GeschichteAls Hitlers Geburtstag zum ersten Mal in Luxemburg gefeiert wurde

Geschichte / Als Hitlers Geburtstag zum ersten Mal in Luxemburg gefeiert wurde
20. April 1941: Aufmarsch der „Luxemburger Volksjugend“ (LVJ) in Hitler-Jugend-Uniformen. Dies ist möglicherweise die letzte Aufnahme der intakten Synagoge. Foto: Tony Krier / Copyright: Photothèque de la Ville de Luxembourg

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Am 20. April 1941 wurde zum ersten Mal Hitlers Geburtstag in Luxemburg durch die Besatzungsmacht gefeiert. Der Chef der deutschen Zivilverwaltung (CdZ), Gauleiter Gustav Simon, machte daraus ein Fest für die „Volksjugend“. An diesem Tag entstand die möglicherweise letzte Fotografie der intakten Synagoge. In diesem Beitrag wird versucht, dieses Zeitdokument in seinen historischen Entstehungskontext zu stellen. 

Luxemburger Volksjugend (VJ)

Um besser zu verstehen, was im Frühjahr 1941 auf dem Gebiet der nazi-deutschen Jugendpolitik in Luxemburg passierte, müssen wir einige Jahre zurückgehen, bis in die Vorkriegsperiode. Obwohl nach Hitlers Machtergreifung mehrere luxemburgische Gruppen entstanden, die erfolglos versuchten, faschistisches, völkisch-nationales und antisemitisches Gedankengut zu verbreiten, gab es doch nur eine Organisation, die von Anfang an als „Nazi-Organisation“ bezeichnet werden kann: die „Luxemburger Volksjugend“ (LVJ).[1]

Gegründet wurde die  LVJ offiziell einige Tage nach Beendigung des „Reichsparteitages“ der NSDAP von 1936, der vom 8. bis 14. September in Nürnberg stattfand.[2] Mindestens vier junge Luxemburger Hitler-Verehrer hatten auf Einladung der deutschen Hitlerjugend (HJ) an jenem Parteitag teilgenommen. Es handelte sich dabei um den Limpertsberger Albert Kreins, die Brüder Ferdinand und Albert Colling aus Merl sowie Adolphe Winandy aus Berschbach-Mersch. „Stark beeindruckt von dem grandiosen Zeremoniell und der wagnerianischen Inszenierung dieser ‚Show’, die die Deutschen mit bemerkenswertem theatralischem Gespür inszeniert hatten, waren unsere angehenden Nazis nun entschlossen, nationalsozialistische Ideen in Luxemburg zum Tragen zu bringen“, schreibt Paul Cerf.[3]

Die vier Nürnberg-Teilnehmer sammelten noch 13 weitere Jung-Nazis aus Luxemburg um sich und gründeten am 18. September 1936[4] die LVJ nach dem Vorbild der HJ. Wie bei der HJ gehörten ideologische Indoktrination, körperliche Ertüchtigung und paramilitärisches Training zum „Ausbildungsprogramm“. In Luxemburg kamen noch vor dem deutschen Einmarsch Spionagetätigkeiten dazu. Auch diese Organisation hatte wenig Erfolg bei den autochthonen Luxemburgern. In der ersten Phase sollen Cerf zufolge hauptsächlich deutsche Staatsbürger, die in Luxemburg wohnten, dem Verein beigetreten sein.[5]

Reichsparteitag der NSDAP 1936: Aufmarsch der HJ im Stadion in Nürnberg. An dieser Nazi-Veranstaltung nahmen auch die Begründer der „Luxemburger Volksjugend“ teil.
Reichsparteitag der NSDAP 1936: Aufmarsch der HJ im Stadion in Nürnberg. An dieser Nazi-Veranstaltung nahmen auch die Begründer der „Luxemburger Volksjugend“ teil. Foto: Österreichische Nationalbibliothek / Public Domain

