Schneiders Reise in die Türkei kommt zur Unzeit

Schneiders Reise in die Türkei kommt zur Unzeit
(AFP)

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Vizepremier Etienne Schneider ist in der Türkei. Eine „Mission économique“ zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sind am Tiefpunkt. Schneiders Amtskollege ist dabei alles andere als ein Gemäßigter.

Etienne Schneider ist seit Sonntag in der Türkei. Es ist eine der regelmäßig stattfindenden Wirtschaftsmissionen. Nur kommt sie gerade jetzt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU waren noch nie so schlecht wie zurzeit – und die Türkei steckt mitten im Wahlkampf.

Schneider trifft auf seiner Reise den türkischen Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci. In einer Regierung, in der Erdogan-Bewunderung Pflicht und Kür zugleich ist, gilt Zeybekci als dem Präsidenten besonders nahestehend.

Zeybekci, ein Hardliner

Zu Ministerehren kommt Zeybekci im Dezember 2013. Davor war er Bürgermeister der Millionenstadt Denizli im Südwesten des Landes, danach Abgeordneter im türkischen Parlament. Seine Nähe zu Erdogan soll ihm damals schon nützlich gewesen sein. Staatliche Fördergelder sollen leichter geflossen sein als in Städten mit Bürgermeistern der Oppositionsparteien.

Wie sein Präsident ist auch Zeybekci ein Hardliner. Nach dem Putsch-Versuch vergleicht er die Putschisten und damit implizit die Anhänger des Predigers Gülen mit „Ratten“. „Wir werden sie so bestrafen, dass sie sagen werden: ‚Besser wäre es, wir wären gestorben'“, so Zeybekci, um hinzuzufügen: „Sie werden kein Gesicht mehr sehen und sie werden keine menschliche Stimme mehr hören.“

Knapp 200 Journalisten hinter Gittern

Zeybekci stammt aus eher bescheidenen Verhältnissen und hat sich in einem konservativ-religiösen Milieu hochgearbeitet. Er ist damit ein typischer AKP-Kader. Studiert hat Zeybekci Business Management. Er hat nicht den Ruf, besonders kompetent zu sein.
Zeybekci hat ebenso Politiker der drittgrößten türkischen Partei, der prokurdischen HDP, beschimpft und bedroht. Deren Chefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag wurden im November 2016 festgenommen.

Insgesamt wurden in der Türkei seit dem Putschversuch im Juni 2016 und dem daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand weit über 10.000 Menschen eingekerkert. Knapp 200 Journalisten sind hinter Gittern. Verlage und Zeitungen wurden dichtgemacht oder übernommen und quasi im Nu in staatstreue Medien zwangsumgewandelt.

Schwere Vorwürfe der UNO

Selbst die Festnahme von Journalisten aus Europa ist kein Tabu mehr, wie der Fall des Welt-Korrespondenten Denis Yükcel zeigt. Mehr als 100.000 Staatsbedienstete, darunter Richter, Lehrer, Uniprofessoren wurden entlassen.

In einem Bericht vom 10. März wirft die UNO Ankara schwere Menschenrechtsverletzungen im Südosten des Landes vor. Seit 2015 geht die Türkei massiv gegen die Kurden in der Region vor. In Sur, dem kurdischen Stadtteil der Großstadt Diyarbakir, sind 70 Prozent der Gebäude durch Dauerbeschuss zerstört. Mehr als 30 Städte und Viertel sind von den Militär- und Polizeioperationen betroffen. Dem Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte zufolge wurden bis zu 500.000 Menschen vertrieben, die meisten von ihnen Kurden.

Nur Wirtschaftscharakter?

Alleine das macht es schwer, dieser Wirtschaftsmission bloßen Wirtschaftscharakter zu bescheinigen. Wenn der Wirtschaftsminister irgendwohin fliegt, fliegt der stellvertretende Regierungschef ja immer mit. Etienne Schneider hat beide Ämter inne.

