Unabhängige Medien in der Türkei unter enormem Druck

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In der Türkei verbringen 163 Journalisten den Tag der Pressefreiheit hinter Gittern. Der Druck auf die unabhängigen Medien hat besonders nach dem Putschversuch im vergangenen Juli enorm zugenommen.

Inhaftierungen, Schließungen, Selbstzensur – die Pressefreiheit in der Türkei war selten so eingeschränkt wie heute. Seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 wurden mehr als hundert Journalisten inhaftiert, mehr als 170 Zeitungen, Magazine, Verlage und Radio- und Fernsehsender geschlossen.

Den Internationalen Tag der Pressefreiheit am Mittwoch verbrachten 163 Journalisten hinter Gittern – mehr als in jedem anderen Land der Welt, wie die türkische Onlineplattform „P24“ berichtet, die die Lage der Pressefreiheit unter die Lupe nimmt. „Leider hat die Türkei heute die zweifelhafte Ehre, das größte Gefängnis für Journalisten in der Welt zu sein“, sagte Andrew Gardner von Amnesty International bei einer Kundgebung zum Tag der Pressefreiheit in Istanbul. Der Präsident der türkischen Journalisten-Union, Faruk Eren, sagte, die Situation der Journalisten heute sei „verzweifelt“, seit bald zwei Jahren stünden sie unter „enormem Druck“.

Festnahmen ohne Anklage

Unter anderem der Fall des deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel, der seit Mitte Februar in Istanbul in Haft sitzt, hat die Lage der Presse in der Türkei auch ins Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit gerückt. Yücel werden „Terrorpropaganda“ und „Volksverhetzung“ vorgeworfen, Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete ihn als deutschen Spion und Agenten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Trotz der Intervention der deutschen Regierung gibt es wenig Anzeichen, dass Yücel bald freikommt.

Gegen viele inhaftierte Journalisten liegt auch Monate nach ihrer Festnahme keine Anklage vor. Die 19 Journalisten und Mitarbeiter der Zeitung „Cumhuriyet“, die Ende Oktober festgenommen worden waren, mussten bis Anfang April warten, um zu erfahren, was genau ihnen zur Last gelegt wird. Wie viele andere Journalisten werden ihnen Verbindungen zum islamischen Prediger Fethullah Gülen angelastet, der für den Umsturzversuch vom 15. Juli verantwortlich gemacht wird.

2.500 Medienschaffende haben Arbeit verloren

Zahlreiche Medien der Gülen-Bewegung wurden geschlossen, doch auch kurdische Publikationen und Sender hat es unter dem Ausnahmezustand hart getroffen. Rund 2.500 Medienschaffende verloren ihre Arbeit. Neben „Cumhuriyet“ gibt es nur noch eine Handvoll kritischer Zeitungen wie „Birgün“ und „Evrensel“ in der Türkei. Die meisten großen Medien sind inzwischen auf Regierungslinie, nachdem sie von regierungsnahen Konzernen aufgekauft wurden.

Wegen der Schließungen und Festnahmen herrscht ein Klima der Angst. Viele Journalisten meiden sensible Themen und zensieren sich im Zweifel lieber selbst. Auch ausländische Korrespondenten geraten vermehrt unter Druck. Bei zu kritischer Berichterstattung droht der Verlust der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Auch dieses Jahr wurde die Presseakkreditierung von zwei Deutschen nicht erneuert, anderen wird die Einreise verweigert. Erst kürzlich wurde ein italienischer Journalist an der syrischen Grenze tagelang inhaftiert und dann ausgewiesen.

Journalisten gehen ins Exil

Viele türkische Journalisten sind ins Exil gegangen, von wo sie über Websites wie die deutsch-türkischen Onlinemagazine „Özgürüz“ oder „Taz.gazete“ eine unabhängige Berichterstattung fortzuführen versuchen. Um die Verbreitung unliebsamer Informationen zu verhindern, sperrt die Regierung aber nicht nur derartige Websites, sondern blockiert auch immer wieder soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter.

Seit Samstag ist auch das Onlinelexikon Wikipedia blockiert. Grund ist offenbar, dass in der englischen Version zwei Seiten nicht geändert wurden, in denen der Türkei Kooperation mit Terrororganisationen vorgeworfen wird.