Heimholungsversuche

Bis zum deutschen Einmarsch am 10. Mai 1940 blieb die LVJ eine völlig bedeutungslose Jugendorganisation in Luxemburg. Dies sollte sich allerdings ändern, nachdem der Gauleiter der NSDAP Koblenz-Trier, Gustav Simon, durch Führererlass vom 2. August 1940 zum Chef der Zivilverwaltung des deutsch besetzten Luxemburg ernannt wurde. Simon war ein bedingungsloser Gefolgsmann von Adolf Hitler, „der sowohl seine Untergebenen wie auch die ihm anvertraute Bevölkerung rücksichtslos für die Ziele des Nationalsozialismus zu mobilisieren versuchte“.[6]

Simon sah seine erste Aufgabe darin, die Luxemburger in die große deutsche Volksgemeinschaft rückzuführen, das heißt alle „fremden“ kulturellen Einflüsse, insbesondere französische, zu beseitigen. Dieser Vorgang wurde „Entwelschung“ genannt. Danach würde ein reiner Volksdeutscher übrig bleiben, da nach Nazi-Ideologie die Luxemburger sowohl von ihrer Geschichte als auch vom „Blut“ her „Deutsche“ waren.

Was im Ersten Weltkrieg nicht gelang, nämlich Luxemburg nach dem angestrebten deutschen Sieg zu einem deutschen Bundesstaat und folglich aus den angeblich „deutschstämmigen“ Luxemburgern deutsche Staatsbürger zu machen[7], sollte nun zielstrebig in Form einer Annexion in Angriff genommen werden.

Bereits im Gründungsprogramm der NSDAP vom 24. Februar 1920 war das „Blut“ als Grundlage für die Volkszugehörigkeit festgeschrieben worden.[8] Da in der NS-Rassentheorie die Luxemburger nun einmal „deutschen Blutes“ waren, also zu der imaginierten deutsch-arischen Herrenrasse gehörten, war ihre staatliche Abtrennung vom „deutschen Volkskörper“ eine historisch wie ethnisch-biologische Abwegigkeit, die korrigiert werden musste. Allerdings waren diese Ansichten über die Luxemburger keine spezifisch nationalsozialistischen. Die Luxemburger wurden auch vor Hitler als eine „Bevölkerung reindeutschen Stammes“ betrachtet.[9]

20. April 1941: Die „Luxemburger Volksjugend“ marschiert in Hitler-Jugend-Uniformen vom Limpertsberg an der Synagoge vorbei (Neg. 20) bis zum Arbed-Gebäude, dem Hauptsitz des Gauleiters
20. April 1941: Die „Luxemburger Volksjugend“ marschiert in Hitler-Jugend-Uniformen vom Limpertsberg an der Synagoge vorbei (Neg. 20) bis zum Arbed-Gebäude, dem Hauptsitz des Gauleiters Foto: Tony Krier / Copyright: Photothèque de la Ville de Luxembourg

Kinderhirn als ideologischer Nährboden

In allen totalitären Systemen – ob sie nun politischer oder religiöser Natur sind – gelten die Gehirne der Kinder und Jugendlichen als idealer „Nährboden“, auf dem der „neue Mensch“ gezüchtet werden kann. Dies hatte Hitler schon ganz früh erkannt. Auch wenn die gesamte Gesellschaft durch dauerhafte Propaganda für den Nationalsozialismus und seine Ziele gewonnen werden sollte, so war sein Augenmerk doch in ganz besonderem Maße auf die Jugend gerichtet. Die HJ wurde als „nationalsozialistische Jugendbewegung“ bereits auf dem zweiten Reichsparteitag der NSDAP im Juli 1926 in Weimar ins Leben gerufen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden alle anderen Jugendverbände verboten und die HJ wurde zur Staatsjugend umgewandelt.

Über die Schulen lief im Dritten Reich die erste Phase der Indoktrinierung. In der HJ und dem ihr angegliederten Bund Deutscher Mädel (BDM) wurde angestrebt, die jungen Deutschen dann ab dem Alter von 14 Jahren zu militarisierten Nazis und bedingungslosen Führer-Anhängern zu formen. Aus einer anfänglich freiwilligen Mitgliedschaft wurde in Deutschland ab Dezember 1936 eine Zwangsmitgliedschaft.[10] Mit dem „Gesetz über die Hitlerjugend“ vom 1. Dezember 1936 wurde die HJ zum dritten Erziehungsfaktor neben Elternhaus und Schule erklärt.[11]

