Friedensnobelpreisträger Mukwege: „Verstümmelungen von Geschlechtsteilen als Kriegswaffe“

Friedensnobelpreisträger Mukwege: „Verstümmelungen von Geschlechtsteilen als Kriegswaffe“

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Nicht immer ist die Entscheidung, wer den Friedensnobelpreis erhält, gerechtfertigt. Dieses Jahr aber schon. Mit der Auszeichnung für Dr. Denis Mukwege, einen Arzt, der im Kongo verstümmelte Frauen behandelt, und die irakische Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad, die 2014 vom IS als Sexsklavin verschleppt wurde, hat das Nobelpreis-Komitee ein klares Zeichen im Jahr von #MeToo gesetzt. Bei seinem Besuch in Luxemburg im Oktober 2016 hatte Mukwege dem Tageblatt aus seinem Leben und von seiner Arbeit im Kongo berichtet. Wir erinnern uns.

Dr. Denis Mukwege ist Gynäkologe, Chirurg und Menschenrechtsaktivist. Er kämpft unermüdlich gegen die Vergewaltigung und Verstümmelung von Frauen. Sein Beiname: Der Mann, der die Frauen repariert. „In meinem Heimatland, der Demokratischen Republik Kongo, werden Verstümmelungen von Geschlechtsteilen als Kriegswaffe benutzt“, so Mukwege in einem Tageblatt-Interview in der „Maison de l’Europe“ im Oktober 2016. „Diese Vergewaltigungen ruinieren ganze Familien, Dörfer, Gemeinschaften.“ Fatale Traumata seien die Folge.

Über die heutige Nobelpreisträgerin Nadia Murat, die am Tag des Tageblatt-Interviews den Sacharow-Preis verliehen bekam, sagte Mukwege: „Es gibt demnach eine Einsicht bei dem Thema. Aber dies alleine reicht nicht. Es braucht konkrete Taten, um diesen barbarischen Vorgehensweisen Einhalt zu gebieten.“

Mukwege ist 63, verheiratet und hat fünf Kinder. 1999 gründete er das Krankenhaus Panzi im ostkongolesischen Bukavu, um Frauen zu helfen, die Opfer des Krieges wurden. Seit Jahrzehnten herrscht im Kongo Bürgerkrieg. Bis heute hat Mukwege rund 50.000 verstümmelte Frauen operiert. Die Altersskala der Opfer reicht vom Babyalter bis hin zu über 80-Jährigen.

Seit Beginn des Krieges 1998 wurden laut UN 500.000 Frauen vergewaltigt. Die Peiniger nutzen Äste, Holzbalken, Scherben oder die Läufe ihrer Waffen, um in die Frauen einzudringen und sie zu verletzen oder zu verstümmeln. Manchmal drücken sie auch ab. Es gibt auch Berichte von Schwangeren, denen der Bauch aufgeschlitzt wurde.
2016 betreute das Krankenhaus in Bukavu sechs bis sieben Opfer sexueller Gewalt pro Tag. Einige Jahre davor waren es täglich noch über zehn. „Jedes Mal, wenn es Konflikte gibt, sind es die Frauen und Kinder, die dafür bezahlen müssen“, so Mukwege.

Den Grund dafür sah der nun frisch gekürte Nobelpreisträger darin, dass die Frauen in der Gesellschaft eine sehr wichtige Rolle spielen. Bei Attacken könnten die Männer schneller fliehen, Frauen und Kinder blieben zurück und würden zur ersten Zielscheibe.
Als weiteren Grund nannte Mukwege die Tatsache, dass Vergewaltigung als Kriegswaffe auf Frauen und Kinder ziele: „Die Frauen gelten als Pfeiler der Gesellschaft, und wenn sie die Frau ‚zerstören‘, dann wird auch die Gesellschaft von ihrer Basis her zerstört.“

Die Würde zurückgeben

„Man hat mich getötet.“ Mit diesem Satz kamen viele der Vergewaltigungsopfer zu Mukwege ins Krankenhaus. Durch die Enthumanisierung der Vergewaltigung habe man den Frauen das Wesentliche ihres Lebens genommen, so der Menschenrechtsaktivist. Indem die Vergewaltiger die Frauen misshandeln statt töten, ist es so, als hätten sie ihnen einen Stempel aufgedrückt, der sagt: „Ich habe die Macht, dies zu tun.“ Und Mukwege erklärte weiter: „Nicht nur die Frauen sind traumatisiert, sondern auch die Männer, die bei der Vergewaltigung oder Verstümmelung ihrer Frau oder ihrer Kinder zuschauen mussten.“

Mukwege zog damals den Vergleich mit einem Ölfleck, der alle gesellschaftlichen Gewebe zerstört. „Und dies ist eines der Ziele derer, die diese Verbrechen begehen“, sagte der Menschenrechtsaktivist. „Unsere Arbeit besteht nicht nur darin, die Frauen physisch zu heilen, sondern ihnen auch ihre Würde zurückzugeben.“ Es sei schwierig für die Betroffenen, wieder in ein normales Leben zurückzufinden.

