DebatteBöser Pazifismus? Ein Friedensaktivist und ein Politikwissenschaftler nehmen Stellung

Debatte / Böser Pazifismus? Ein Friedensaktivist und ein Politikwissenschaftler nehmen Stellung
Viel mehr Teilnehmer als bei den Friedensaktivisten: Demo für die Ukraine am Samstag in Luxemburg-Stadt Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Was ist los mit dem Pazifismus? Wir haben den Politikwissenschaftler Manfred Sapper und Friedensaktivist Raymond Becker um ihre Einschätzungen gebeten.

Die Szene bei einem Vortrag im Rahmen der „Foire des migrations et des cultures“ am Samstag in den Luxexpo-Hallen auf Kirchberg ist bezeichnend. Es geht um die Ukraine und um Russland und damit um den Krieg. Geladen hat die Friedensinitiative „Ad Pacem Servandam“. Gast ihres Gründers und Vorsitzenden Claude Pantaleoni ist der deutsche Politikwissenschaftler und Chefredakteur der Monatszeitschrift Osteuropa, Manfred Sapper. Nach einstündigem Vortrag, in dem der Experte erklärte, warum es Waffenlieferungen des Westens braucht, damit sich die Ukraine gegen eine Zerstörung durch Russland wehren kann, wird Sapper aus dem Publikum wahlweise als „Kriegstreiber“, „Faschist“ und „Rechter“ angegangen. Auch Pantaleoni muss sich Anfeindungen aus dem Publikum erwehren, als er eine Wortmeldung unterbricht.

Einen Tag zuvor, am Freitag, hatte die „Friddensplattform“ nach Luxemburg-Stadt zum Piquet geladen. An der Demonstration der Ukrainerinnen und Ukrainer am Samstag in Luxemburg-Stadt hat die „Friddensplattform“ nicht geschlossen teilgenommen. Nach einem Jahr Krieg waren am Freitag nur rund 40 Teilnehmer bei der Friedenskundgebung erschienen. In Berlin hingegen mobilisierten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer rund 13.000 Menschen gegen Waffenlieferungen. Was ist los mit dem Pazifismus? Wir haben mit Manfred Sapper und Raymond Becker von der „Friddensplattform“ gesprochen. Die Texte sind Zusammenschriften jeweils längerer Gespräche.


Manfred Sapper, Politikwissenschaftler und Chefredakteur der Monatszeitschrift Osteuropa

Jene, die am Samstag in Berlin protestiert haben und das Manifest für Frieden von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer unterschrieben haben, sind keine Pazifisten. Dieses Manifest für den Frieden ist alles – nur kein Beitrag zum Frieden. Ihr gesinnungsethischer Pazifismus ist unfähig, eine ethische Lösung für den Fall einer Verteidigung gegen einen Angriffskrieg zu finden. Dass ich, wie alle anderen, die die Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine befürworten, Kriegstreiber sei, Bellizist, ist Schwachsinn.

Das Problem an dem Manifest für Frieden ist, dass nicht drinsteht, wer der Adressat des Aufrufs sein muss – es ist nicht der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, sondern es muss der russische Präsident Wladimir Putin sein. In dem Aufruf steht auch nicht drin, wer der Täter und wer das Opfer ist. In keinem Satz wird erwähnt, dass Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfallen und Zehntausende Menschen umgebracht, dass es Millionen Vertriebene produziert hat. Dieses Manifest ist kein Beitrag zu Pazifismus oder Frieden oder einem Waffenstillstand.

Manfred Sapper
Manfred Sapper Foto: Wikipedia
Es wird nicht nachgedacht darüber, dass sich die weltpolitischen Bedingungen geändert haben

Es wird nicht nachgedacht darüber, dass sich die weltpolitischen Bedingungen geändert haben. Die Situation, wie sie vielleicht während der Friedensbewegungen der 1980er-Jahre zutraf, gibt es heute unter den veränderten globalen politischen Rahmenbedingungen und anderen politischen Regimen wie jenem in Russland unter Putin einfach nicht mehr. Deshalb kann dieser Pazifismus nicht funktionieren. Sie haben nicht erkannt, dass wenn man Menschenrechte schützen will, unter Umständen dem Aggressor bewaffnet begegnen muss. Ich nenne sie Nationalpazifisten, weil sie keine Pazifisten sind – ihnen fehlt die reflektierte Position, sie haben den Wandel der Zeit schlicht und ergreifend nicht nachvollzogen.

Die Frühjahrsoffensive der Russen sollte die Ukraine abwehren können, um ihre Existenz zu verteidigen und Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Wenn die Ukraine überrannt wird, dann ist in der Hinsicht alles zu spät. Aus Russland kommt alle zwei Tage ein großer, mit Kriegsmaterial vollbeladener Zug in der Ukraine an – damit verschiebt sich, wenn der Westen keine Waffen liefert, die Balance der Kräfte Tag für Tag wieder zu Lasten der Ukraine.

