Blau ist das neue Schwarz: Reise ins FPÖ-Land

Blau ist das neue Schwarz: Reise ins FPÖ-Land
(Martin Valentin Fuchs)

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Im österreichischen Loipersdorf stimmten bei der ersten Stichwahl um den Bundespräsidenten knapp 80 Prozent der Wähler für den rechten FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. Ein Besuch.

Loipersdorf geht es gut. Die Gemeinde in der Steiermark, am südöstlichen Zipfel Österreichs, ist bekannt für ihre Therme. Die Einnahmen aus Tourismus und Steuern lassen die Gemeindekassen klingeln. Bevor Wasser und Geld sprudelten, war Loipersdorf die drittärmste Gemeinde in der Steiermark. So etwas führt zu Verzweiflungstaten. Da es sonst nichts zu holen gab im Dreiländereck mit Ungarn und Slowenien, bohrten die Loipersdorfer Mitte der Siebzigerjahre ihren Boden an auf der Suche nach Öl. Man kann ja nie wissen.

ÖVP-Bürgermeister Herbert Spirk

Gerit Papst sitzt für die FPÖ im Gemeinderat

Franz Gether hilft den jungen Flüchtlingen im Ort

Öl wurde keines gefunden. Dafür „weißes Gold“, wie der konservative Bürgermeister Herbert Spirk es nennt. Aus dem steirischen Boden sprudelte warmes Wasser. Die Geburtsstunde der Therme, der Beginn des Wohlstandes in der von harter landwirtschaftlicher Arbeit geprägten Region.

Wer hat, der hat

Mittlerweile, zählt der stolze Bürgermeister auf, besuchen pro Jahr 600.000 Gäste die Therme in Loipersdorf, bei 270.000 Übernachtungen, insgesamt seien dank der Therme direkt und indirekt 2.000 Arbeitsplätze entstanden. Dass es Loipersdorf und seinen rund 1.800 Einwohnern gut geht, sieht der Besucher: am schmucken Gemeindebau, an den guten Straßen, an der Baustelle, wo ein neuer Kindergarten entsteht, sogar an den Parkplätzen, die mit kleinen in den Asphalt eingelassenen Pflastersteinen markiert sind. Man hätte auch weiße Linien ziehen können. Aber wer hat, der hat.

Doch dass das stetig aus der Therme sprudelnde Geld richtig eingesetzt wird, dass behutsam investiert wird, dass Loipersdorf so herausgeputzt ausschaut, das ist traditionelle steirische ÖVP-Lokalpolitik. Die Politik, die Herbert Spirk verkörpert und die von den Loipersdorfern, konservatives Stammgebiet, so geschätzt wird. Spirk ist seit 16 Jahren Bürgermeister, davor war er fünf Jahre Vizebürgermeister. 2015 wurde zuletzt gewählt in Loipersdorf. Die ÖVP verlor drei Sitze. Die FPÖ gewann drei hinzu. Was war geschehen?

Der Denkzettel

Spirk traf keine Schuld, seine Partei schon. Am 1. Januar 2015 trat eine von der steirischen ÖVP-Landesregierung beschlossene Gemeindezusammenlegung in Kraft. Loipersdorf wuchs um die davor selbstständige Gemeinde Stein an. In Stein, zuvor ÖVP-Hochburg, gingen nun drei von vier Wählerstimmen an die FPÖ. Ein „Denkzettel“, sagt Spirk.

Im März dieses Jahres hat Loipersdorf rund 30 junge Bewohner dazubekommen. Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wohnen in einem ehemaligen Hotel. Die Betreuung, so ist das üblich in Österreich, obliegt unter anderem Vereinen. Die Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren waren Teil des Flüchtlingstrosses im vergangenen Jahr.

Die Alpenrepublik nahm 90.000 Flüchtlinge auf, bei knapp neun Millionen Einwohnern. Im europäischen Vergleich sind das laut der Statistikbehörde Eurostat die zweitmeisten pro Kopf, zehn auf 1.000 Einwohner.

