EU-GipfelDas Ergebnis von vier langen und quälenden Verhandlungstagen

EU-Gipfel / Das Ergebnis von vier langen und quälenden Verhandlungstagen
Angela Merkel, Emmanuel Macron und Spaniens Premierminister Pedro Sanchez (Mitte oben) beraten sich während der Verhandlungen am Montag Foto: Francisco Seco/AFP

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Das Scheitern war nahe, selbst die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zweifelte bis zuletzt an einer Einigung. Doch in der Nacht zu Dienstag, nach vier langen und quälenden Verhandlungstagen, kam der Durchbruch beim Marathon-Gipfel der EU in Brüssel.

Erst einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs unter Leitung von Ratspräsident Charles Michel auf einen Kompromiss bei den Coronahilfen: Die Zuschüsse wurden auf Druck der „sparsamen Vier“ (Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden) abgesenkt, die Kredite erhöht. Dann schwächten die Chefs die geplante Rechtsstaats-Klausel ab und verteilten noch einige Geldgeschenke. Sogar Deutschland, das seit dem 1. Juli den EU-Vorsitz führt, bekam im Morgengrauen noch schnell 1,3 Milliarden Extra-Hilfen für ostdeutsche Regionen und die ländliche Entwicklung.

Am Ende waren alle zufrieden, jeder konnte einen Erfolg für sein Land vorweisen. Frankreichs Staatschefs Emmanuel Macron sprach sogar von einem „historischen Tag für Europa“. Auch Merkel atmete auf. „Das war nicht einfach“, seufzte sie. Für sie zähle aber, „dass wir uns zum Schluss zusammengerauft haben“.

Den Ton gab der Wortführer der „sparsamen Vier“ an, der liberale niederländische Premier Mark Rutte. Er schlug viele Vorteile für sein Land heraus, konnte den neuen Corona-Hilfsfonds jedoch nicht wie geplant zusammenstreichen. Nur die Zuschüsse wurden gekürzt. Zum Sieger erklärte sich auch Ungarns rechtsnationaler Regierungschef Viktor Orban. Er konnte die zunächst geplanten Kürzungen der EU-Hilfen für Ungarn wegen der Verstöße gegen den Rechtsstaat verhindern. Doch das Thema bleibt auf der Tagesordnung, Orban steht unter Druck.

Durchgesetzt hat sich am Ende die Vernunft – ein Scheitern hätte die EU in eine neue Krise gestürzt. Doch im Mittelpunkt der Debatte standen nationale Egoismen und Grabenkämpfe zwischen Nord und Süd, West und Ost – kein gutes Omen für die kommenden Krisenjahre.

Corona-Fonds: Schulden für den „Wiederaufbau“

Es ist ein Novum in der EU-Geschichte: Zum ersten Mal nimmt Brüssel in großem Stil Schulden auf, um einen Corona-Hilfsfonds zu finanzieren. Der neue Sonderfonds mit dem wohlklingenden Titel „Next Generation EU“ soll bis zu 750 Milliarden Euro umfassen und bis 2026 laufen.

Allerdings wird es nur noch 390 Milliarden Euro an (nicht rückzahlbaren) Zuschüssen geben – und nicht 500 Milliarden, wie Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron gefordert hatten. Dies haben die „Sparsamen Vier“ durchgeboxt. Am Gesamtvolumen haben sie aber nicht gerüttelt; 360 Milliarden werden als Kredite vergeben.

Unklar ist, wie viel Geld am Ende in Krisenländern wie Italien oder Spanien ankommt. Der Gipfel hat den Verteilerschlüssel geändert, über 30 Prozent der Mittel wird nun erst 2022 entschieden. Die EU-Kommission will das Geld mit der Gießkanne verteilen; selbst von Corona kaum betroffene Länder wie Polen sollen profitieren. Vorher müssen sie allerdings ein Reformprogramm vorlegen, das den Plänen der Brüsseler Behörde entspricht. Der „Wiederaufbau“ und die „Resilienz“, also Widerstandskraft, werden ebenso gefördert wie Klimaschutz und Digitalisierung. Wenn ein EU-Land Zweifel an den Reformen hat, kann es Einspruch einlegen und die Zahlung stoppen. Auch diese „Notbremse“ haben die Nordländer durchgesetzt.

Die EU plant weit in die Zukunft, trotz Corona. So wurde jetzt schon ein neues Gemeinschaftsbudget für 2021 bis 2027 beschlossen. Es fällt mit insgesamt 1.074 Milliarden Euro niedriger aus als in den letzten sieben Jahren. Auch hier haben sich die „Sparsamen Vier“ durchgesetzt.

Rechtsstaat: Laxe Regeln für Orban & Co.

Die Nettozahler aus dem Norden konnten auch erreichen, dass ihre Beitragsrabatte erhöht werden. Deutschland hat den größten Rabatt in Höhe von 3,67 Milliarden Euro pro Jahr. Österreich profitiert von einer saftigen Erhöhung. Der Nachlass wurde von 237 Millionen auf 565 Millionen Euro angehoben – eine Steigerung um 138 Prozent. Die Rabatte gehen zulasten anderer Nettozahler wie Frankreich, Italien oder Luxemburg. Gerecht ist das nicht, zumal die Nachlässe auch auf den Schuldendienst gewährt werden dürften. Für Frust sorgen auch die beschlossenen Kürzungen bei Gesundheit, Forschung und Klimaschutz. Sie widersprechen dem Ziel, die EU-Ausgaben moderner zu machen.

Von dem Versprechen, die Zahlung von Finanzhilfen künftig zwingend an Demokratie und Rechtsstaat zu binden, ist nicht viel übrig geblieben. Vor allem Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat sich lautstark dagegen gewehrt. Nach unbestätigten Berichten soll Merkel ihm am Rande des EU-Gipfels weit entgegengekommen sein. Orban behauptet sogar, die Kanzlerin habe ein baldiges Ende des laufenden Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn angekündigt.

Merkel streitet das ab. Doch der Gipfelbeschluss zum Rechtsstaat fällt äußerst vage aus. Die EU-Kommission wurde beauftragt, einen neuen „Schutzmechanismus“ auszuarbeiten – das kann dauern. Über mögliche Strafen bei Verstößen sollen dann die EU-Staaten entscheiden. Das Europaparlament hatte den Schutz des Rechtsstaats zu einem zentralen Prüfstein für das neue EU-Budget erklärt. Es muss dem Finanzpaket noch zustimmen; eine erste Debatte ist am morgigen Donnerstag geplant. Ob die Abgeordneten am Ende den Mut haben, „Nein“ zu sagen, bleibt abzuwarten.