Auch im besetzten Luxemburg spielte die Schule eine besondere Rolle bei der angestrebten Gleichschaltung der Luxemburger und ihrer „Rückführung“ in die deutsche Volksgemeinschaft. „Dazu war es unerlässlich, dass die Erziehung der Jugend im nationalsozialistischen Sinne ausgerichtet war, d.h. autoritär und völkisch“, schreibt Paul Dostert in seiner Doktorarbeit.[12] 

Da es in Luxemburg bereits seit 1936 eine Jugendorganisation nach HJ-Vorbild gab, ließ Simon diese zunächst als „Luxemburger Volksjugend“ bestehen und setzte sie für die Politisierung der Schule ein. Dostert schreibt: „Wie im Reich hielten auch in Luxemburg mit dem ersten Schultag unter der nationalsozialistischen Herrschaft die Uniformen und Abzeichen der LVJ, später dann der HJ, ihren Einzug in die Schulen. Die Professoren wurden aufgefordert, für den Eintritt in die LVJ zu werben“. [13]

Auch wenn diese Aufforderung Dostert zufolge in vielen Fällen sabotiert wurde, so konnte man trotzdem am 26. Februar 1941 im gleichgeschalteten Escher Tageblatt auf Seite 3 unter dem Titel „Hitler-Jugend-Fahne“ lesen: „Am morgigen Donnerstag um 16 Uhr findet im Echternacher Gymnasium eine feierliche Flaggenübergabe an die Schülerschaft des Gymnasiums statt, die seit dem 17. Februar vollzählich [sic] der „Luxemburger Volksjugend“ angehört.“[14] Dies soll die erste Schule in Luxemburg gewesen sein, der diese Fahne verliehen wurde.

Die Synagoge wurde von August bis Oktober 1941 auf Anordnung der Besatzungsmacht durch die Baufirma Lucius Stein um Stein abgebaut
Die Synagoge wurde von August bis Oktober 1941 auf Anordnung der Besatzungsmacht durch die Baufirma Lucius Stein um Stein abgebaut Foto: Tony Krier, 23.8.1941 / Copyright Photothèque de la Ville de Luxembourg

Große Anstrengungen wurden durch die deutsche Zivilverwaltung unternommen, um die LVJ zur mitgliederstärksten und schließlich alleinigen Jugendorganisation Luxemburgs aufzubauen und auf den Stand der deutschen HJ zu bringen. Die Führer der LVJ wurden regelmäßig zur Schulung nach Deutschland entsandt. So wurde im Escher Tageblatt am 28. Januar 1941 auf Seite 3 berichtet, dass 50 LVJ-Führer in der „Gebietsführerschule ‚Erich Niejahr‘“ in Hermeskeil vom 27. Januar bis 10. Februar an einem „2. Sonderlehrgang“ teilnahmen. „In diesen Sonderlehrgängen wird die erste Grundlage für Heimabendgestaltung, Singen, Weltanschauung, Ordnungsübungen, Kleinkaliberschießen und Geländesport gelegt, so dass in kürzester Zeit die Führerschaft der LVJ auf die gleiche Höhe gebracht wird, wie die Kameraden im Reich“, kann man lesen.[15]

Hierzu sei bemerkt, dass unter dem Begriff „Weltanschauung“ ideologische Indoktrination zu verstehen war. In diesen Kursen wurde den Teilnehmern die rassenbasierte, inegalitäre und antidemokratische Ideologie des Nationalsozialismus eingehämmert, in deren Zentrum die Glorifizierung der deutsch-arischen „Herrenrasse“ stand, und als Gegensatz dazu, die Minderwertigkeit und angebliche Gefährlichkeit der jüdischen „Untermenschen“. In allen Strukturen des NS-Staates spielte die „weltanschauliche Schulung“ eine zentrale Rolle, sodass nach dem Krieg niemand, der Teil einer NS-Organisation war, glaubhaft vermitteln konnte, er habe vom allgegenwärtigen Hass auf die Juden und der Notwendigkeit ihrer „Ausschaltung“ nichts gewusst.

