GrenzgemeindenVincent Magnus, Bürgermeister von Arlon: „Wenn Luxemburg niest, bekommt Arlon die Grippe“

Grenzgemeinden / Vincent Magnus, Bürgermeister von Arlon: „Wenn Luxemburg niest, bekommt Arlon die Grippe“
Vincent Magnus, Bürgermeister von Arlon: „Wir sind einer vom anderen abhängig: Luxemburg ist abhängig von den Arbeitskräften, wir von den Arbeitsplätzen“ Fotos: Editpress/Hervé Montaigu

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Welche die Herausforderungen und Probleme bringt die direkte Nachbarschaft mit Luxemburg für die Gemeinde Arlon mit sich? Ein Gespräch mit Bürgermeister Vincent Magnus.

Tageblatt: Herr Magnus, wir wollten mit Ihnen über die Auswirkungen der Nachbarschaft zu Luxemburg auf Ihre Gemeinde reden.

Vincent Magnus: Zufälligerweise war ich kürzlich in einer Besprechung, in der es darum ging, das luxemburgische RTL in das Netz des Kabelfernsehen-Anbieters Proximus einzuspeisen.

Es besteht Interesse am luxemburgischen RTL in Arlon?

Ja, immerhin arbeiten 70 Prozent der aktiven Bevölkerung in Luxemburg und die Zahlen steigen weiter. Darüber hinaus stellen wir in den Grundstückakten fest: Es gibt immer mehr Luxemburger, die auch in Arlon wohnen. Mittlerweile sind es 615 Personen.

Der Grund, warum etliche Luxemburger ins nahe Ausland ziehen, sind die für uns günstigeren Immobilienpreise. Wie sieht die diesbezügliche Entwicklung in Arlon aus?

Es ist lange nicht mehr so günstig bei uns und die Preise steigen weiter. Nicht nur wollen mehr Luxemburger hier wohnen, es kommen auch immer mehr Bauträger nach Arlon, um hier zu bauen. Der Immobilienmarkt befindet sich in Arlon nicht in einer Krise, wie es in Luxemburg der Fall ist. Glücklicherweise haben die Wohnungs- und Grundstückspreise noch nicht das luxemburgische Niveau erreicht.

Der Bürgermeister von Arlon, Vincent Magnus
Der Bürgermeister von Arlon, Vincent Magnus Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Wächst Arlon deswegen stärker als andere Gemeinden?

Nein, es gibt Gemeinden, die weiter von der Grenze entfernt sind, aber stärker wachsen. Eine Angestellte, die in Arlon arbeitet, kann praktisch nicht mehr hier wohnen. Wir haben etliche Gemeindeangestellte, die die Gemeinde verlassen haben, um anderswo zu leben, weil die Preise hier zu hoch sind. Um hier etwas zu kaufen, braucht man schon ein luxemburgisches Gehalt.

Die Luxemburger vertreiben also die Arloner?

Nicht nur, es sind ja auch Belgier, die vielleicht mal in Luxemburg wohnten und jetzt hierhin ziehen, um Geld zu sparen. Das Phänomen der Luxemburger, die nach Arlon wohnen kommen, ist noch neu. Auf der Strecke Luxemburg-Brüssel gibt es Gemeinden wie Léglise, wo es eine wahre Bevölkerungsexplosion gibt, weil die Immobilienpreise dort eben noch niedriger als in Arlon sind. Für solch eine kleine Gemeinde ist ein Zuwachs von nur hundert Personen schon enorm.

Wenn Sie nach Luxemburg fahren, was fällt Ihnen im Gegensatz zu Arlon als Erstes auf?

Ich muss dazu sagen, ich habe bis zum Alter von zwölf Jahren in Luxemburg gelebt, mein Vater arbeitete in Luxemburg. Wir wohnten in Belair, in der avenue Gaston Diederich. Ich besuchte die Europaschule, deshalb fühle ich mich in Luxemburg ein bisschen wie zu Hause, sodass mir das Land nicht fremd ist. In Luxemburg zu sein, gehört für viele Arloner zum Alltag. Diese Mischung – hier zu leben und dort zu arbeiten – ist unsere Besonderheit. Das Erste, was auffällt, wenn man die Grenze überquert, sind die Tankstellen: Bei uns gibt es nicht mehr sehr viele. Und in Luxemburg sind die Straßen in einem besseren Zustand als bei uns.

Da wir gerade über die Straßen sprechen: Hat Arlon Probleme mit dem grenzüberschreitenden Verkehr?

Sicher, jeden Tag fahren tausende Belgier nach Luxemburg. Wir haben viel Kontakt mit unseren luxemburgischen Freunden, um diesbezüglich Probleme zu lösen. Da viele Arloner nach Luxemburg mit dem Rad zur Arbeit fahren möchten, gibt es zum Beispiel den Plan einer Fahrradpiste entlang der N4 bis nach Capellen.

Wann soll das Projekt starten?

Das hängt von der Region Wallonien ab, aber im Gemeinderat haben wir unseren Teil schon gutgeheißen. Wir befinden uns auch in Diskussionen mit Steinfort, um unsere beiden Gemeinden mit einer Radpiste entlang der Eisenbahnstrecke zu verbinden.

Momentan fahren die meisten Belgier im Auto nach Luxemburg. Wie sieht es mit Auffangparkplätzen in der Nähe des Arloner Bahnhofs aus?

Das ist ein Problem, es gibt nicht genug.

Mini-Serie Grenzgemeinden

Wie erleben unsere Nachbarn die Nähe zu Luxemburg? Das Tageblatt hat in sechs Gemeinden der Nachbarländer nachgefragt. Jeweils Samstag können Sie das Interview mit einem Bürgermeister aus der Grenzregion lesen.

