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Forum / Esch wird pim-k(n)affisiert
 Foto: Editpress-Archiv/Alain Rischard

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Man sollte einen neuen Wörterbucheintrag vorschlagen: pim-k(n)affisieren, schwaches Verb, gleichbedeutend mit 1) Kompetenz vortäuschen, 2) mit Unkenntnis belästigen, 3) ohne Rücksicht auf Verluste unbedacht daherreden. Beispiele: Er pim-k(n)affisiert sich durch die Politik (ad 1), langsam, aber sicher pim-k(n)affisiert er die ganze Stadtbevölkerung (ad 2), in der Gemeinderatssitzung hat er wieder flächendeckend pim-k(n)affisiert (ad 3).

Der Namensgeber dieses innovativen Verbs, Stadtschöffe und Kulturbonze von eigenen Gnaden, ist tatsächlich dabei, seine Heimat-City Esch von allem kulturellen Eigensinn zu befreien. Seine quasi übermenschliche und unnachahmliche Stärke liegt darin, als glorreicher Kulturchef aufzutreten, ohne zu erfassen, was Kultur eigentlich ist. Er versteht sich als wandelndes Denkmal der Selbstgefälligkeit. Etwas kann er allerdings sehr gut: das Geld der Steuerzahler mit voller Wucht zum Fenster rausschmeißen.

Er macht zum Beispiel unheimlich viel Geld locker für die sogenannten Francofolies. Diese putzige Bezeichnung könnte man adäquat übersetzen mit „hexagonale Verrücktheit“ oder „französischer Blödsinn“. Wie der Name sagt, gehört das entsprechende Festival naturgemäß nach Frankreich. Etwa in den Schatten der Kühltürme von Cattenom. Dort, vor der energiegeladenen Kernkraftwerkskulisse, könnte sich das Grande-Nation-Gedröhn optimal entfalten. Schade nur, dass die Rauchfahnen über den Meilern nicht blau-weiß-rot schimmern, wenn die Musik so unbarmherzig losbricht, dass die Brennstäbe wackeln.

Aber der pim-k(n)affisierende Eventmanager verfrachtet dieses aufgedonnerte Non-Event lieber auf den Escher Galgenberg. Er scheint der Ansicht zu sein, die Natur bräuchte von Zeit zu Zeit einen nachhaltigen Dezibelschock. Die wohltuende Stille in der grünen Stadtoase ist wohl allzu weit entfernt vom maßlosen „Gedäisch“, das die No-bei-dir-Partei immer und überall benötigt, um die eigene politische Sang-und-Klang-Losigkeit zu übertünchen. Also wird das Naturreservat in eine Lärmhölle verwandelt, wo tagelang völlig überschätzte und überbezahlte Schreihälse das Laub von den Bäumen brüllen. Der Galgenberg ist gesperrt, die Natur wird in Geiselhaft genommen.

Kultur ist, was zur Lebensqualität beiträgt

Kultur ist, was zur Lebensqualität beiträgt. Sogar diese elementare Gleichung begreift der Escher Schöffenrat nicht. Er zieht es vor, die Lebensqualität zu ruinieren. Seine stärkste Kulturleistung seit dem Ableben der neoliberalen Scharlatanerie namens Esch22 verdient wahrlich keinen Lorbeerkranz: Die Koalitionäre haben es vor kurzem tatsächlich fertiggebracht, wegen angeblicher Formfehler eine Essensausgabe an Obdachlose zu verbieten. So sieht ihr „kultureller“ Fundus aus. Sie reglementieren bis zum Gehtnichtmehr, statt mal genauer hinzuschauen, was in Esch alles schiefläuft. Sie ducken sich weg, statt politisch aktiv zu werden. Sie sind im Grunde eine Bande von Sozialfeiglingen, die sich zu allem Überfluss herausnehmen, das politisch wache und sozial bewusste Künstlerkollektiv Richtung22 in die kulturelle Obdachlosigkeit zu treiben.

Die Escher Kulturgeschichte ist ohnehin reich an erbärmlichen Eingriffen der Stadtverwaltung. Von den Schluechthaus-Besetzern der Achtzigerjahre bis zu den heutigen Richtung22-Aktivisten im Bâtiment 4 spannt sich ein unheilvoller Bogen. Hier wie dort wollten amtierende Politiker die kulturelle Aufbruchsstimmung partout nicht wahrnehmen. Sie suchten nach fadenscheinigen Ausflüchten oder bunkerten sich ein in bürokratischem Formalismus, um die junge Kulturgarde einzuschüchtern oder abzuschrecken. Die legendäre Entgleisung des CSV-Schöffen Ady Jung, der die Kulturfabrik als „Ratelach“ abkanzelte – wohl inspiriert von Franz Josef Strauß’ „Ratten und Schmeißfliegen“-Diktum –, scheint heute immer noch als Messlatte zu gelten. Denn der Vorwurf des Escher Kulturschöffen, Richtung22 sei nicht in der Lage, ihr Quartier in Ordnung zu halten und das Bâtiment 4 „mit Leben zu füllen“, ist eine untaugliche Flucht nach vorne. Sie liegt inhaltlich auf dem gleichen Niveau wie Ady Jungs Rattenvergleich.

Vorbildcharakter der Stadtvertreter?

Und sie provoziert dringende Fragen: Hält denn die aktuelle Koalition ihre Stadt in Ordnung? Füllt sie Esch mit Leben? Wie steht es mit dem Vorbildcharakter der Stadtvertreter? Soll sich Richtung22 etwa am Treiben der Politiker inspirieren? Lieber nicht. Sonst sähe das Bâtiment 4 längst aus wie ein irreparabler Saustall.

Auch und besonders der ArcelorMittal-Konzern, der hier so edel und gnädig ein ausgemustertes Schmelzgebäude für kulturelle Zwecke zur Verfügung stellt, kann für Richtung22 kein Wegweiser sein. Im Bâtiment 4 pochen die Schmelzherren auf Ordnung und Sauberkeit, aber keine zwei Kilometer weiter zerstören sie rücksichtslos die Lebensqualität der Einwohner im Escher Viertel Bruch, wie die unablässigen Beschwerden des Interessenvereins belegen: massive Lärmbelästigung, dichter Schlackenstaub allenthalben, irreversible Schäden im Wohnbereich. Die Klagen der Betroffenen werden süffisant ignoriert. Vielleicht könnte der Herr Kulturschöffe mal hier nach dem Rechten sehen, statt sich über die angeblichen Regelverstöße von Richtung22 zu echauffieren. Jede Wette, dass sein pim-k(n)affisiertes „Kulturkonzept“ im Viertel Bruch krachend scheitern wird.

Dabei behauptet die DP bei jeder Gelegenheit, sie wäre immer und überall unendlich „no bei dir“. Also bei dir und mir, bei Ihnen und euch, bei uns und allen und jeden, stets den einfachen Bürgern zutiefst verbunden. Warum nur klingt „no bei dir“ so auffällig nach „nobody“? Ist dies ein parteistrategischer Lapsus? Oder schlicht eine unfreiwillige Selbstbeschreibung?