Aufruf von René Deltgen an die Luxemburger Jugend
Aufruf von René Deltgen an die Luxemburger Jugend Foto: BNL – Fonds luxembourgeois (ET, 20.3.1941)

René Deltgen für Propaganda eingesetzt

Im Vorfeld einer groß angelegten Rekrutierungsaktion, die am 15. März 1941 begann[16], wurden auch in Luxemburg Führertagungen der LVJ organisiert. In der Tageblatt-Nummer op. cit. wurde beispielsweise berichtet, dass eine solche Führertagung in Esch stattfand. Die „Führer und Führerinnen“ sollten unter anderen auf die kommende Arbeit ausgerichtet werden, „wenn der in nächster Zeit zu erwartende Ansturm von Jungen und Mädeln einsetzt, die sich der LVJ anschließen wollen“.[17]

Solche Tagungen fanden auch alljährlich in Verbindung mit der „Herbert-Norkus-Feier“ statt. Norkus war ein Hitlerjunge, der am 24. Januar 1932 durch junge Kommunisten verletzt wurde und an den erlittenen Verletzungen verstarb. „Das jüngste Opfer des Straßenkampfes auf nationalsozialistischer Seite wird in kürzester Zeit zum Märtyrer der Hitler-Jugend stilisiert und ein Mythos“, schreibt die Berliner Zeitung am 24. Januar 2007 anlässlich des 75. Todestages des Gymnasiasten Herbert Norkus.[18] Dieser galt fortan als „Blutzeuge“ der Nazi-Jugendbewegung und sein Todestag wurde zum „heiligsten“ Tag der HJ, an dem aller Opfer der HJ gedacht wurde, auch vielerorts im besetzten Luxemburg. Im Deutschen Reich waren zahlreiche Schulen und Straßen nach Norkus benannt, Letzteres auch im besetzten Luxemburg, beispielsweise in Düdelingen, Niederkorn und Petingen. Besonders im Januar 1941 wurde diese Veranstaltung für Propaganda- und Werbezwecke für den Beitritt zur LVJ genutzt.  

Sogar der „Staatsschauspieler“ des Dritten Reiches, der „Escher Jong“ René Deltgen, wurde für diese Propaganda eingesetzt. In der Tageblatt-Nummer vom 20. März 1941 erschien ein von ihm gezeichneter glühender Appell an die Luxemburger Jugend „geschlossen in die Luxemburger Volksjugend“ einzutreten. Er selbst bedauere „lebhaft“, dass er 1933 „als die Ideen der nationalsozialistischen Jugenderziehung mit Begeisterung und leidenschaftlicher Anteilnahme von der deutschen Jugend begrüßt wurden […] nicht 15 Jahre jünger war, um aktiv an dieser umwälzenden kräfteschöpfenden Erziehung teilnehmen zu können“, soll er geschrieben haben.[19]

Nach dem Krieg hat Deltgen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, das wegen Kollaboration mit dem NS-Regime gegen ihn geführt wurde, zwar zugegeben, den Artikel geschrieben zu haben, „aber nicht in der Form, wie er von den Zeitungen veröffentlicht wurde“. In diesem Zusammenhang brachte er die Wehrpflicht mit ins Spiel und soll gesagt haben, er würde niemals billigen, dass „Kinder […] sich der Wehrmacht entziehen dürften und dadurch Vater und Mutter durch Deportation ins Unglück stürzen.“[20] Deltgens Erklärungen sind nicht sehr glaubwürdig, da zu diesem Zeitpunkt in Luxemburg die Wehrpflicht noch gar nicht eingeführt worden war und deshalb sein Aufruf an die Luxemburger Jugend im März 1941 einen anderen Hintergrund haben musste.   

Am 22. März 1941 meldete das Escher Tageblatt, in der ersten Woche der „großen Werbeaktion“ seien bereits 1750 Neuanmeldungen bei der LVJ eingegangen und mit 7500 Mitgliedern sei die LVJ nun die stärkste Jugendorganisation, „die bisher überhaupt in Luxemburg bestanden habe“. Es war geplant, die Aktion bis Ende März 1941 abzuschließen.[21]    

20. April 1941: Gauleiter Simon feiert Hitlers Geburtstag mit der „Luxemburger Volksjugend“ in der Limpertsberger Ausstellungshalle
20. April 1941: Gauleiter Simon feiert Hitlers Geburtstag mit der „Luxemburger Volksjugend“ in der Limpertsberger Ausstellungshalle Foto: BNL – Fonds luxembourgeois (LW, 21.4.1941)

Hitlers Geburtstag als Fest der Jugend inszeniert

Der erste Höhepunkt des Aufbaus der LVJ und gleichzeitig der De-facto-Abschluss der großangelegten Werbeaktion für die LVJ fand am 20. April 1941 statt. Dies war das erste Mal, dass in Luxemburg Hitlers Geburtstag offiziell gefeiert wurde und die Feier stand ganz im Zeichen der sogenannten Volksjugend.   

