SchweizInterview mit Islamismus-Expertin Keller-Messahli zum Referendum über „Burka-Verbot“

Schweiz / Interview mit Islamismus-Expertin Keller-Messahli zum Referendum über „Burka-Verbot“
Saida Keller-Messahli: Große Mehrheit der Muslime lehnt Vollverschleierung ab Foto: Stanislav Jenis

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Was in Frankreich, Belgien, Österreich, Bulgarien und Dänemark bereits verboten ist, könnte auch in der Schweiz bald untersagt sein: Die Eidgenossen stimmen am 7. März über die Volksinitiative „Ja zum Verhüllungsverbot“ ab. Obwohl Regierung, Parlament und alle Religionsgemeinschaften diese ursprünglich von der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) eingebrachte Initiative gegen Burka und Niqab ablehnen, zeichnet sich Umfragen zufolge eine deutliche Mehrheit dafür ab. Tageblatt-Korrespondent Manfred Maurer hat mit der Schweizer Islamismus-Expertin Saida Keller-Messahli darüber gesprochen.

Tageblatt: Regierung und Parlament lehnen ein Verhüllungsverbot unter anderem deshalb ab, weil in der Schweiz nur 20 bis 30 Frauen verschleiert seien. Wird hier nur viel Lärm um fast nichts gemacht?

Saida Keller-Messahli: Die Vollverschleierung der muslimischen Frau ist nicht eine Frage der Arithmetik, sondern primär der Ethik. Die Vollverschleierung möchte die Frau unsichtbar machen im öffentlichen Raum. Die Frau wird im Koran (Sure 24) als „awra“ bezeichnet, was „unanständig“ bedeutet. Gestützt auf diese Bezeichnung sind Hadithe entstanden, die Eingang in die islamische Rechtsprechung (Scharia) gefunden haben und äußerst diskriminierend sind. Nach diesem Konzept hat die Frau ihren Körper zu verhüllen, weil er Quelle von Sünde und Versuchung für den Mann ist. Das ist das Frauenbild, das hinter jeder Verschleierung im Namen des Islams steckt.

Wie geht es Ihnen damit, dass Sie eine feministische Initiative der rechtspopulistischen Volkspartei (SVP) unterstützen, die 1990 noch gegen das Stimmrecht für Frauen im Kanton Appenzell-Innerhoden mobilgemacht hatte?

Bei einer Initiative ist nicht die Gesinnung der Initianden relevant, sondern allein der Initiativtext. Dieser lässt keine Mehrdeutigkeit zu: Es geht darum, zu verhindern, dass Vermummte im öffentlichen Raum erscheinen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einer offenen Gesellschaft, wo man sich unverhüllt zu erkennen gibt.

Auch der „Rat der Religionen“, in dem die großen Religionsgemeinschaften vertreten sind, lehnt das Verhüllungsverbot als Einschränkung der Religionsfreiheit ab. Ist das kein Argument?

Der Rat besteht zu 99 Prozent aus Männern, die kein Interesse an der Emanzipation von muslimischen Frauen haben. Sie argumentieren mit der Religionsfreiheit, wohlwissend, dass die höchste Instanz des sunnitischen Islams, die Al-Azhar-Universität in Kairo, festgehalten hat, dass Niqab kein religiöses Gebot darstellt. Auch hat der EGMR in Straßburg entschieden, dass ein Niqab-Verbot nicht gegen die Religions- oder Gewissensfreiheit verstößt. Das wird aber geflissentlich ignoriert.

Zynischer Vergleich

Farhad Afshar, Koordinator der Islamischen Organisationen in der Schweiz, sagte, dass seit Beginn der Corona-Pandemie Millionen von Menschen faktisch einen Niqab tragen würden. Was sagen Sie dazu?

Er muss es ja wissen, als Mann … Der Vergleich ist an Zynismus nicht zu überbieten: Gerade er als Iranstämmiger sollte wissen, wie sehr iranische Frauen darunter leiden, dass die Verschleierung in ihrem Land vorgeschrieben ist und von der Sittenpolizei strikt kontrolliert wird.

Die Sozialdemokraten argumentieren auch mit dem Selbstbestimmungerecht der Frauen gegen ein Verhüllungsverbot. Sollten Frauen nicht wirklich selbst entscheiden, was sie sich über den Kopf ziehen oder nicht?

Die Sozialdemokraten – nicht alle! – suchen verzweifelt nach Argumenten, weil die Initiative vom falschen Absender kommt. Würden ihnen die Menschenrechte von muslimischen Frauen am Herz liegen, wäre die Initiative von ihnen gekommen. Ich bin auch für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, das in islamischen Ländern konkret inexistent ist. Mir geht es darum aufzuzeigen, warum die Verschleierung des weiblichen Körpers im Islam ein Thema ist und was für ein diskriminierendes Frauen- und Männerbild dahintersteckt.

Gespaltene Linke

Ist die Linke in dieser Frage geschlossen?

Die Linke ist fast hälftig gespalten in dieser Frage. Die hohe Zustimmung zur Initiative belegt das und die Spaltung geht durch alle liberalen und linken Parteien hindurch.

Wie schaut es bei den Muslimen aus – haben Sie dort auch Verbündete?

So ist es auch unter Muslimen. Der in Moscheen organisierte Islam folgt meistens der Linken, sie hat ihn immer schon hofiert. Da gibt es strukturelle und personelle Verbindungen. So ist etwa der Pressesprecher der Föderation der islamischen Dachverbände der Schweiz (FIDS) gleichzeitig auch Lokalpolitiker der Grünen. Die große Mehrheit der Muslime, die mit den konservativen Moscheen nichts zu tun hat, wird hingegen für die Initiative stimmen, weil sie die Vollverschleierung der muslimischen Frau als extremistisches Statement verstehen und ablehnen.