Die Welle, auf der die FPÖ reitet

Die Flüchtlingswelle brachte Österreich im Sommer 2015 an den Rand des merkelschen „Wir schaffen das“. Es ist die Welle, auf der die FPÖ immer noch reitet. Die „Denkzettel“-Aussteller aus Stein wollen die Flüchtlinge nicht auf ihrem Fußballplatz sehen. Sie werden von dort „vertrieben“, sagt Spirk. Mit einem Protest gegen die ÖVP oder die steirische Landespolitik hat das nichts mehr zu tun. Irgendwie ist in Loipersdorf mehr passiert.

Dabei hat die Gemeinde alles getan, um ihren Bürgern die Angst vor den Neuankömmlingen zu nehmen. Es gab eine Informationsversammlung, zu der 450 Einwohner kamen, das waren so viele, dass der Veranstaltungsort kurzfristig gewechselt werden musste. Hitzig ging es zu an diesem Abend im Februar 2016. Eine Handvoll rechtsextreme Wutteenager der „Identitären“ entrollte Plakate, es wurde gestritten und geschrien, es wurde geredet und beruhigt.

Ein Prozentpunkt, ein paar Hardliner

Herbert Spirk kann die Zusammenarbeit mit den ÖVP-Gemeinderäten nur loben. „Sehr ruhig und toll“, laufe das, 99 Prozent der Beschlüsse würden einstimmig getroffen, genau das sei das „Geheimnis der Weiterentwicklung der Gemeinde“. Die Unterbringung der Flüchtlinge war der eine Prozentpunkt, bei dem es weniger gut klappte. „Die haben da schon ein paar Hardliner“, findet der Bürgermeister, aber „im kleinen Rahmen“ funktioniere die Zusammenarbeit.

Mit Hardliner meint er nicht Gerit Papst. Der 40-Jährige ist Gemeindekassierer und seit zehn Jahren bei der FPÖ. Handwerker Gerit Papst sagt, er will sich „für die Gemeinde einsetzen“, deswegen mache er das. Er bekomme zwar Anordnungen von der Landes-FPÖ, aber am Ende entscheide er, „I bin I, kein echter FPÖler“, sagt Papst. Das Vertrauen in die große Politik hat er verloren. Das sei wie Barcelona gegen Bayern, „jeder vertritt sein Ding“.

Alles „arme Leut’“

Die Flüchtlinge seien alles „arme Leut’“. Aber dass die jetzt da sind, in Europa, in Österreich, sogar in Loipersdorf, das sei alles von der Wirtschaft gesteuert. Gerit Papst wittert dahinter „eine Maschinerie, ein Milliardengeschäft“. Die Flüchtlinge kauften sich dann zum Beispiel Mobiltelefone hier.

Verklausuliert verdächtigt er auch den Verein, der die Flüchtlingsunterkunft führt, sich an diesem Kuchen zu laben. Wenn er eigennütziger Verein sagt oder Medien, zeichnet er Anführungszeichen mit seinen Händen in die Luft und meint, der Staat Österreich müsse sich direkt kümmern, nicht Vereine.

„A dreckiges Gschäft“

Das „große Ganze passt einfach nicht“, findet Gerit Papst. Klar sei es die „Pflicht reicherer Staaten, den Armen zu helfen“. Das „ungute Gefühl“, seit die Flüchtlinge im Ort sind, kann der FPÖ-Mann verstehen. Die Jugendlichen hätten eben „gewisse körperliche Bedürfnisse und wir haben hier junge Mädchen“. Ob er die Flüchtlinge denn wieder weghaben wolle? „Bei Gott net, des san arme Teufel.“

Im Gegensatz zu den Profis aus der Bundespolitik, auch jenen aus seiner Partei, die alle „viel zu viel Geld verdienen“. Politik sei „a dreckiges Gschäft“ und „ghearat anders gemacht“, findet Gerit Papst. Die Politik müsse endlich „zur Räson zurückkehren“ und vor allem müssten „alle mal wieder arbeiten“.