Am Montag, dem 21. April 1941 berichtete das Luxemburger Wort (LW) auf der Titelseite wie folgt von diesem Ereignis: „Mittelpunkt und Höhepunkt des ersten Führer-Geburtstages, den das deutsche Luxemburg in der Geborgenheit des Schutzes Großdeutschlands festlich im reichen Schmuck der Fahnen des nationalsozialistischen Reiches beging, war die ausgezeichnete erste Großkundgebung der Luxemburger Volksjugend, in der Gauleiter Gustav Simon erstmalig vor der Jugend Luxemburgs das Wort ergriff, die mit rund viertausend Jungen und Mädeln, in schmucker Uniform aus dem ganzen Lande zusammengeströmt, in der würdig ausgestatteten Ausstellungshalle angetreten war.“[22]

Man erfährt, dass der HJ-Gebietsführer Rolf Karbach[23] dem Gauleiter „als Ergebnis der Werbeaktion schon fast zehntausend Mitglieder der Luxemburger Volksjugend melden konnte“ und stellt somit fest, dass die Werbeanstrengungen auch nach dem 31. März weitergingen, allerdings mit scheinbar mäßigem Erfolg. Man erfährt auch, dass es des Gauleiters gestelltes Ziel sei, dass am „Geburtstag des Führers 1942“ die „ganze Jugend Luxemburgs“ geschlossen unter den Fahnen der Jugend Adolf Hitlers marschiere, in anderen Worten, dass bis zu dem Zeitpunkt die LVJ in der HJ aufgegangen sei. Daraufhin habe Karbach „im Namen der Jungen und Mädel das Gelöbnis unwandelbarer Treue zum Führer“ abgelegt. Wenn man sich die Bilder auf Seite 3 des LW ansieht, dann stellt man fest, dass die sogenannte Luxemburger Volksjugend an dem Tag bereits in den Uniformen der männlichen HJ und des weiblichen BDM erschienen waren (s. Abb.).

Am 20. April 1941 war auch der Luxemburger Fotograf Tony Krier bei der Veranstaltung anwesend. Er machte allerdings nur Bilder im Außenbereich. Auch auf Kriers Fotografien sieht man die „Jugend Luxemburgs“ in HJ-Uniformen posieren. In der hauptstädtischen Fotothek ist Kriers Film mit 36 Negativen erhalten. Es scheint so gewesen zu sein, dass die Luxemburger Volksjugend nach der Limpertsberger Saalveranstaltung in HJ- und BDM-Uniformen bis zum Hauptsitz des Chefs der Zivilverwaltung, dem Arbed-Gebäude, marschierte.

Bei diesem Aufmarsch entstand das bekannte Foto, auf dem man sieht, wie junge uniformierte Männer mit Fahnen von der rue Aldringen kommend an der früheren Synagoge vorbei in die rue Notre-Dame einbiegen. Auf Kriers Film trägt das diesbezügliche Negativ die Nummer 20 (s. Abb.).           

Übernahme der „Luxemburger Volksjugend“ in die Hitler-Jugend am 1. Juni 1941 auf dem Knuedler
Übernahme der „Luxemburger Volksjugend“ in die Hitler-Jugend am 1. Juni 1941 auf dem Knuedler Foto: BNL – Fonds luxembourgeois (LW, 3.6.1941)

Aus LVJ wird HJ

Nach diesem Treuebekenntnis zu Volk, Reich und Führer konnte der offiziellen Überführung der „Luxemburger Volksjugend“ in „Hitler-Jugend“ nichts mehr im Wege stehen. Diese feierliche Übernahme vollzog sich am Pfingstsonntag, dem 1. Juni 1941, auf dem Wilhelmplatz (place Guillaume) und war sowohl Höhepunkt als auch Endpunkt der LVJ.

