Vom Klimawandel, aber dem vor 350 Jahren

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Philipp Blom schafft das, was nur wenigen gelingt. Er schreibt Bücher über Geschichte, die sich gut verkaufen. Ein Gespräch über die Kleine Eiszeit, die Europa im 17. Jahrhundert zu radikalen Umstellungen zwang - und die ein paar Lehren für uns heute bereit hält.

Der Hamburger Philipp Blom lebt seit rund zehn Jahren in Wien. Wir treffen den Schriftsteller und Historiker im Café Korb im ersten Wiener Bezirk. Zu Philipp Bloms bekanntesten Geschichtsbüchern gehören „Der taumelnde Kontinent. Europa 1900–1914“ und „Die zerrissenen Jahre 1918–1938“. In beiden Werken widmet Blom jedem Jahr ein Kapitel und beleuchtet die Entwicklungen der Zeit aus verschiedensten Blickwinkeln. Sie sind ebenso unterhaltsam wie lehrreich und von hier aus ausdrücklich zur Lektüre empfohlen.

Sein letztes Buch mit historischem Hintergrund heißt „Die Welt aus den Angeln. Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700“. Auf Tageblatt.lu finden Sie hier unser Gespräch mit Philipp Blom über eben dieses Buch und diese Zeit. Auch heute befinden wir uns in einer Zeit des Klimawandels. Sich kurz damit zu befassen, was vor rund 300 Jahren mit den Menschen in Europa passierte, als das Wetter sich dauerhaft änderte, hat also durchaus einen Bezug zur Gegenwart. In der Tageblatt-Ausgabe vom 15. März finden Sie dann das ausführliche Interview mit Philipp Blom.

Tageblatt: Sie schreiben in ihrem letzten Buch „Die Welt aus den Angeln. Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700“, das vom damaligen Klimawandel handelt, dass es radikale gesellschaftliche Veränderungen gab, das aber nicht nur negativ war.

Philipp Blom: Was wir an der Kleinen Eiszeit sehen können, ist Folgendes: Wenn eine Transformation unvermeidlich ist, muss sie aggressiv ergriffen und gestaltet werden. Sie zu negieren ist auch für die Mächtigsten und Reichsten nicht lange möglich.

Können Sie da ins Detail gehen?

Wie gesagt, das ist eine Entwicklung, und wie alles im Leben nicht nur negativ und nicht nur positiv. Die Kleine Eiszeit setzt zum Ende des des 16. Jahrhunderts ein. Natürlich begriff man damals – im Vergleich zu uns heute – nicht, dass das ein globales Phänomen ist oder ein systemisches Phänomen, sondern man erlebt nur lokal Hagel, Missernten, fürchterlich schwere Winter, etc.

Und wie es einem spätmittelalterlichen Weltbild entsprach, war die erste Reaktion: Der Herr ist böse auf uns! Also müssen wir Abbitte tun. Es gab demnach Bußprozessionen, es wurden Reliquien auf Gletscher getragen, um die Gletscher zu stoppen, die weiter runterwuchsen und Dörfer einfach mit sich nahmen, und natürlich gab es Hexenverbrennungen. Davon betroffen waren meistens Frauen. Denen wurde eigentlich immer vorgeworfen, das Wetter verdorben und verhext zu haben. Aber das Wichtige ist: Es war eine religiöse Reaktion auf ein natürliches Phänomen. Im Lauf von ein oder zwei Generationen hat sich sehr deutlich gezeigt, dass diese Antwort nichts geändert hat.

Das heißt, die Menschen haben umgedacht?

Menschen haben begonnen umzudenken. Die Agenten der Veränderung in dieser Zeit, das war eine neue Art von Menschen. Menschen, die lesen und schreiben können und in Städten wohnen. Das waren Experten. Diese Kleine Eiszeit setzte ein mit einer gigantischen Lebensmittelkrise.

Man muss sich vorstellen, was das damals bedeutete. Die ganze europäische Gesellschaft war aufgebaut auf lokale Landwirtschaft, und das war fast nur Getreidewirtschaft, also eine Art Monokultur. Wenn da die Bedingungen schlecht waren für ein Produkt, dann war es gleich die Katastrophe. Aber von den Steuern der Landwirtschaft haben auch die Kirche und der Adel gelebt. Der Adel hat dauernd Kriege geführt, brauchte also dauernd Geld.

Die Krise der Landwirtschaft griff also direkt auf alle Bereiche des Lebens über?

Wenn diese Landwirtschaft wegbrach, dann brach diese gesamte gesellschaftliche Pyramide ein. Doch wir erleben da, dass dieser Krise begegnet wird – und dies zum ersten Mal in der europäischen Geschichte – durch Wissenschaft: Dass Botaniker sehen, aha, so kann man Erträge steigern. So kamen in einer Landwirtschaft, in der sich eigentlich seit tausend Jahren nichts mehr geändert hatte, jetzt große Änderungen. So haben sie diese Krise überwunden.