Hinzu kommen nun die verbalen Entgleisungen von Präsident Erdogan selber und verschiedenen Regierungsmitgliedern gegenüber Ländern der EU. Vor dem Hintergrund von Auftrittsverboten türkischer Politiker besonders in Deutschland und den Niederlanden kennen Erdogan, Premierminister Cavusoglu und Innenminister Söylu kein Halten mehr.

Üble Beschimpfungen

Die Entgleisungen reichen von Nazi-Beschimpfungen über die Aufforderung an die Türken in Europa, mindestens fünf Kinder zu bekommen (Erdogan: „Ihr seid die Zukunft Europas“) bis hin zur Ankündigung Söylus, jeden Tag 15.000 syrische Flüchtlinge nach Europa zu schicken.

Reisen des luxemburgischen Wirtschaftsministers in die Türkei sind keine Seltenheit. Seit dem Staatsbesuch im November 2013 finden die Treffen jährlich statt. Geplant werden sie jeweils lange im voraus. Einer der Erfolge der Staatsvisite 2013 war die Gründung der „Joint Economic and Trade Commission“, abgekürzt Jetco. Diese Kommission kümmert sich um den Ausbau der türkisch-luxemburgischen Handelsbeziehungen.

Zusammenarbeit in der Logistik

Schneider wird in der Türkei erneut die Verantwortlichen von Mars Logistics treffen. Das Unternehmen betreibt zusammen mit CFL Multimodal einen Transportkorridor von Luxemburg bis in die Türkei. Waren gelangen so über die Schiene bis ins italienische Triest, von dort werden verschiedene türkische Häfen angefahren beziehungsweise wird über die Straße weitertransportiert. Luxemburg gilt daneben als einer der größten Investoren in den Ausbau des Istanbuler Finanzplatzes.

Im November 2014 war der türkische Wirtschaftsminister Zeybekci zu Besuch in Luxemburg. Vizepremier Mehmet Simsek war der bislang letzte türkische Politiker, der Luxemburg besuchte. Das war im September vergangenen Jahres.
Die Türkei im Jahr 2013

Die Zeiten haben sich geändert

Bei der Staatsvisite im Jahr 2013 sprach der türkische Präsident übrigens folgende Worte vor der Luxemburger Delegation um Großherzog Henri: „Wir arbeiten seit langer Zeit zusammen und glauben an eine gemeinsame Zukunft. Wir glauben an gemeinsame Werte wie die Menschenrechte, den Rechtsstaat und die freie Marktwirtschaft.“ Diese Zeiten dürften erst einmal vorbei sein. Damals hieß der Präsident noch Abdullah Gül. Erdogan war Regierungschef.

Gül, wie Erdogan einer der Gründer der Regierungspartei AKP, hat sich von der Erdogan-Linie verabschiedet. Er gilt als politisch kaltgestellt. 2013 erinnerte Gül daran, dass Luxemburg im Oktober 2005 den Verhandlungen zur Aufnahme der Türkei in die EU neuen Antrieb gegeben hatte.

Auch politisch im Ausnahmezustand

Mittlerweile hat sich die Türkei von einem EU-Beitritt so weit entfernt wie noch nie zuvor. Die Türkei ist in dreieinhalb Jahren zu einem anderen Land geworden. Die Beziehungen, die es noch gibt, sind wirtschaftliche.

Die Türkei heute befindet sich auch politisch im Ausnahmezustand. Am 16. April sind die Türken zum Verfassungsreferendum aufgerufen. Dieses soll das Präsidentenamt und damit Erdogan mit bisher unerreichten Machtbefugnissen ausstatten.

Delikate Mission für Schneider

Vor diesem Hintergrund sind auch die verbalen Ausraster der letzten Wochen zu sehen. Letzte Umfrageergebnisse sagen einen knappen Wahlausgang voraus. Entsprechend nervös ist die AKP-Spitze. Schneider muss somit darauf achten, sich nicht zum Wahlkampfhelfer wider Willen machen zu lassen.