Auf die Tageblatt-Frage, wie es eigentlich dazu kam, dass er das machen wollte, was er jetzt tut, antwortete Mukwege: „Ich hatte eine Begegnung als Gynäkologe mit einer Frau, die nicht nur vergewaltigt, sondern auch verstümmelt wurde. Man hatte ihr in die Geschlechtsorgane geschossen. Ich hatte sie operiert und dachte, dass es sich um einen Einzelfall handele, dass da wohl jemand durchgedreht sei. Aber dann kamen immer mehr solcher Patientinnen zu mir. Die Regelmäßigkeit dieser Vorkommnisse zeigte mir, dass diese Art der Verstümmelung zur Kriegswaffe geworden war, um die Gemeinschaft zu zerstören.“

Straffreiheit der Täter

Als weiteres Problem sah Mukwege die Straffreiheit der Täter. Darin sieht er die Ursache für das Fortbestehen von kriminellen Taten: „Ein solches Verbrechen muss anders geahndet werden als eine Straftat. Die nationale Justiz tut dies aber nicht. Und die internationale Justiz handelt nicht so, wie sie eigentlich sollte.“

Vielleicht wird der Friedensnobelpreis etwas bewirken? Zwei Jahre, nachdem er mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet wurde, stellte Mukwege gegenüber dem Tageblatt fest, dass das Thema hierdurch in den Fokus der internationalen Gemeinschaft gerückt war. Dadurch wurde immer mehr über die Problematik gesprochen.

Auf den Menschenrechtsaktivisten wurden bereits mehrere Mordanschläge verübt. In einer Nacht im Jahr 2014 drangen Unbekannte in sein Haus ein. Ein langjähriger Mitarbeiter lenkte die Täter ab und wurde erschossen. Mukweges Kinder wurden als Geiseln genommen. Er und seine Frau überlebten. Danach verließ der Arzt den Kongo.

Irgendwann kehrte er zurück. Wieso er das tat? „Die Kraft der Frauen, die ich pflege, hat mich zurückgebracht. Es ist diese Kraft, die mich antreibt, weiterzumachen. Diese traumatisierten Frauen, die es schaffen, wieder zurückzufinden, um ihr Leben und um jenes ihrer Kinder zu kämpfen und zurück in die Gesellschaft finden. Ich fühle mich ganz klein gegenüber diesen Frauen.“ Die Bedrohung sei beständig, so Mukwege 2016 gegenüber dem Tageblatt. Es wurde nie etwas unternommen, um den nächtlichen Überfall aufzuklären. Es fanden keine Ermittlungen statt.

Heute, im Jahr 2018, arbeitet Mukwege nicht nur im Krankenhaus, sondern lebt auch dort. Die Einrichtung wird streng bewacht. Für sein Engagement wurde Mukwege bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem UN-Menschenrechtspreis (2008), dem Alternative Nobelpreis (2013) und dem Sacharow-Preis des Europaparlaments (2014). Und auch schon vor 2018 war er bereits mehrmals für den Friedensnobelpreis nominiert worden.


Als Sexsklavin verschleppt

Nadia Murad hatte mit ihrer Familie ein friedliches Leben am Rande des Sindschar-Gebirges geführt, bevor die Dschihadisten kamen.

Doch als die gefürchtete Miliz Islamischer Staat (IS) im August 2014 Murads Dorf im Nordirak erstürmte, wurde sie wie Tausende andere jesidische Frauen als Sexsklavin verschleppt. Erst nach Monaten gelang ihr die Flucht.

Seitdem setzt sie sich unermüdlich für die Rechte der Jesidinnen und gegen sexuelle Gewalt weltweit ein – ein Engagement, das nun mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurde. Noch immer bleibt viel zu tun: Über 3.000 entführte jesidische Frauen werden weiterhin vermisst.


Sie kämpfen für das Gleiche

DanV
7. Oktober 2018 - 15.08

"Wir" Herr Zeyen? Und "wir als Spezies"? Ich bitte, beide Aussagen zu überdenken, denn dass Frauen und Kinder zur Spezies gehören, müsste Ihnen bewusst sein. Und dieses allgemeine "Wir", das die Schuld der Handlungen jedes Verbrechers auf unser aller Schultern legt, stößt mir schon lange übel auf. "Ich" habe keine Frauen und Kinder vergewaltigt und verstümmelt. Ich gehe mal davon aus, dass "Sie" das auch nicht getan haben. Wenn jemand Schuld hat, dass sind es die jeweiligen Aggressoren und die zuständigen Politiker in den jeweiligen Ländern, die den Schutz ihrer Bürger nicht gewährleisten können oder sogar wollen. Ein allgemeines Schuldbekenntnis, auf die Spezies bezogen, ist einfach nur absurd und lenkt von der Verantwortung/Schuld der wirklichen Täter ab. Eine Frau

Jacques Zeyen
6. Oktober 2018 - 18.13

Was sind wir doch für eine erlesene Spezies. Nach dem Ebenbild von kranken Göttern erschaffen,verstümmeln und foltern wir Frauen und Kinder. Ein Tier tut sowas nicht. Wir sind schneller gewachsen als unser Gehirn. Wenn man das liest kann man sich schwer vorstellen,dass die Evolution noch viel mit uns vor hat. Upps. Jetzt hätte ich fast "Vorhaut" geschrieben. Internationale Justiz. Wenn im Kongo oder anderswo,Boy-soldiers herangezüchtet werden,die ohne mit der Wimper zu zucken einem Menschen mit der Machete die Glieder abschlagen,dann liegt es in jedermanns Ermessen,ob da eine internationale Justiz irgend etwas erreichen kann. Die Verrohung der Gesellschaft schreitet mit Riesenschritten voran. Und das nicht nur in Afrika. Trotz allem: Bravo Dr.Mukwege und allen Ärzten die sich in diesen Ländern engagieren und das ohne astronomisches Honorar.

Mephisto
6. Oktober 2018 - 15.48

Gratulation an das Nobelpreiskomitee für diese Wahl.