Wundert Sie angesichts des großen Widerstandes der Institutionen die sich abzeichnende deutliche Mehrheit für die Initiative?

Nein. Die Stimmberechtigten erkennen sehr wohl, dass ein Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum begründet und sinnvoll ist. Es ist auch legitim, in der Verfassung festzuhalten, dass wir in der Schweiz mit unverhülltem Gesicht miteinander kommunizieren.

Politischer Islam hofiert

Was haben Sie in Ihrem Kampf für einen fortschrittlichen Islam gewonnen, wenn der politische Islam symbolisch von den Köpfen, aber nicht aus den Köpfen verschwindet?

Der politische Islam hat sich fast in allen demokratischen Ländern ausgebreitet, weil man ihn in den letzten 50 Jahren hat machen lassen und ihn hofiert hat. Heute ist Widerstand angesagt. Nur mit Widerstand und Aufklärung kann verhindert werden, dass sich die Situation zusätzlich verschlimmert.

Extremisten, allen voran Vertreter der Muslimbruderschaft, werfen ihren Kritikern seit Jahren ‚Islamophobie‘ vor, damit diese eingeschüchtert werden und schweigen

Könnte der Streit um die Verschleierung muslimischen Extremisten nicht dabei helfen, ihre Thesen von „Islamophobie“ und „antimuslimischem Rassismus“ unter die Leute zu bringen?

Diese Gefahr wird aufgebauscht. Extremisten, allen voran Vertreter der Muslimbruderschaft, werfen ihren Kritikern seit Jahren „Islamophobie“ vor, damit diese eingeschüchtert werden und schweigen. Nach dem Mord am Lehrer Samuel Paty hat Frankreich das „Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich“ (CCIF) verboten, weil eine Verbindung zwischen Islamisten des CCIF und dem Mord bestand. Das CCIF hat sich übrigens zwei Monate später in Brüssel installiert, diesmal als CCIE, also als „Kollektiv gegen Islamophobie in Europa“. Man sollte also immer zuerst klären, wer „Islamophobie“ schreit.

Auch das Wort „antimuslimischer Rassismus“ ist ein Widerspruch in sich. Rassismus bezieht sich auf eine Rasse und deutet an, dass man eine Person aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe diskriminiert. Es ist zu beobachten, dass Islamisten versuchen, mit einem Opferdiskurs ein Narrativ zu erfinden, das suggeriert, die Muslime seien heute in Europa das, was die Juden in den 30er Jahren waren. So hat der bekannte Islamwissenschaftler Farid Hafez eine Razzia gegen mutmaßliche Muslimbrüder und Hamas-Aktivisten in Österreich mit der „Kristallnacht“ in Verbindung gebracht. Dasselbe tut ein muslimischer Kandidat der Grünen in der Schweiz, indem er das Verhüllungsverbot auf Twitter wie folgt kommentiert: „Gestern ein Minarettverbot, heute ein Burkaverbot, morgen die Bücherverbrennung und die Kristallnacht in unseren Straßen.“ Es sind solch unverfrorene, schockierende Vergleiche, die letztlich zu Islamfeindlichkeit führen können.

Zur Person

Saida Keller-Messahli stammt aus Tunesien und ist eine der bekanntesten Islamismus-Expertinnen in der Schweiz, wo sie 2016 mit dem eidgenössischen Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde. Die Mutter zweier Söhne war 2016 eine der Erstunterzeichner der Freiburger Deklaration säkularer Muslime aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Diese fordert ein „Aufklärungsprogramm“ innerhalb der muslimischen Gemeinschaft, um einen „reformierten Islam“ als „integralen Bestandteil“ der europäischen Gesellschaft zu erreichen. Keller-Messahli ist auch Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, die für einen liberalen Islam steht. Ihr Engagement stößt in der muslimischen Gemeinschaft freilich nicht nur auf Begeisterung: In weniger reformfreudigen Kreisen wird die streitbare Muslima mit dem Prädikat „islamophob“ bedacht.

Mensch
22. Februar 2021 - 14.07

Liebe Schweizer. In Luxemburg wurde das Tragen einer Baskenmütze durch einen Nazi, Gauleiter Gustav Simon, per Verordnung verboten (VOBl. 1941, S. 106). Im Jahr 2018 beschlossen neuzeitliche Leiter ein teilweises "Vermummungsverbot" für Verwaltungen, Schulen, Krankenhäuser, Seniorenheime, Gerichte und öffentliche Verkehrsmittel. Und jetzt, dank Corona herrscht Vermummungszwang an allen vorgenannten Orten. Ist das nicht köstlich? Ein Teil der muslimischen Frauen scheint ihrer Zeit lange voraus gewesen zu sein ;-)

B.G.
21. Februar 2021 - 19.27

Da es glücklicherweise keine Volksbefragung mehr in Luxemburg gibt , werden die Bürger folglich auch nicht mehr unnötig belästigt und um ihre Meinung befragt. Und dem ist gut so in einem Land wo die Lämmer schweigen und nie Lärm um NICHTS machen. Das nennt man im Gegensatz zur Schweiz eine Volldemokratie wo trotz allem jeder Bürger seine Meinung ob richtig oder falschch frei von der Lunge auf die Zunge outen darf !!!