Wenn Russland gewinnt, verschwindet die Ukraine, dann wird ein Großteil annektiert und ein Regime nach Moskauer Vorbild installiert. Das wäre ein Debakel für ganz Europa, weil sich dann herausstellt, dass sich Krieg lohnt – und dieser Krieg darf sich nicht lohnen, sonst ist das ein Modell für weitere Kriege, die Russland gegen Moldawien oder Georgien führen könnte. Das Ziel des Westens muss sein, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann. Das ist, in meinen Augen, die Wiederherstellung des territorialen Status quo vom 23. Februar 2022. Der Westen muss die Verteidigung der Selbstbestimmung und der Souveränität und der Freiheit der Ukraine unterstützen – genau das sind die Kernbegriffe der europäischen Friedensordnung.


Raymond Becker, Friedensaktivist bei der „Friddensplattform“

Am Jahrestag des Krieges wollten wir als „Friddensplattform“ unsere Position klarstellen, die uns bei Pazifisten zwischen Hammer und Amboss bringt. Wir stehen zu den Vereinten Nationen und zu ihrer Charta. Diese Charta gibt Staaten, die völkerrechtswidrig angegriffen werden, das Recht, sich zu verteidigen. Dieses Verteidigungsrecht beinhaltet Hilfe mit Waffen, die eine Verteidigung ermöglichen. Das ist unsere Position. Am Freitag aber haben wir begonnen, klarer zu sagen, dass der Krieg das Problem ist und nicht die Lösung sein kann. Mit diplomatischen Initiativen müssen wir einen Waffenstillstand erreichen – was ein erster Schritt vor eventuellen Verhandlungen sein kann.

Verantwortlich für diesen Krieg ist Wladimir Putin, das ist evident. Und nur Russland kann diesen Krieg, den es bereits verloren hat, mit einem Schlag beenden. Da Putin nicht bereit dazu ist, müssen andere ihn zu Verhandlungen drängen.

Andere Pazifisten werfen uns vor, wenn wir sagen, die Ukraine dürfe nicht verlieren. Wir seien der NATO-Sprache verfallen, heißt es dann. Das stimmt nicht. Es gibt den feinen Unterschied, zu sagen, die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren oder zu sagen, die Ukraine muss den Krieg gewinnen. Wir sind der Meinung, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verlieren darf – und genau das würde passieren, wenn der Westen seine Waffenlieferungen stoppen würde. Das darf nicht sein!

Als ‚Friddensplattform’ befürchten wir, uns mit Waffenlieferungen in eine Eskalationsspirale hineintreiben zu lassen

Trotzdem befürchten wir als „Friddensplattform“, uns mit Waffenlieferungen in eine Eskalationsspirale hineintreiben zu lassen. Waffen wie Kampfjets oder Raketen können einen anderen Dreh in den Verteidigungskrieg der Ukraine bringen. Auch wenn der Krieg auf ukrainischem Territorium stattfindet, besteht die Sorge, dass die Ukrainer mit solchen Waffen Schläge auf russischem Gebiet durchführen könnten – was eine Eskalation bedeuten würde.

Raymond Becker
Raymond Becker Foto: Editpress/Julien Garroy

Momentan erinnert die Front im Osten der Ukraine an Verdun 1915 – ein fürchterlicher Abnutzungskrieg. Verhandlungen bedeuten nicht, dass der letzte Frontverlauf die späteren Grenzziehungen bestimmt. Deswegen bin ich skeptisch, wenn gesagt wird, dass sich die Ukraine vor Verhandlungen auf dem Schlachtfeld erst in eine Position der Stärke bringen muss. Es geht darum, dass dieses Schießen aufhört!
Das Manifest für den Frieden von Wagenknecht und Schwarzer habe ich nicht unterschrieben, weil wir uns in Luxemburg keine deutsche Diskussion aufdrängen lassen sollten. Für mich ist es eine rote Linie, die ich nicht überschreite, wenn gemeinsam mit der extremen Rechten demonstriert wird.

Viele von uns von der „Friddensplattform“ haben damit gerungen, Waffenlieferungen zu akzeptieren. Das waren schwierige Entscheidungen. Genau das halte ich für wichtig in einer Demokratie – dass man zusammen diskutieren kann. Deswegen stört mich die Aggressivität einiger, sobald jemand das Wort „Verhandlungen“ in den Mund nimmt. Dass die Friedensbewegung diffamiert wird, sagt einiges über den Zustand unserer Gesellschaft aus. Vor allem scheinen wir nicht mehr fähig zu sein, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Diese Radikalität heute stört mich– nicht nur in der Frage des Ukraine-Krieges.

Pervers
28. Februar 2023 - 10.56

Erst liefert man Waffen und dann sammelt man Geld für die Opfer.

Jemp
27. Februar 2023 - 20.48

Wann een op dech schéißt, dann hal och den anere Bak dohinner, oder wéi war dat?

Krescht
27. Februar 2023 - 15.22

Wéi wëllen d'Friddensaktivisten den putin dann dozou bewegen, sech op d'Grenzen vu virun 2014 zréck ze zéien? Verhandlunge komme leider eréischt, wann eng Säit verluer huet. A wann een eskaléiert, ass et russland.