Zu diesem Anlass war extra der „Reichsjugendführer“ Axmann mit der Herbert-Norkus-Fahne aus Berlin angereist. Die gleichgeschalteten Zeitungen meldeten wiederum 4.000 anwesende Jugendliche, allerdings war nun die Rede von 13.000 Mitgliedern der LVJ, die an jenem Tag in die „große Gemeinschaft der Hitlerjugend“ aufgenommen worden seien. „Zum Zeichen ihrer Verpflichtung weihte der Reichsjugendführer 70 neue Gefolgschaften durch Berühren mit der Herbert-Norkus-Fahne, die zu diesem Zweck durch eine Fahnenabordnung von Berlin nach Luxemburg gebracht worden ist, wo die Jugend sie in feierlicher Weise am Bahnhof in Empfang nahm“, konnte man am 3. Juni 1941 im Escher Tageblatt lesen.[24]

Da die Werbekampagne offensichtlich nicht den gewünschten Erfolg bei der eher nazi-resistenten Luxemburger Jugend gehabt hat, wurde nach der offiziellen Überführung der LVJ in die HJ der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft bald ein Ende gesetzt. „Mit dem Beginn des Schuljahres 1941/42 wurde die Mitgliedschaft in der HJ für alle Schüler und Schülerinnen Voraussetzung zum Verbleib an der Schule und zur Zulassung zum Abitur“, schreibt Dostert.[25] Dies betraf allerdings nicht nur das Abitur. Die Zulassung zu allen Schulabschlüssen war ab diesem Zeitpunkt im besetzten Luxemburg von der Mitgliedschaft in der HJ abhängig. Außerdem mussten die Kinder von Beamten Mitglied in der HJ sein, wenn der Vater seinen Arbeitsplatz behalten wollte.[26]

Schlussbetrachtungen

Am Tag, an dem Hitlers Geburtstag zum ersten Mal im besetzten Luxemburg gefeiert wurde, am 20. April 1941, ist möglicherweise die letzte Fotografie der intakten Synagoge der Stadt Luxemburg entstanden. Das Bild ist Teil einer Fotoreportage des Fotografen Tony Krier, die aus 36 Bildern besteht. Es ist ein Zeitdokument, dessen Bedeutung in seiner Symbolkraft liegt. Mitglieder einer judenfeindlichen Nazi-Organisation marschieren mit der Hakenkreuzfahne an der hauptstädtischen Synagoge vorbei. Ob sie nun zufällig vom Limpertsberg kommend diesen Weg auf ihrem Marsch zum Hauptsitz des Chefs der deutschen Zivilverwaltung gewählt haben oder absichtlich, um die jüdische Gemeinschaft einzuschüchtern, und ob der Fotograf sich zufällig so positioniert hat, dass das Bild in dieser Form entstehen konnte, kann heute nicht mehr geklärt werden.

Wichtig ist, dass es diese für Luxemburg wohl einzigartige Fotografie gibt, auf der Nazisymbolik und jüdische Kultur – die Synagoge, das religiöse und kulturelle Gemeinschaftshaus der Juden – verknüpft sind. Die Juden wurden immerhin von den Nationalsozialisten zum Erzfeind der deutsch-arischen Volksgemeinschaft stilisiert, zu der aus Naziperspektive die Luxemburger gehörten. Kurz nachdem das Bild aufgenommen wurde, ist die Synagoge in Folge eines Gewaltakts, ausgeführt am 9. Mai 1941 vom Stoßtrupp der luxemburgischen Nazi-Partei „Volksdeutsche Bewegung“ (VdB), geschlossen worden. Die Besatzungsmacht ließ nun die Synagoge abreißen und machte damit deutlich, dass es in einer arischen Gesellschaft keinen Platz für Juden geben konnte.          

