gibt es radikale Israeli, die Lynch-Justiz praktizieren. Die nunmehr eine Versorgung der Gaza-Bewohner durch Blockaden der Grenzübergänge behindern. Die Übergriffe sind so ernst, dass sowohl die USA wie die EU radikale Siedlerführer und extremistische NGOs sanktionierten.

Israels Juden sind tief gespalten. Es gibt viele säkulare Juden, die sich ihrer Kultur verpflichtet fühlen, aber kaum ihre Religion praktizieren. Andererseits gibt es fanatische Siedler sowie vor allem ultraorthodoxe Israeli. Unter den Letzteren gar „anti-zionistische“ Juden, die den Staat Israel ablehnen. Die Ultras verweigerten bislang Militärdienst. Um die 30.000 Ultraorthodoxe widmen sich allein dem Studium der heiligen Schriften und lassen sich dafür vom Staat aushalten. Was zu heftigen Spannungen in Israel führt. Da es keine Mehrheit in der Knesset für die weitere Befreiung ultraorthodoxer Jugendliche vom Wehrdienst gab, urteilte nun der Oberste Gerichtshof, Letztere müssten ebenfalls zur Armee. Was womöglich zur Sprengung der Netanjahu-Regierung führt. Immer wieder hält sich der Likud-Führer an der Macht durch das Koalieren mit rechtsextremen Parteien. Für Daniel Cohn-Bendit sind die Minister für Sicherheit, Ben-Gvir, oder Finanzen, Smotrich, bloß „Faschisten“!

Das israelische Wahlrecht ist ein absolutes Proporzsystem, das immer mehr Mini-Parteien produziert und stabile Regierungen verhindert, was zu wiederholten Wahlgängen führt und letztlich extremistische Parteien zu einem unverhältnismäßigen Gewicht über die Geschicke Israels verhilft (vielleicht eine Warnung an jene Politiker und Leitartikler, die auch für Luxemburg einen einzigen Wahlbezirk mit integralem Proporz fordern!).

Disproportionierter Gegenschlag

Nach den Terrorschlägen der Hamas war Israel zu einem militärischen Gegenschlag berechtigt. Doch die 2,2 Millionen Palästinenser in Gaza sind nicht alle Hamas-Aktivisten. Die übergroße Mehrheit der Gaza-Bewohner lebt in armseligen Verhältnissen. Gaza hat die Fläche der Kantone Luxemburg und Remich. Mit weniger Ressourcen.

Der Vernichtungskrieg von Tsahal gegen die 30.000 bis 40.000 Hamas-Aktivisten wird mit einer seltenen Brutalität geführt. Zwei Millionen Gaza-Bewohner wurden zur Flucht gezwungen. Ein Drittel aller bebauten Einrichtungen des Streifens sind zerstört, darunter Schulen und Krankenhäuser. 35.000 Tote und 80.000 Verletzte sind zu beklagen. Die Rücksichtslosigkeit der Kriegsführung kann man an den Umständen ermessen, wie drei israelische Geiseln abgeknallt oder sieben Vertreter einer amerikanischen NGO eliminiert wurden. An die 200 UNO-Mitarbeiter und genauso viele Journalisten wurden ebenfalls zu „Kollateralschäden“.

Netanjahus Regierung ist absolut beratungsresistent. Hört nicht auf seine engsten Alliierten, selbst nicht auf den US-Präsidenten. Urteile des Internationalen Gerichtshofes werden ebenso ignoriert wie UN-Beschlüsse. Wer Israels brutales Vorgehen kritisiert, etwa das Aushungern von Kindern und Kranken, kann nur ein „Antisemit“ ein. Kritische Juden, wie der Fraktionschef der Demokraten im US-Senat, Chuck Schummer, werden sofort der Israel-Feindlichkeit beschuldigt.

Ethnische Säuberung?