Erklärung für eine Überraschung

„Ich kenne keinen FPÖler, der in den letzten 30 Jahren bei Projekten in der Gemeinde aktiv mitgearbeitet hat“, sagt Franz Gether, der lange für die ÖVP im Loipersdorfer Gemeinderat saß. Franz Gether würde man eher den Grünen oder den Sozialdemokraten von der SPÖ zurechnen. Er ist einer der Freiwilligen, die sich um die jugendlichen Flüchtlinge kümmern.

Wie klar in seiner Gemeinde die erste Stichwahl zugunsten des FPÖ-Mannes Hofer ausging, hat Franz Gether überrascht. Erklären kann er es sich trotzdem. Die FPÖ schüre Angst und Verunsicherung. Quasi als Beleg zieht er eine Ausgabe des FPÖ-Magazins „Wir Steirer“ hervor, die kürzlich jeder Tageszeitung in der Region beilag. Dort gibt es zum Beispiel etwas zu lesen zum Thema: „Die Steiermark ist Hotspot der Radikalisierung: Islamistische Umtriebe gefährden heimische Bevölkerung!“ Wer das glaubt, der hat auch Angst vor unbegleiteten jugendlichen Kriegsflüchtlingen.

Grüner? Eine politische Vorbelastung

Franz Gether kennt noch einen weiteren Grund für den Erfolg Hofers in seinem Ort. Es ist sein Konkurrent um das Bundespräsidentenamt, Alexander van der Bellen.
Der wird zu den Grünen gezählt – und Grüne seien einfach „unwählbar für viele“.

Einmal bei den Grünen gewesen zu sein, ist eine politische Vorbelastung, wegen ihrer Gesellschaftspolitik, etwa in Sachen Homoehe, vor allem aber, da ein Grüner vor zig Jahren, als es noch Schilling statt Euro gab, einmal darüber fabulierte, seine Partei könnte, wenn sie an der Macht wäre, den Benzinpreis verdoppeln. In Loipersdorf und in all den anderen Loipersdorfs Österreichs, wo ohne Auto nichts geht, gleicht das der Vorankündigung eines Kardinalverbrechens, für das nun sogar ein Bundespräsidentenkandidat büßen muss.

Vorfreude auf das Ende

So unterschiedlich Herbert Spirk, Gerit Papst und Franz Gether auch sein mögen – eines eint die drei: Sie sind unendlich froh, wenn diese Wahl, die jetzt elf Monate dauert, endlich vorbei ist. Das sagen im Wirtshaus Jandl auch der Pfarrer, die Wirtin und die Kaufhausbetreiberin, die hier beim Mittagessen sitzen. Der elend lange Wahlkampf hat auch die Politikinteressierten politikmüde gemacht.

Prognosen für den Wahlsonntag will keiner abgeben. Nur Bürgermeister Herbert Spirk weiß, wie es weitergeht, auch wie es wäre, wenn die FPÖ mal an der Macht wäre. Das könne passieren, sagt er. Die Jugend tendiere zur FPÖ. Sie sei unzufrieden mit der Politik, wolle Veränderung – „und die FPÖ predigt Veränderung“. Doch sie würden wieder abgewählt, ist der Bürgermeister überzeugt, denn zumindest dann würden die Leute sehen: „Das sind auch keine Wunderwuzzis“.

Die Reportage befindet sich ebenfalls in der Samstagausgabe des Tageblatt (3.12.2016). Zu lesen gibt es dort auch das Wiener Pendant zu dieser Geschichte: „Wienrot – Wie Politik eine Stadt lebenswert macht“.

Die Fotos zu dieser Reportage sind von Martin Valentin Fuchs (www.martinvalentinfuchs.com). Das Foto zur Wien-Story von Katrin Bruder (www.katrinbruder.com).