Von Kritik unbeeindruckt

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(AFP)

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Der türkische Präsident will keine Zeit verlieren. Kritik lässt ihn kalt. Vielmehr will er rasch mit dem Umbau des Staates beginnen. Was zuerst reformiert werden soll, weiß Erdogan auch schon.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will trotz des knappen Ausgangs des Verfassungsreferendums nicht auf seine Kritiker zugehen. Alle Debatten über das Vorhaben seien jetzt beendet, sagte Erdogan am Montag in Ankara. Er kündigte vielmehr an, nun rasch mit dem Umbau des Staates zu beginnen, was ihm deutlich mehr Macht bringen würde.

Kritik von Beobachtern an der Abstimmung wies der Präsident zurück und erklärte, einige Länder Europas hätten sich stärker gegen das Vorhaben ausgesprochen als die türkische Opposition. Sollte die EU die Beitrittsgespräche mit seinem Land nun aussetzen, sei das nicht weiter schlimm, „solange sie uns darüber informieren“. Wenn nötig, werde die Türkei ein erneutes Referendum zur EU-Mitgliedschaft abhalten. Dem Westen warf er „Kreuzfahrer-Mentalität“ vor. Am Sonntag hatte Erdogan bereits ein Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe in seinem Land ins Gespräch gebracht.

Erstes Ziel: Justizreform

Bei der Abstimmung am Sonntag hatten 51,4 Prozent der Türken für eine Verfassungsänderung gestimmt. Damit könnte Erdogan künftig per Dekret regieren, den Ausnahmezustand beschließen, das Parlament auflösen und Minister entlassen. Erdogans islamisch-konservative Partei AKP hat argumentiert, die Änderungen seien nötig, um in unruhigen Zeiten eine starke Führung zu garantieren. Kritiker sehen hingegen Demokratie, Pressefreiheit und Menschenrechte in Gefahr.

Erdogan sagte am Montag, das neue System solle bis zur Wahl Ende 2019 vollständig umgesetzt sein. Zunächst werde die Justiz reformiert. Er wies Kritik der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zurück. Die Türkei habe Berichte der OSZE weder gesehen, gehört oder anerkannt. Das Außenministerium erklärte, die Kritik sei nicht akzeptabel. Die OSZE-Vorwurf am Wahlablauf zeuge von Voreingenommenheit und mangelnder Objektivität.

Kritik von OSZE und Europarat

Die Organisation hatte sich ebenso kritisch geäußert wie zuvor der Europarat. Dieser erklärte, das Votum habe nicht internationalen Standards entsprochen. Journalisten seien verhaftet und Medien geschlossen worden. Der rechtliche Rahmen sei nicht ausreichend gewesen. Es gebe zwar keine Hinweise auf Betrug. Die kurzfristige Entscheidung, auch ungestempelte Wahlzettel zu akzeptieren, widerspreche aber dem Gesetz. Die Wahlkommission erklärte dagegen, solche Zettel seien auch schon früher gezählt worden.

Die türkische Opposition kündigte eine Anfechtung des Ergebnisses an. An vielen Orten hätten Wähler nicht geheim abstimmen können, kritisierte die sozialdemokratische CHP. Zudem seien Stimmen im Verborgenen ausgezählt worden. Notfalls wolle man vor das Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Angespannte Beziehungen

Die Beziehungen zwischen Europa und der Türkei sind schon länger gespannt. Für Ärger sorgte im Westen etwa, dass Erdogan die Behörden in Deutschland und den Niederlanden mit den Nazis verglich. Hintergrund waren untersagte Auftritte türkischer Politiker.

Der stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Simsek erklärte indes, der „Krach“ zwischen Ankara und der EU werde nach dem Wahlkampf wohl bald verstummen. Man werde auf Gebieten zusammenarbeiten, auf denen es gemeinsame Interessen gebe. Beide sind aufeinander angewiesen. So kommen seit dem Flüchtlings-Abkommen kaum noch Migranten über die Ägäis nach Griechenland.

Türkische Finanzmärkte legen zu

Die EU wiederum ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Türkei. Die Beitrittsgespräche der Türkei zur EU wurden 1999 gestartet, stecken aber in der Sackgasse. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, erklärte nun mit Blick auf das Referendum: „Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ist vom Tisch.“ Stattdessen solle es eine Partnerschaft zwischen befreundeten Nachbarn geben.

Die türkischen Finanzmärkte legten am Montag zu, weil viele Investoren auf Stabilität in dem Schwellenland hoffen. Die Lira gewann 1,6 Prozent. Der Leitindex der Aktienbörse in Istanbul stieg um 0,8 Prozent.