Warum?

Das sollten Sie die SNCB fragen.

Also kein Problem für die Gemeinde?

Ganz im Gegenteil. Damit die Anwohner noch einen Stellplatz finden, mussten wir in einigen Straßen rund um den Bahnhof dafür sorgen, dass die Leute nicht den ganzen Tag dort parken. Die SNCB hat vorgeschlagen, das Parkhaus beim Kulturzentrum zu nutzen. Aber dort gibt es auch Veranstaltungen, bei denen Parkplätze benötigt werden.

Was schlagen Sie vor?

Wir wollen einen Auffangparkplatz in Viville (Ortschaft zwischen Stockem und Arlon, Anm. d. Red.), dort gibt es einen kleinen Bahnhof. Und dort auf dem Gelände der ehemaligen Werkstätten der SNCB gäbe es Platz für einige Hundert Parkplätze. So könnte man das Zentrum von Arlon entlasten. Von der SNCB verlangen wir Pendlerzüge ab Viville bis nach Luxemburg, ohne dass die Leute umsteigen müssen. Für mich ist das die Lösung des Mobilitätsproblems in Richtung Luxemburg und andersrum.

Was sagen denn die verantwortlichen Stellen in Belgien dazu?

Die sagen, sie wollten wohl Parkplätze bauen, aber man bräuchte ja auch Züge. Ja, klar, man braucht Züge. Es gibt angeblich Vorschläge von luxemburgischer Seite, Züge der CFL bis nach Viville fahren zu lassen. Die zweite Forderung von uns wäre in dem Fall, dass auch für diese Strecke – so wie es in Luxemburg – der Transport gratis ist.

In welchem Stadium befinden sich diesbezügliche Pläne?

Ich bin seit zwölf Jahren Bürgermeister, seit etwa zehn Jahren wird darüber diskutiert. Bei der SNCB sagt man uns stets, es werde im nächsten „plan transport“ berücksichtigt, immer wieder der nächste. Die „écolos“ waren auf allen Machtebenen für die Mobilität zuständig und nichts hat sich getan. Sie haben sehr schöne Programme, doch in der Praxis sieht man nichts davon. So, das war mein kleiner politischer Seitenhieb. (lacht)

Ist es denn eher die belgische Regierung oder die SNCB, die das Projekt bremst?

Die Regierung gibt der SNCB genügend Geld, da hat sie wohl auch ihr Wort mitzureden. Es ist nicht an mir zu sagen, wer die Verantwortung trägt, als Bürgermeister stelle ich nur das Resultat fest. Jeder sagt, wir müssen den öffentlichen Transport fördern, doch nichts passiert.

Die Nähe zu Luxemburg hat demnach ihre Schattenseiten.

Wenn Luxemburg niest, bekommt Arlon einen Schnupfen oder gar die Grippe. Wenn es je eine größere Krise in Luxemburg gibt, dann wird es in Arlon eine schreckliche Krise geben. Wir sind einer vom anderen abhängig. Luxemburg ist abhängig von den Arbeitskräften, wir von den Arbeitsplätzen.

Fonds des frontaliers luxembourgeois

2023 erhielten 258 Gemeinden insgesamt 50,4 Millionen Euro aus Luxemburg als Ausgleich für Grenzgänger, da diese keine Steuern in Belgien zahlen. (Quelle: www.uvcw.be/finances/etudes/art-2774)
Arlon erhielt 2022 rund 8,65 Millionen Euro, aber auch entfernte Gemeinden erhielten Geld: Brügge zum Beispiel bekam 2022 immerhin noch 44.101 Euro. (Quelle: Antwort auf eine parlamentarische Frage in paperjam.lu/article/voici-ce-que-percevront-commun)

Belastet diese Nähe Ihre Einrichtungen, wie zum Beispiel Schulen?

Dank „Fonds des frontaliers luxembourgeois“ erhalten belgische Gemeinden ja Ausgleichszahlungen. Was wir als problematisch ansehen, ist, dass entfernte Gemeinden in Flandern und auch Brüssel Geld aus dem Fonds erhalten. Dort müssen aber wegen der Grenzgänger keine großen Infrastrukturarbeiten unternommen werden, während es bei uns zum Beispiel in den Schulen sehr viele Kinder von Grenzgängern gibt.

Abschließend noch eine Frage zu unserer gemeinsamen Vergangenheit: Gibt es noch ein „luxemburgisches Gemeinschaftsgefühl“ in Arlon und der Region?

Es gibt nur noch wenige Menschen hier, die Luxemburgisch reden. Aber bei einer Liveübertragung des Fußballspiels Belgien gegen Frankreich im Zentrum waren fast genauso viele Luxemburger wie Belgier anwesend. Wir fühlen uns den Luxemburgern noch mehr verbunden als den Franzosen, mit denen wir die Sprache teilen. Aber leider sind wir ja seit 1839 getrennt.

Gehören Sie zu jenen, die meinen, die Provinz Luxemburg soll zurück ins Großherzogtum?

(lacht) Wenn Luxemburg möchte, kann es ja ein Übernahmeangebot machen, aber es soll mit Arlon anfangen.

Ungleiches Abhängigkeitsverhältnis: Über die Beziehungen der Grenzgemeinden zu Luxemburg

Pin Mac
19. Mai 2024 - 7.43

Grenzregioun = Slums vu Lstzebuerg.

De Belsch
18. Mai 2024 - 23.44

Keine Angst Arlon, Arbeitsplätze entstehen schneller als Arbeitskräfte. Wenn Luxemburg niest, muss man nur den richtigen Riecher haben.