Die Abrissarbeiten der Synagoge begannen im August 1941. Auf einer Fotografie von Tony Krier datiert auf den 23. August 1941 ist bereits die große Kuppel abgetragen und auf einem Bild vom 12. September 1941 kann man sehen, dass das Gebäude bereits zur Hälfte zerstört worden war.[27]

Genau sechs Monate nachdem Tony Krier das bekannte Synagogenbild aufgenommen hatte, am 20. Oktober 1941, teilte der Oberbürgermeister der Stadt Luxemburg dem Gauleiter mit, die Abbrucharbeiten der Synagoge seien „bis auf die Abfuhr des anfallenden Schuttes und der beim Abbruch gewonnenen Steine“ zum größten Teil vollendet.[28] Das jüdische Leben Luxemburgs war damit durch Nazi-Deutschland de facto ausgelöscht worden. Auf die Zerstörung der Synagoge sollte bald die physische Vernichtung der jüdischen Menschen folgen. Die erste Deportation ins besetzte Polen – dort, wo schließlich die industrielle Vernichtung der Juden zu einem großen Teil ablaufen sollte – hatte den Luxemburger Hauptbahnhof bereits drei Tage vor dem Brief des Oberbürgermeisters verlassen. 


[1] Cerf, Paul: De l’épuration au Grand-Duché de Luxembourg après la Seconde Guerre mondiale, Luxembourg 1980, S. 19

[2] Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, NSDAP, wurde am 24. Februar 1920 als Folgepartei der Deutschen Arbeiterpartei aufgrund eines 25-Punkte-Programms ins Leben gerufen. Die Partei zeichnete sich von Anfang an durch völkischen Nationalradikalismus, virulente Judenfeindschaft sowie offene Ablehnung der Demokratie aus. Als die Nazis an die Macht kamen, bestimmte Hitler Nürnberg zur „Stadt der Reichsparteitage“. Vom 8.-14.9.1936 fand dort der „Reichsparteitag der Ehre“ statt.      

[3] Cerf, S. 56.; aus dem Französischen übersetzt v. Verfasser.

[4] Ebd.

[5] Cerf, S. 56. Bemerkung: Anlässlich der Volkszählung vom 31.12.1935 wurden 16.815 deutsche Einwohner gezählt. Damit machten die Deutschen fast die Hälfte (43,82%) aller Ausländer Luxemburgs aus. Vgl. Statistiques historiques 1839-1989, Statec, gek. Link: https://bit.ly/3hTMf8a  

[6] Nolzen, Armin: Gustav Simon. Gauleiter der NSDAP im Gau Koblenz-Trier (1900-1945). In: Portal Rheinische Geschichte, gek. Link: https://bit.ly/3G2dDce

[7] Vgl.: Septemberprogramm von Reichskanzler Bethmann-Hollweg v. 9.9.1914, gek. Link: https://bit.ly/3FZdBBN

[8] Vgl.: Das 25-Punkte-Programm der NSDAP v. 24.2.1920, Punkt 4, gek. Link: https://bit.ly/3VoUerh

[9] Hoeniger, Robert: Das Deutschtum im Ausland vor dem Weltkrieg, 2. Aufl., Wiesbaden 1918, S.15-16, gek. Link: https://bit.ly/3wkqcub

[10] Vgl.: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns-organisationen/hitler-jugend.html

[11] Vgl.: § 2 des Gesetzes über die Hitlerjugend, gek. Link: https://bit.ly/3Z2a7qW

[12] Dostert, Paul: Luxemburg zwischen Selbstbehauptung und nationaler Selbstaufgabe. Die deutsche Besatzungspolitik und die Volksdeutsche Bewegung 1940-1945, Luxembourg 1985, S. 142

[13] Dostert, S. 148

[14] www.eluxemburgensia.lu

[15] Ebd.

[16] Escher Tageblatt, 15.3.1941, S. 3, www.eluxemburgensia.lu

[17] Escher Tageblatt, 28.1.1941, S. 3, www.eluxemburgensia.lu

[18] www.berliner-zeitung.de: gek. Link: https://bit.ly/3GmWwD3

[19] Escher Tageblatt, 20.3.1941, S. 3, www.eluxemburgensia.lu

[20] „Der Staatsschauspieler René Deltgen vor dem Spezialgericht“, in: Escher Tageblatt, 30.11.1945, S. 2, www.eluxemburgensia.lu

[21] www.eluxemburgensia.lu

[22] Luxemburger Wort, 21.4.1941, S1, www.eluxemburgensia.lu

[23] Karbach war Gebietsführer der Hitler-Jugend im NSDAP-Gau Moselland, zu dem auch das besetzte Luxemburg gehörte. Die Gauhauptstadt war Koblenz.

