Jean Asselborn: Kein Wort von „hartem Brexit“

Jean Asselborn: Kein Wort von „hartem Brexit“

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Außenminister Jean Asselborn hat den britischen Paradiesvogel und Amtskollegen Boris Johnson getroffen. Vom "harten Brexit" sei nicht mehr die Rede gewesen. Ein Interview.

Tageblatt: Hat Boris Johnson einen persönlichen Bezug zu Luxemburg?

Was ist Artikel 50?
Am 23. Juni haben die Briten in einer historischen Volksabstimmung entschieden, die EU zu verlassen (Brexit). In Artikel 50 des EU-Vertrags von Lissabon ist geregelt, wie der Austritt abläuft. Demnach muss die britische Regierung Brüssel zuerst formell über ihre Absicht in Kenntnis setzen, bevor die Verhandlungen über einen Austritt beginnen können. Das soll nach Aussage der Premierministerin Theresa May bis Ende März 2017 geschehen. Die Austrittsverhandlungen müssen nach spätestens zwei Jahren abgeschlossen sein. Andernfalls würde Großbritannien automatisch aus der Europäischen Union ausscheiden. Die EU begibt sich mit dem britischen Austritt auf unbekanntes Terrain. Der Artikel 50 gibt zwar den Rahmen der Verhandlungen vor, regelt aber nicht alle Einzelheiten.

Jean Asselborn: Johnson hat in Brüssel als Journalist für den Daily Telegraph gearbeitet. Er hat mir erzählt, dass er sich an eine Episode Anfang der 1990er Jahre gut erinnern kann. Er ist mit Luxemburgs damaligem Außenminister Jacques Poos im Flugzeug nach Zagreb gereist. Er hat mir gesagt, dass ich Herrn Poos von ihm grüßen soll.

Wie war die Stimmung bei Ihrem Gespräch mit Johnson?

Die Atmosphäre war locker. Die Briten berücksichtigen, entgegen allem was oft zu hören oder lesen ist, Luxemburgs Ansichten. Ich habe das bei unseren Gesprächen sehr deutlich gespürt. Sie wollen, wenn der Brexit irgendwann eine Realität ist, weiterhin mit uns zusammenarbeiten. Dies betrifft vor allem den Finanzplatz.

Dennoch hat die EU eine klare Linie. Wie lautete Ihre Botschaft?

Meine Botschaft war eindeutig: Luxemburg ist mit den verbleibenden EU-Staaten solidarisch. Auch hier ist die Linie der 27 Länder klar. Es gibt keine Verhandlungen, bevor Artikel 50 ausgelöst wird. Alle EU-Mitgliedsstaaten sagen das. EU-Ratspräsident Donald Tusk ebenfalls.

Der Brexit steht u. a. für das Ringen um die Vorherrschaft als attraktiver Finanzplatz.

Ich habe mich sehr klar ausgedrückt. Wir müssen ein „Level Playing field“ (gleiche Regeln für alle, Anm. d. Red.) behalten. Es darf durch den Brexit in dieser Hinsicht zu keinen Verzerrungen kommen. Unsere Philosophie ist, dass ein Land, das die EU verlässt nicht bestraft, aber auch nicht dafür belohnt wird.

Ein Brexit-Berufungsverfahren soll die Parlamentsrechte bis Januar klären. Es könnte die Verhandlungen maßgeblich beeinflussen. War der „harte“ Brexit ein Thema?

Ich habe neben Johnson auch Brexit-Minister David Davis getroffen. Das Wort „harter Brexit“ ist bei unseren Gesprächen nicht gefallen.

Ich glaube, dass sie sich langsam aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen bewusst werden, was der Brexit für Konsequenzen hat. Das britische Pfund ist nicht gerade stabil und erlebt starke Schwankungen. Man muss nur den fallenden Pfundkurs betrachten.

Auch die Sicherheitsfrage wurde von den Brexiteers unterschätzt. Der Zugang zur Eurodac-Datenbank mit Fingerabdruckdaten steht etwa derzeit nur EU-Mitgliedstaaten oder Dublin-Staaten wie zum Beispiel Norwegen offen.

Die Briten brauchen die Kooperation mit der Europäischen Union. Man muss tatsächlich nur die wichtige Rolle von Eurodac und des Schengen-Systems betrachten. Deswegen ist Boris Johnsons Philosophie des „Wir verlassen die EU, nicht aber Europa“ in diesem Zusammenhang nicht zielführend. Die Idee der Briten ist es, parallel zu verhandeln, bevor Artikel 50 ausgelöst wurde. Man will prinzipiell ein neues Verhältnis mit der EU aushandeln. Ob das funktioniert, hängt von ihren Positionen zu Artikel 50 ab.

Wäre ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Briten denkbar?

Ich glaube, dass ich im Gespräch mit Brexit-Minister David Davis herausgefunden habe, dass die Briten – wenn der Brexit tatsächlich kommen sollte – ein Freihandelsabkommen mit der EU aushandeln wollen. Dieses Abkommen zwischen der Union und Großbritannien würde aus ihrer Sicht dann u.a. Zollfragen umfassen. Aber es ist momentan noch zu früh, so etwas zu diskutieren.

Weiß die britische Regierung, wo sie in Sachen Brexit hinsteuert?

Die Regierung befindet sich in einer Situation, in der sie ihren Kurs noch endgültig bestimmen muss. Das liegt auf der Hand. Der Anfang erfolgt erst mit dem Auslösen von Artikel 50. Laut der britischen Premierministerin Theresa May wäre das ab März 2017 der Fall.