Diese Mittelschicht, die auf einmal angefangen hat, empirisch zu denken und nach Lösungen zu suchen und sich in einem öffentlichen Raum über gedruckte Gedanken austauscht, das war etwas Neues, etwas wirklich Transformatives.

Nur ein positiver Nebeneffekt oder mehr als das?

Mehr als das. Diese Mittelschicht will irgendwann auch Macht haben. Weil auf einmal hat sie viel Geld, viel Einfluss. Doch wie kann sie diesen Machtanspruch argumentieren? Denn die Argumente von Adel und Kirche stehen hier nicht zur Verfügung.

Da kommt ein sehr altes philosophisches Argument aus dem Kasten, das sagt: Wir haben doch eigentlich alle das gleiche Recht zu leben, jeder Mensch ist doch eigentlich gleich. Das ist also durchaus auch einem sozialen Interesse geschuldet. Das ist der Anfang der Aufklärung, der an den Plätzen sozusagen ausbricht, die besonders von diesem Zeitenwandel geprägt sind.

Amsterdam in der Zeit ist ein prägendes Beispiel …

Amsterdam ist das Paradebeispiel. Das ist Mitte des 16. Jahrhunderts eine kleine, unbedeutende, nicht besonders wohlhabende Stadt. Amsterdam kommt dann über Getreidehandel nicht nur zu Wohlstand. Und das ist jetzt sehr wichtig, denn wenn es so etwas gibt wie eine Lehre aus der Geschichte, dann würde ich sie da sehen für uns: Die Stadtväter von Amsterdam fangen an, ganz aggressiv zu investieren, nicht nur in Handel – sie machen zum Beispiel eine Börse auf, wo man also Risiken diversifizieren kann, es gibt auf einmal ein Versicherungswesen und andere Dinge, der Markt verzweigt sich -, sondern sie investieren auch in Schulen.

Die Universität Leiden ist die einzige mit Montpellier, wo man nicht auf einem bestimmten Glauben schwören muss, um dort studieren zu können, wo man nicht nur Jura und Theologie studieren kann, sondern auch Anatomie und Botanik und Arabisch und Ähnliches.

Das dürfte auch die Menschen verändert haben …

Rembrandt ist ein gutes Beispiel. Rembrandts Vater war Müller. Ich nehme an, dass Rembrandts Großvater auch Müller war. Aber Rembrandt wird auf eine Lateinschule geschickt. Man sieht diesen Willen zum sozialen Aufstieg, zur Änderung.

Durch die Tatsache, dass da eine Veränderung ergriffen wurde und gestaltet wurde, wurden die Niederlande zur größten Handelsmacht dieser Zeit, und das in erstaunlich kurzer Zeit. Das ist nicht nur eine schöne Entwicklung. Sie waren sehr brutale Kolonialherren. Auch in Amsterdam arm zu sein, war nicht lustig. Aber es ist eine erstaunliche Transformation.

Gibt es auch Beispiele für Versäumnisse in der Zeit?

Auf der anderen Seite dieser Skala steht Spanien, das am Anfang dieser Zeit bei weitem wohlhabendste und reichste Land der Welt, eben das Reich, in dem die Sonne nicht unterging. Spanien hatte einen ständigen und gigantischen Influx von Edelmetallen aus den Kolonien und war sozusagen so betrunken von seinem eigenen Erfolg, dass es dachte, gerade wir müssen uns nicht ändern.

Spanien hatte damals sehr rigide aristokratische Strukturen, stand unter einem sehr starken Einfluss der Kirche. Es gab ein großes Misstrauen gegenüber allen Phänomenen der Mittelschicht. Die Juden wurden ausgewiesen. Dann war da noch die Vertreibung der Moriscos, also der mohammedanischen Bürger, die im Handel besonders involviert waren, ein Netzwerk im ganzen Mittelmeerraum hatten, das Verbieten von Universitäten, das Verbieten von Schulbildung. Dazu erlebt Spanien eine gigantische Inflation. Das ganze Silber, das tonnenweise reinfloss, hilft dem Land nicht, macht nur alles teurer, ruiniert den Handel. Spanien erleidet vier Staatsbankrotte innerhalb eines Jahrhunderts und hat sich eigentlich davon noch nicht wieder erholt.

Heute erleben wir mit dem Klimawandel das Gegenteil einer Eiszeit, es bleibt aber ein Umbruch. Kann es also auch hier positive Effekte geben?

Es gibt einen großen Unterschied: Wir leben heute in Demokratien. Es muss also diesen demokratischen Willen geben, diese Transformationen tatsächlich vorzunehmen. Diesen sehe ich im Moment nicht. Das ist die eigentliche Gefahr.

Was Philipp Blom über die Kleine Eiszeit hinaus zu sagen hat, wie der Schriftsteller die gegenwärtige Entwicklung der Welt sieht und wo er Auswege aus dem Arbeitsplatzverlust infolge der Automatisierung sowie Gegenprojekte zu den zerstörerischen Ideen von Rechtspopulisten sieht – all das lesen Sie im ausführlichen Interview im Tageblatt in der Printausgabe und im E-Paper vom 15. März 2016.