[24] Escher Tageblatt, 3.6.1941, S. 2, www.eluxemburgensia.lu

[25] Dostert, S. 148

[26] Durchführungsbestimmungen der Verordnung vom 31.3.1941 über Maßnahmen auf dem Gebiete des Beamtenrechts. Ab dem 1.6.1941 hatte die „Nichtzugehörigkeit der Kinder der Beamten zur HJ“ (Ziffer 6 der Bestimmungen) „in jedem Fall eine Entlassung nach sich zu ziehen“. In: Dostert op. cit. S. 86 sowie Fußnote 95 S. 79.

[27] Alle Fotos befinden sich im Fonds „Tony Krier 1941“ in der Photothèque de la Ville de Luxembourg

[28] ANLux, CdZ-A-2305

Robert Hottua
8. Januar 2023 - 22.31

Guten Tag Herr Lorang, der Reformer der luxemburgischen Psychiatrie, Herr Prof. Heinz HÄFNER, hat 2005 im "Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique" in Ettelbrück auf die Schrift des Psychiaters Alfred HOCHE und des Staatsrechtlers Karl BINDING hingewiesen. Ihr Titel: Die Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. Jahr der Veröffentlichung: 1920. Der unheilvolle Inhalt: Ja, die "lebensunwerte, kranke, alte, entschlußschwache" Bevölkerung muss für die Aufrechterhaltung der "kraftvollen, blutgesunden Volksgesundheit" (qualvoll) getötet werden. 1921 erschien das Lehrbuch "Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene" der Mediziner Erwin BAUR, Eugen FISCHER und Fritz LENZ. Es war ein nach den Angaben von Adolf H. in seinem "Mein Kampf" von ihm intensiv gelesenes Buch während seines Gefängnisaufenthaltes 1923-1924. Dieses medizinische Lehrbuch hatte ebenfalls eine breite brandstiftende Wirkung für die Befürwortung einer biologischen Zwangsregulierung der Bevölkerungspolitik. Nach 1933 wurde die Schrift als die "wissenschaftliche" Grundlage der von den Nationalsozialisten betriebenen terroristischen rassenhygienischen Politik angepriesen. Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14.07.1933 stellte das erste von den Nationalsozialisten erlassene rassenhygienische Gesetz dar. Es sah die Zwangsunfruchtbarmachung von Menschen vor, die an psychiatrischen oder neurologischen Leiden erkrankt waren. In den Folgejahren gerieten immer mehr von den Nazis als "erbbiologisch wertlos" und "nutzlose Esser" bezeichneten Menschen(gruppen) unter die Verfügbarkeit der ausmerzenden NS-Euthanasie. Die Nazis betrieben nicht nur eine "Endlösung der Judenfrage", sondern auch eine "Endlösung der sozialen Frage". Alle katholischen LuxemburgerInnen waren seit 1933 wegen der bedinungslosen Befürwortung des Nationalsozialismus im päpstlichen "Luxemburger Wort" verpflichtet, tatkräftig an diesen Endlösungen als denunziatorische, durch katholische Nächstenliebe motivierte ErbgesundheitspolizistInnen mitzuwirken. Wer sich weigerte, kam nach seinem Tod wegen Opposition gegen den unfehlbaren Stellvertreter Gottes ins ewige Höllenfeuer. Diese Höllenangst vergeht nie. Sie überträgt sich durch das klinische Phänomen der "transgenerationalen Traumata" auch auf zukünftige Generationen. Das genauso wirkende bleierne katholische Konzept der "Erbsünde" wird seit 2.000 Jahren aufrechterhalten. MfG Robert Hottua

Phil
8. Januar 2023 - 20.32

Et war keng schéin Zäit, ganz gewëss, meng Famille huet och drënner gelidden... mä kann een net mol eng Kéier "die geistige Grösse beweisen" an probéieren peu-à-peu déi Leit déi betraff waren, am Séilenfridden rouen ze loussen, ouni sie ze vergiessen.... juste fading out, slowly and silently ❤