Türkische Lehrer tragen den Protest auf die Straße

Türkische Lehrer tragen den Protest auf die Straße
(AFP)

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Sie nennen sich "Akademiker der Straße". In ihre Unis kommen sie nicht mehr rein. Die Dozenten wurden entlassen. Viele, weil sie eine Petition für den Frieden unterschrieben haben. Das wollen sie nicht hinnehmen.

Mehr als hundert Menschen haben sich in der Winterkälte in einem Park von Ankara versammelt. Sie nehmen an der fünften Sitzung des Kurses „Akademiker der Straße“ teil, der von entlassenen Dozenten gegeben wird.

An diesem Nachmittag spricht Sevilay Celenk über die Geschichte des Widerstands. Die Kommunikationswissenschaftlerin, die bis vor kurzem an der Universität Ankara unterrichtete, gehört zu den hunderten Unimitarbeitern, die von der Regierung per Notstandsdekret gefeuert wurden.

„Rechtswidrige Entlassungen“

„Wir haben es hier mit ungerechten und rechtswidrigen Entlassungen zu tun, die jeder Grundlage entbehren“, sagt Celenk. Mit ihr zusammen wurden Anfang des Jahres 330 Unimitarbeiter sowie 4.200 weitere Staatsbedienstete per Notstandsdekret entlassen. Ihre Entlassung sei das Signal, dass „die Liquidierung der gesamten demokratischen oder linken Opposition weitergehen wird“, warnt Celenk.

Vielen der Dozenten werden Verbindungen zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen, der für den versuchten Staatsstreich vom 15. Juli verantwortlich gemacht wird. Celenk und andere werden dagegen bezichtigt, Kontakte zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu unterhalten.

Petition unterschrieben

Viele von ihnen hatten im Januar 2016 eine „Petition für den Frieden“ unterzeichnet, die ein Ende des Konflikts mit der PKK forderte. Hunderte Unterzeichner der Petition, die zum Ärger von Präsident Recep Tayyip Erdogan das Vorgehen der Sicherheitskräfte im kurdischen Südosten kritisierte, wurden inzwischen entlassen.

Während viele Dozenten fürchten, sich mit den Kollegen zu solidarisieren, haben Studenten in den vergangenen Wochen in Ankara, Istanbul und anderen Städten Demonstrationen für ihre gefeuerten Professoren organisiert. Von den Entlassungen betroffen ist auch Nuriye Gülmen. Die Dozentin der Universität in Selcuk war Ende vergangenen Jahres zunächst suspendiert und im Januar dann per Dekret entlassen worden. Seit November demonstriert sie jeden Tag in einem Park im Zentrum von Ankara – neben einer Statue für die Menschenrechte.

Denken an Hungerstreik

Die Polizei hat sie bereits 23 Mal in Gewahrsam genommen, doch ist sie entschlossen, ihren Protest auf der Straße fortzuführen. „Wir können körperliche Schmerzen überwinden, nicht aber die Verletzung unserer Würde, mit der wir unser Leben lang leben müssen“, sagt Gülmen. Inzwischen kann sie ihre Miete nicht mehr zahlen und muss bei Freunden schlafen.

Dennoch will sie nicht aufgeben und sogar einen Hungerstreik starten. Bei ihrem stillen Protest erfährt sie viel Solidarität, aus umliegenden Restaurants bringen die Menschen ihr Essen und Trinken. Inzwischen hat sich ihr auch die Lehrerin Acun Karadag angeschlossen, die wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung von ihrer Schule entlassen wurde.

„Säkulare Linke“

Beide Frauen bezeichnen sich als „säkulare Linke“ und bestreiten, irgendetwas mit der islamisch-konservativen Bewegung Gülens oder Extremistengruppen zu tun zu haben. Unter dem Druck des Europarats hat die türkische Regierung Ende Januar eine Kommission eingerichtet, um die zehntausenden Entlassungen seit dem Putschversuch zu prüfen.

Es bestehen Zweifel an der Unparteilichkeit und der Effizienz der neuen Kommission, doch die einflussreiche linke Bildungsgewerkschaft Egitim-Sen ist entschlossen, diese Möglichkeit zur Beschwerde zu nutzen.

Etwas Hoffnung

Laut ihrem Präsidenten Kamuran Karaca wurden unter dem Ausnahmezustand neben Celenk, Gülmen und Karadag fast 1.300 weitere Mitglieder der Gewerkschaft entlassen. Etwas Hoffnung gibt es aber für sie: Auf Druck der Gewerkschaft und nach öffentlichen Protesten konnten von den 11.500 Mitgliedern, die vergangenes Jahr suspendiert wurden, inzwischen bis auf 70 alle auf ihre Posten zurückkehren.