Bereits vor dem jüngsten Putschversuch und dem darauf folgenden harten Durchgreifen Ankaras zeichneten sich beim Flüchtlingsabkommen der Türkei mit der EU Probleme ab.
Die versprochene Abschaffung des Visumzwangs für Reisen von Türken in die Europäische Union geriet ins Stocken, und die Abschiebung von Flüchtlingen von Griechenland zurück in die Türkei gestaltete sich schwierig. Denn zunächst muss jeder einzelne Asylantrag geprüft werden – eine gewaltige Herausforderung für die Behörden.
Die Kritiker
Kritiker des Flüchtlingsabkommens sagen, dass die Türkei nun noch unsicherer geworden sei. Sie warnen, dass der Pakt möglicherweise ganz scheitern könnte. Entsprechend wächst die Nervosität in Griechenland, wo die meisten Flüchtlinge zum ersten Mal EU-Boden betreten.
Amnesty International liegen nach eigenen Angaben Hinweise darauf vor, dass Menschen, die im Zuge des harten Vorgehens der Regierung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen mutmaßliche Sympathisanten des Putschversuchs vom 15. und 16. Juli festgenommen wurden, geschlagen und gefoltert wurden.
„Vorwürfe der Folter“
„Angesichts von Vorwürfen der Folter in Gewahrsam, einem scharfen Vorgehen gegen die Meinungsfreiheit und einer allgemeinen Einschränkung von Rechten kann die EU nicht darauf hoffen, ihre Flüchtlingsverpflichtungen in die Türkei auszulagern“, erklärt die stellvertretende Europa-Direktorin der Menschenrechtsorganisation, Gauri van Gulik, der Nachrichtenagentur AP.
Amnesty und andere Organisationen hätten bereits aufgezeigt, dass die Türkei kein sicheres Land für die Rückführung von Flüchtlingen sei, sagt sie. „Und die Ereignisse von vergangener Woche verschlimmern die Lage nur noch.“ Was die Rückführung von Flüchtlingen betreffe, sei das im März geschlossene Abkommen vermutlich zum Scheitern verurteilt, sagt der Migrationsexperte Brad Blitz.
Sicheres Land?
„Ganz ehrlich, ich sehe nicht, wie irgendjemand behaupten könnte, dass die Türkei ein sicheres Land ist.“, erklärt Blitz, ein Professor für internationale Politik an der Middlesex-Universität in London.
Die Säuberungsaktionen der türkischen Behörden seien eklatant, mit Tausenden Festnahmen und Vorwürfen von Folter. „Die Lage dort ist so instabil, dass wir es vielleicht erleben, dass türkische Journalisten und Akademiker mit Migranten über die Ägäis kommen“, sagt Blitz. „Es wird den Druck auf Griechenland erhöhen.“
57.000 sitzen fest
Mehr als 57 000 Migranten sitzen in Griechenland fest, 8500 von ihnen warten auf Lesbos, Chios und anderen Inseln auf ihre mögliche Abschiebung in die Türkei. Bislang wurden weniger als 500 zurückgeschickt, keiner seit Mitte Juni.
Die Behörden sind mit der Bearbeitung der riesigen Zahl von Asylanträgen überfordert. Nach Daten der griechischen Regierung ist die Zahl der Neuankömmlinge zuletzt auf rund 100 pro Tag gestiegen – etwa das Doppelte von vor einigen Wochen, aber immer noch viel weniger als im vergangenen Herbst, als täglich mehr als 3000 Menschen ankamen.
Überfüllte Lager
In den vergangenen Wochen brach in überfüllten Lagern auf den Inseln immer wieder Gewalt aus. Einheimische protestierten, weil der Tourismus eingebrochen ist.
In Brüssel äußern sich EU-Vertreter kaum über die Zukunft des Flüchtlingsabkommens. Kommissionssprecher Margaritis Schinas sagte am Freitag vor Journalisten, selbstverständlich habe die Kommission die Lage in der Türkei im Blick.
„Garantien sind gültig“
„Einstweilen bleiben wir bei unserer Position. Die (von Ankara gegebenen) Garantien sind gültig“, sagte er.
Die Krise in der Türkei dürfte innerhalb der kommenden zwei Monate in Griechenland zu spüren sein, erklärt Thanos Dokos, Direktor der Hellenischen Stiftung für europäische und Außenpolitik in Athen. “
Jetzt haben wir wegen der Säuberungen und der Debatte über die Todesstrafe eine Abkühlung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Und ich vermute, Herr Erdogan hat keine Lust, den EU-Staaten das Leben mit Blick auf die Lage der Flüchtlinge zu erleichtern“, sagt Dokos.
Keine „3000 pro Tag“
Deshalb wäre seiner Ansicht nach eine Rückkehr zur Lage von Ende 2015, Anfang 2016 möglich, als täglich eine größere Zahl von Menschen über die Ägäis kam. „Wenn ich von einer größeren Zahl spreche, glaube ich aber nicht, dass es wieder 3000 pro Tag sein werden.“
De Maart

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