Hinter dem „totalem Krieg“ gegen den Hamas in Gaza wie hinter den sich mehrenden Übergriffen gegen Palästinenser in Westjordan steht nicht eine berechtigte Reaktion auf reale Terroranschläge. Die Mehrheit der Regierungsparteien träumt von einem „Groß-Israel“ in seiner biblischen Breite, aus dem die Palästinenser zu verschwinden haben. Ausgerechnet Israel, Heimstatt der Opfer des schlimmsten Völkermordes der Geschichte, betreibt zumindest in Gaza den Versuch einer „ethnischen Säuberung“.

Namhafte Minister und Abgeordnete von Likud und der Siedler-Parteien machen keinen Hehl daraus, dass sie die Palästinenser in den ägyptischen Sinai oder nach Jordanien vertreiben wollen. Gaza soll wieder von Israeli besiedelt werden. Im Westjordan macht ein Flickenteppich von 160 illegalen Siedlungen mit 800.000 Israeli einen zusammenhängenden Palästinenser-Staat ohnehin unmöglich.

Keine Chance mehr für einen Frieden im Nahen Osten? Die derzeitige Regierung in Israel scheint die Zeichen der Zeit nicht zu erkennen. Sympathie und Solidarität mit Israel bröckeln. Selbst bei der traditionellen Schutzmacht, den USA.

Israel nimmt sich das Recht, politische Gegner ermorden zu lassen. Der völkerrechtswidrige Anschlag auf das iranische Konsulat in Damaskus provozierte einen ebenso wenig berechtigten Gegenschlag des Teheraner Regimes gegen Israel. Über 300 Raketen, Marschflugkörper und Kampfdrohnen konnten abgewehrt werden. Mit Unterstützung der USA, Frankreichs und Großbritanniens. Auch mithilfe arabischer Staaten wie Jordanien. Viele arabische Staaten, selbst Saudi-Arabien, sind an einer Normalisierung ihrer Beziehungen mit Israel interessiert. Können dies nur tun, falls den Palästinensern in Gaza und Westjordan endlich eine Perspektive aufgezeichnet wird.

Kann das israelische Volk sich der Netanjahu-Regierung und ihren extremistischen Hardlinern entledigen? Laut Meinungsumfragen will eine Mehrheit der Israeli Netanjahu loswerden. Eine glaubhafte Alternative ist angesichts des israelischen Wahlsystems leider nicht in Sicht.

Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter
Robert Goebbels ist ein ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter Foto: Editpress/Didier Sylvestre
P. Schleimer
5. Mai 2024 - 19.46

Endlich hat mal jemand gesagt was Sache ist, ohne dass er wegen "Antisemitismus"-Vorwurf zensiert oder mundtot gemacht wurde. Seit über 75 Jahren leidet das palästinensische Volk an den Folgen des zweiten Weltkrieges, für den die Palästinenser keine Schuld tragen. Nur die bereits 1948 geplante und von Israel stets boykottierte Zwei-Staaten-Lösung mit Friedensverhandlungen auf Augenhöhe kann für alle Menschen in diesem Gebiet einen dauerhaften Frieden und Sicherheit schaffen. Die Gewaltoffensive der israelischen Regierung und Armee fördert nur noch mehr Hass und Gewalt, von der meistens nur Unschuldige getroffen werden.

Grober J-P.
2. Mai 2024 - 10.18

Für mich, nur ein Krieg zwischen Allah und Gott, wie so oft. Die Menschheit wird noch am Glauben ersticken.

fraulein smilla
30. April 2024 - 0.15

Wie kann es sein ,dass der israelische Geheimdienst ganz genau wusste wie ,wann und wo sich Offiziere der Revolutionsgarden im iranischen Konsulat in Damaskus trafen aber keinen Schimmer hatte was die Geschehnisse vom 7.ten Oktober angeht .

Mire
29. April 2024 - 13.42

"Israel nimmt sich das Recht, politische Gegner ermorden zu lassen. Der völkerrechtswidrige Anschlag auf das iranische Konsulat in Damaskus provozierte einen ebenso wenig berechtigten Gegenschlag des Teheraner Regimes gegen Israel." an "Im Gegensatz zu den meisten arabischen Staaten ist Israel eine sehr lebendige Demokratie." also ech wees net mee iergendwei kann een net déi 2 sinn.